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I.
Von der Zeichnung des Correggio.
Der erste Geschmack in der Zeichnung des Correggio war
erwähnter Maassen trocken, sklavisch und geradlinig. Dann aber
schöpfte er, wie die Erfinder der Kunst, vermittelst der Gewalt
des eigenen Genies in der Natur selbst, und entdeckte nach und
nach in derselben das Abwechselnde der Umrisse. Ich muss beinahe
annehmen, dass Correggio mittlerweile das Antike zu Gesicht
bekam, und es zu erreichen bemüht war. Wenn er das Antike nicht
ersdiaute, wie maii es in Rom findet, wenn er es nicht in so grosser
Masse und so vortrefflich sah, so mag er es doch gesehen haben, wie
man es in Parma und Modena trifft. Doch ein grosses Genie darf
einer Sache nur von ferne ansichtig werden, und es wird genügen,
ihm die Idee zu geben, wie etwas beschaffen seyn muss. Zu die-"
Ser Muthmaassung führt mich der Umstand, dass es keine Werke
von Correffo-io siebt, welche zwischen seiner trockenen Manier und
seinem grossartigen Geschmack die Mitte halten. Welche andere
Ursache dürfte einen so gewaltigen Sprung veranlasst haben ? Ein
Stück des Alterthums konnte auf seine Seele denselben Eindrvck
hervorbringen, welchen die Werke des MichelAngelo auf Ra-
phael hervorbrachten. Doch eine solche Wirkung konnte nur voi
sich gehen, wo bereits gute Anlagen vorhanden waren, denn die
äusseren Gegenstände tragen bloss zur Entwickelung der Grund-
lagen bei, die in uns schlummern.
Dass wir nichts Genaues und Umständliches aus dem Leben
des Correggio wissen, darf uns nicht mehr befremden, wenn wir
vernehmen, dass alle Schriftsteller seinen Charakter als einen sehr
furchtsamen schildern. Er kann wohl in Rom gewesen seyn, ist
aber nur wenigen Personen bekannt geworden, wie dicss bei vielen
jungen Malern der Fall ist; man müsstc sonst annehmen, er habe
mit unsäglichem Fleiss ein Stück des Alterthums studirt, oder sei-
nen schönen Geschmack in der Zeichnung und seine grossartige
Manier durch unablässiges Erforschen der Verschiedenheiten der
Form und des Helldunkels errungen. Von dem Wunsche beseelt,
zu beständiger Abwechselung der Tinten die Umrisse mit Helldunkel
zu unterbrechen, man- er entdeckt haben, dass er diess mittelst
seiner geraden und einfachen Contourcn nicht zu erreichen vermöge,
I.
Von der Zeichnung des Correggio.
Der erste Geschmack in der Zeichnung des Correggio war
erwähnter Maassen trocken, sklavisch und geradlinig. Dann aber
schöpfte er, wie die Erfinder der Kunst, vermittelst der Gewalt
des eigenen Genies in der Natur selbst, und entdeckte nach und
nach in derselben das Abwechselnde der Umrisse. Ich muss beinahe
annehmen, dass Correggio mittlerweile das Antike zu Gesicht
bekam, und es zu erreichen bemüht war. Wenn er das Antike nicht
ersdiaute, wie maii es in Rom findet, wenn er es nicht in so grosser
Masse und so vortrefflich sah, so mag er es doch gesehen haben, wie
man es in Parma und Modena trifft. Doch ein grosses Genie darf
einer Sache nur von ferne ansichtig werden, und es wird genügen,
ihm die Idee zu geben, wie etwas beschaffen seyn muss. Zu die-"
Ser Muthmaassung führt mich der Umstand, dass es keine Werke
von Correffo-io siebt, welche zwischen seiner trockenen Manier und
seinem grossartigen Geschmack die Mitte halten. Welche andere
Ursache dürfte einen so gewaltigen Sprung veranlasst haben ? Ein
Stück des Alterthums konnte auf seine Seele denselben Eindrvck
hervorbringen, welchen die Werke des MichelAngelo auf Ra-
phael hervorbrachten. Doch eine solche Wirkung konnte nur voi
sich gehen, wo bereits gute Anlagen vorhanden waren, denn die
äusseren Gegenstände tragen bloss zur Entwickelung der Grund-
lagen bei, die in uns schlummern.
Dass wir nichts Genaues und Umständliches aus dem Leben
des Correggio wissen, darf uns nicht mehr befremden, wenn wir
vernehmen, dass alle Schriftsteller seinen Charakter als einen sehr
furchtsamen schildern. Er kann wohl in Rom gewesen seyn, ist
aber nur wenigen Personen bekannt geworden, wie dicss bei vielen
jungen Malern der Fall ist; man müsstc sonst annehmen, er habe
mit unsäglichem Fleiss ein Stück des Alterthums studirt, oder sei-
nen schönen Geschmack in der Zeichnung und seine grossartige
Manier durch unablässiges Erforschen der Verschiedenheiten der
Form und des Helldunkels errungen. Von dem Wunsche beseelt,
zu beständiger Abwechselung der Tinten die Umrisse mit Helldunkel
zu unterbrechen, man- er entdeckt haben, dass er diess mittelst
seiner geraden und einfachen Contourcn nicht zu erreichen vermöge,