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bilder und Paulinens Kunst nur lieh diesen hier den Schein
des Wirklichen."
Hedwig antwortete nicht. Ottos Worte mochten sie
von ihrem Wahn so ziemlich überzeugt haben; aber ihre
Gedanken ließen sich offenbar noch nicht so leicht wieder
zerstreuen — sie lehnte sich in ihren Sitz zurück und deckte
die Hand über ihre Augen.
Pauline hatte an der kurzen Unterhaltung keinen An-
theil genommen; sie blätterte noch in dem Buche; jetzt aber
legte sie es fort, mit einem letzten, halb zufälligen Blick
auf den wie alles übrige von Hedwigs Hand geschriebenen
und mit Sorgfalt ausgeführten Titel. Als wenn sie aber
irgend etwas Jähes — ein Schreck oder ein Schmerz —
getroffen hätte, zuckte sie zusammen.
„Woher der Name?" stieß sie fast gleichzeitig hervor.
Otto hatte noch nach Hedwig geblickt und darum auch
nur Paulinens Frage gehört, nicht aber auf den Ton der-
selben geachtet; so folgte er denn unbefangen der Weisung
ihrer krampfhaft auf jenes Titelblatt gepreßten Hand und
sagte ruhig:
„Erich Astrong? Nun du weißt doch, Pauline, daß
es gerade seine Gedichte waren, die du lasest!"
„Nein, nein!" rief sie, „Ihr sagtet, Hedwigs Bruder
sei der Dichter und Hedwigs Name ist Warberg!"
„Ei ja doch," entgegnete Otto, „aber der Vater des
einen der beiden Geschwister war nicht der des andern.
Meine Tante hatte ihren ersten Mann früh verloren —
ist dir das nie erzählt worden?"
„Nie!" sagte Pauline, während sie ihre Hand an die
Stirn legte, welche die in dem Zimmer herrschende Wärme
oder auch die Anstrengung des Lesens bleich gemacht hatte.
„So ist es natürlich nur ein Zufall, daß die Erwäh-
nung unterblieben ist," beeilte sich Otto zu bemerken. „Im
Uebrigen bist du ja von Erichs Person unterrichtet und
-Mßt ihn 'ailch^lioch'd^n^geslcht kemlm,' da du sicher in
Hedwigs Zimmer sein Bild gesehen hast.-Und nun
laßt uns mit den Erinnerungen abschließen!" setzte er in
verändertem Ton und indem er die eigene Brust durch
einen kräftigen Athemzug zu befreien strebte, hinzu, „und
der Gegenwart ihr Recht geben!"
Er war mit den Worten bereits an die zum Balkon
führende Glasthür getreten und hatte sie aufgestoßen, daß
die Abeudluft erquickend hereindrang. Nachdem er die
letztere ein paar Minuten lang eingesogen hatte, wandte er
sich, nunmehr wieder völlig heiter, gegen die Damen zurück.
„Neber Tag war ich ein Bauer," sagte er, „bei euch
aber erinnere ich mich an alles, was schön ist — und so
verlangt mich jetzt nach meinen Gärten. Wollen wir mit
einanderuntersuchen, ob Hedwig die Rosen gebührend pflegte,
oder ob sich ihre Hand einmal lässig erwiesen hat?"
Hedwig warf um ein Geringes die Lippen auf: sie
könne es nicht leiden, sagte sie dabei, wenn man etwa sie
hinter ihrem Rücken dafür verantwortlich machen wolle, daß
nicht jede Rose ihre Schuldigkeit thue; lieber ließe sie sich
in's Gesicht hinein tadeln, und deßhalb sei sie bereit zu
dem Gange.
Otto sah lächelnd auf sie nieder. „Und wie ist's mit
dir, Pauline?" fragte er.
Pauline hatte ihren Sitz nicht verlassen; sie blickte auch
nur flüchtig zu ihm auf. Die Gärten und die Rosen zögen
sie in diesem Augenblick nicht an — sie fühle sich müde,
sagte sie.
Sein Auge ruhte theilnehmend auf ihr, und theilnehmend
war auch das Wort, mit dem er sie aufforderte, sich die
nöthige Erholung zu gönnen. Er selber, fügte er hinzu,
wolle sich an Hedwigs Begleitung genügen lassen; und dann
verließ er mit dem jungen Mädchen das Zimmer.
Pauline indessen — der Ruhe gab sie sich nicht hin,
vielmehr war sie nicht sobald allein, als sie unter hastiger
Bewegung aufsprang und mit an die Schläfen gedrückten
Händen im Zimmer umherirrte. „Sein Bild — sein
Bild —" murmelte sie dabei, „und in Hedwigs Gemach!" —
Wohl kam es ihr in die Erinnerung, daß sie einst in
dem letzteren gewesen war, wenn auch nur ein einziges
Mal, zu der Zeit, als sie das Haus zuerst als seine neue
Herrin betreten und Ottos Pflegeschwester ihr alle Räume,
unter ihnen auch das eigene kleine Asyl, gewiesen hatte.
Aber wie sie damals eben alles mit einem halb flüchtigen
Blick anschaute, so waren auch die einzelnen Dinge in jenem
Gemach keiner besonderen Aufmerksamkeit von ihr Werth
gehalten worden. „Das ist mein Bruder!" hatte Hedwig
wohl gesagt, als sie nach einem Bilde wies, das über
ihrem Schreibtische hing — allein kümmerte sie denn zu
der Stunde dieser unbekannte, längst gestorbene Bruder so-
viel, daß ihre Augen nur über den goldenen Rahmen hätten
hinausgleiten sollen? Jetzt jedoch, jetzt war das anders —
jetzt mußte sie-
Sie horchte — nein doch nicht, noch waren Otto und
Hedwig nicht aus dem Hause; einige Minuten noch galt
es zu warten!-Nun aber war der Weg zu dem
Zimmer des jungen Mädchens frei — frei bis zu dem
Bilde. —
Ihre Hände krampften sich zusammen wie zum Beten.
Sollte ihr der Himmel helfen, daß sie Züge fand, welche
sie kannte, oder flehte sie zu ihm, daß er ihr gnädig sei
und sie in ein Antlitz schauen lasse, das sie nie vordem
gesehen hatte?-Aber nur kurze Zeit stockte sie; dann
eilte sie mit beflügeltem Schritt den Gang hinab, welchen
sie zu durchwandern hatte.
Die Entscheidung mußte sich drinnen rasch vollzogen
haben, denn nur wenige Minuten dauerte es, bis sie wie-
der aus der Thür trat; aber selbst diese kurze Zeit war
hinreichend gewesen, um sie zu verwandeln: eine Todten-
blässe hatte die gesunde Farbe ihrer Wangen verdrängt und
die Gestalt, welche sonst so elastisch zn schreiten pflegte,
schwankte jetzt wie gebrochen.-
Als Otto und Hedwig nach einer Weile von ihrem
Spaziergange in das Haus zurückkehrten, sagte ihnen Josephe,
die gnädige Frau sei so ermüdet gewesen, daß sie sich in
ihr Zimmer begeben habe und bitten ließe, sie dort nicht
zu stören.
„Meine Frau ist doch nicht krank geworden?" fragte
Otto rasch.
Die Besorgniß jedoch glaubte Josephe ohne Weiteres
zerstreuen zu dürfen. Ihre Herrin sei durch und durch ge-
sund, sagte sie, Krankheit habe noch nie Einfluß auf dieselbe
gehabt und so würde sie sicher am nächsten Morgen wieder
bei vollen Kräften sein; um so mehr, fügte sie mit einem
glücklichen Ausdruck in ihrem ehrlichen Gesicht hinzu, als
sie doch auch übrigens eine andere werden zu wollen scheine.
So wenig „unrastig" habe sie die gnädige Frau noch nie
gekannt, und eS könne ja kommen, daß sie ganz zufrieden
und geradezu heiter ausschaue, wie z. B. vorhin noch, wo
sie den Herrn erwartet und ihn dann begrüßt habe, was
von ihr selbst, da sie zufällig im Zimmer eine Verrichtung
gehabt und von dort auf den Balkon geblickt hätte, wohl
wahrgenommen sei.
(Fortsetzung folgt.)
Die Kunstsammlung aus dem Heidelberger Schlosse.
Von E. Mentzel.
(Schluß.)
Ganz besonders fesselt uns nun ein erst kürzlich zur
Mays'schen Sammlung gekommener Brief der bereits oft
erwähnten Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans,
bilder und Paulinens Kunst nur lieh diesen hier den Schein
des Wirklichen."
Hedwig antwortete nicht. Ottos Worte mochten sie
von ihrem Wahn so ziemlich überzeugt haben; aber ihre
Gedanken ließen sich offenbar noch nicht so leicht wieder
zerstreuen — sie lehnte sich in ihren Sitz zurück und deckte
die Hand über ihre Augen.
Pauline hatte an der kurzen Unterhaltung keinen An-
theil genommen; sie blätterte noch in dem Buche; jetzt aber
legte sie es fort, mit einem letzten, halb zufälligen Blick
auf den wie alles übrige von Hedwigs Hand geschriebenen
und mit Sorgfalt ausgeführten Titel. Als wenn sie aber
irgend etwas Jähes — ein Schreck oder ein Schmerz —
getroffen hätte, zuckte sie zusammen.
„Woher der Name?" stieß sie fast gleichzeitig hervor.
Otto hatte noch nach Hedwig geblickt und darum auch
nur Paulinens Frage gehört, nicht aber auf den Ton der-
selben geachtet; so folgte er denn unbefangen der Weisung
ihrer krampfhaft auf jenes Titelblatt gepreßten Hand und
sagte ruhig:
„Erich Astrong? Nun du weißt doch, Pauline, daß
es gerade seine Gedichte waren, die du lasest!"
„Nein, nein!" rief sie, „Ihr sagtet, Hedwigs Bruder
sei der Dichter und Hedwigs Name ist Warberg!"
„Ei ja doch," entgegnete Otto, „aber der Vater des
einen der beiden Geschwister war nicht der des andern.
Meine Tante hatte ihren ersten Mann früh verloren —
ist dir das nie erzählt worden?"
„Nie!" sagte Pauline, während sie ihre Hand an die
Stirn legte, welche die in dem Zimmer herrschende Wärme
oder auch die Anstrengung des Lesens bleich gemacht hatte.
„So ist es natürlich nur ein Zufall, daß die Erwäh-
nung unterblieben ist," beeilte sich Otto zu bemerken. „Im
Uebrigen bist du ja von Erichs Person unterrichtet und
-Mßt ihn 'ailch^lioch'd^n^geslcht kemlm,' da du sicher in
Hedwigs Zimmer sein Bild gesehen hast.-Und nun
laßt uns mit den Erinnerungen abschließen!" setzte er in
verändertem Ton und indem er die eigene Brust durch
einen kräftigen Athemzug zu befreien strebte, hinzu, „und
der Gegenwart ihr Recht geben!"
Er war mit den Worten bereits an die zum Balkon
führende Glasthür getreten und hatte sie aufgestoßen, daß
die Abeudluft erquickend hereindrang. Nachdem er die
letztere ein paar Minuten lang eingesogen hatte, wandte er
sich, nunmehr wieder völlig heiter, gegen die Damen zurück.
„Neber Tag war ich ein Bauer," sagte er, „bei euch
aber erinnere ich mich an alles, was schön ist — und so
verlangt mich jetzt nach meinen Gärten. Wollen wir mit
einanderuntersuchen, ob Hedwig die Rosen gebührend pflegte,
oder ob sich ihre Hand einmal lässig erwiesen hat?"
Hedwig warf um ein Geringes die Lippen auf: sie
könne es nicht leiden, sagte sie dabei, wenn man etwa sie
hinter ihrem Rücken dafür verantwortlich machen wolle, daß
nicht jede Rose ihre Schuldigkeit thue; lieber ließe sie sich
in's Gesicht hinein tadeln, und deßhalb sei sie bereit zu
dem Gange.
Otto sah lächelnd auf sie nieder. „Und wie ist's mit
dir, Pauline?" fragte er.
Pauline hatte ihren Sitz nicht verlassen; sie blickte auch
nur flüchtig zu ihm auf. Die Gärten und die Rosen zögen
sie in diesem Augenblick nicht an — sie fühle sich müde,
sagte sie.
Sein Auge ruhte theilnehmend auf ihr, und theilnehmend
war auch das Wort, mit dem er sie aufforderte, sich die
nöthige Erholung zu gönnen. Er selber, fügte er hinzu,
wolle sich an Hedwigs Begleitung genügen lassen; und dann
verließ er mit dem jungen Mädchen das Zimmer.
Pauline indessen — der Ruhe gab sie sich nicht hin,
vielmehr war sie nicht sobald allein, als sie unter hastiger
Bewegung aufsprang und mit an die Schläfen gedrückten
Händen im Zimmer umherirrte. „Sein Bild — sein
Bild —" murmelte sie dabei, „und in Hedwigs Gemach!" —
Wohl kam es ihr in die Erinnerung, daß sie einst in
dem letzteren gewesen war, wenn auch nur ein einziges
Mal, zu der Zeit, als sie das Haus zuerst als seine neue
Herrin betreten und Ottos Pflegeschwester ihr alle Räume,
unter ihnen auch das eigene kleine Asyl, gewiesen hatte.
Aber wie sie damals eben alles mit einem halb flüchtigen
Blick anschaute, so waren auch die einzelnen Dinge in jenem
Gemach keiner besonderen Aufmerksamkeit von ihr Werth
gehalten worden. „Das ist mein Bruder!" hatte Hedwig
wohl gesagt, als sie nach einem Bilde wies, das über
ihrem Schreibtische hing — allein kümmerte sie denn zu
der Stunde dieser unbekannte, längst gestorbene Bruder so-
viel, daß ihre Augen nur über den goldenen Rahmen hätten
hinausgleiten sollen? Jetzt jedoch, jetzt war das anders —
jetzt mußte sie-
Sie horchte — nein doch nicht, noch waren Otto und
Hedwig nicht aus dem Hause; einige Minuten noch galt
es zu warten!-Nun aber war der Weg zu dem
Zimmer des jungen Mädchens frei — frei bis zu dem
Bilde. —
Ihre Hände krampften sich zusammen wie zum Beten.
Sollte ihr der Himmel helfen, daß sie Züge fand, welche
sie kannte, oder flehte sie zu ihm, daß er ihr gnädig sei
und sie in ein Antlitz schauen lasse, das sie nie vordem
gesehen hatte?-Aber nur kurze Zeit stockte sie; dann
eilte sie mit beflügeltem Schritt den Gang hinab, welchen
sie zu durchwandern hatte.
Die Entscheidung mußte sich drinnen rasch vollzogen
haben, denn nur wenige Minuten dauerte es, bis sie wie-
der aus der Thür trat; aber selbst diese kurze Zeit war
hinreichend gewesen, um sie zu verwandeln: eine Todten-
blässe hatte die gesunde Farbe ihrer Wangen verdrängt und
die Gestalt, welche sonst so elastisch zn schreiten pflegte,
schwankte jetzt wie gebrochen.-
Als Otto und Hedwig nach einer Weile von ihrem
Spaziergange in das Haus zurückkehrten, sagte ihnen Josephe,
die gnädige Frau sei so ermüdet gewesen, daß sie sich in
ihr Zimmer begeben habe und bitten ließe, sie dort nicht
zu stören.
„Meine Frau ist doch nicht krank geworden?" fragte
Otto rasch.
Die Besorgniß jedoch glaubte Josephe ohne Weiteres
zerstreuen zu dürfen. Ihre Herrin sei durch und durch ge-
sund, sagte sie, Krankheit habe noch nie Einfluß auf dieselbe
gehabt und so würde sie sicher am nächsten Morgen wieder
bei vollen Kräften sein; um so mehr, fügte sie mit einem
glücklichen Ausdruck in ihrem ehrlichen Gesicht hinzu, als
sie doch auch übrigens eine andere werden zu wollen scheine.
So wenig „unrastig" habe sie die gnädige Frau noch nie
gekannt, und eS könne ja kommen, daß sie ganz zufrieden
und geradezu heiter ausschaue, wie z. B. vorhin noch, wo
sie den Herrn erwartet und ihn dann begrüßt habe, was
von ihr selbst, da sie zufällig im Zimmer eine Verrichtung
gehabt und von dort auf den Balkon geblickt hätte, wohl
wahrgenommen sei.
(Fortsetzung folgt.)
Die Kunstsammlung aus dem Heidelberger Schlosse.
Von E. Mentzel.
(Schluß.)
Ganz besonders fesselt uns nun ein erst kürzlich zur
Mays'schen Sammlung gekommener Brief der bereits oft
erwähnten Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans,