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Meurer, Moritz
Pflanzenformen: vorbildliche Beispiele zur Einführung in das ornamentale Studium der Pflanze; zum Gebrauche für Kunstgewerbe- und Bauschulen, Technische Hochschulen und höhere Unterrichtsanstalten sowie für Architekten und Kunsthandwerker — Dresden, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.43158#0009
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Vorwort.

In den »Prolegomena«, welche Gottfried Semper seinem Werke: »der Stil in den technischen und
tektonischen Künsten« vorausgehen lässt, sagt er in Bezug auf die Momente des Schönen, welche im
Kunstwerke walten: »Diese Momente müssen zudem aus dem Gesetze der Natur hervorgehen und ihm
entsprechen, denn obschon es die Kunst nur mit der Form und dem Scheine, nicht mit dem Wesen
der Dinge zu thun hat, so kann sie dennoch nicht anders als nach dem was die Naturerscheinung sie
lehrt ihre Formen schaffen, sei es auch nur durch die Befolgung des allgemeinen Gesetzes, welches
durch alle Reiche der Natur waltet, indem es hier unentwickelt, dort in ausgebildeter Form hervor-
tritt. Am klarsten und ersichtlichsten tritt diese Analogie zwischen dem allgemeinen Gestaltungs-
gesetze in der Natur und in der Kunst, in dem was die spekulative Ästhetik die formellen Elemente
des Rein-Schönen nennt, hervor.« Und ferner: »Die Kunst führt eine ähnliche Mannigfaltigkeit von
Kombinationen auf wie die Natur, kann aber die Schranken der letzteren hierin nicht um einen Zoll
überschreiten; sie muss sich in den Principien formaler Gestaltung genau nach den Ge-
setzen der Natur richten.«
Die Ausführungen, welchen diese treffenden Sätze entnommen sind, erörtern in ebenso kurzer
als überzeugender Weise die Abhängigkeit der Kunstformen von den Erscheinungen der Naturreiche
und ihren Gesetzen und stellen die sich daraus ergebenden Bedingungen für das bildnerische Schaffen
der technischen Künstler klar; sie liefern den Beweis, dass sich auch die technischen Künste gleich den
anderen bildenden Künsten bei ihrer Thätigkeit des beständigen Rückblickes auf die Gestaltungsgesetze
und Formenelemente der Natur nicht entäussern können.
Die leitenden Gedanken, welche der ebenso scharfsinnige Denker wie bedeutende Architekt
seinem schriftlichen Lebenswerke vorausschickte und die Mahnungen, welche sich aus denselben für
das Studium und das Schaffen des Künstlers ergeben, sind aber nicht in dem Masse wirksam geworden,
wie es ihr Träger wohl hoffte. Auch die Erziehung unserer technischen Kunstschulen hat die ihr durch
jene Ausführungen gewiesenen Wege nicht zielbewusst genug verfolgt. Die Einseitigkeit, welche darin
liegt, dass sie neben der grundlegenden Unterweisung an der Hand der überlieferten Kunstformen,
das, diese Unterweisung notwendig ergänzende Studium der natürlichen Erscheinungsformen unter-
schätzte und wenn auch nicht ganz beiseite liess, so doch in unzureichender Weise betrieb, steht aller-
dings im Zusammenhänge mit dem ganzen künstlerischen Denken unserer Zeit.
Die historisch-antiquarische Richtung derselben hat den Sinn der tektonischen wie der tech-
nischen Künste von jener künstlerischen Anschauungsweise der Natur abgelenkt, welche dem Mittel-
alter und der Renaissance, vor allem aber dem Gefühle des Hellenen zu eigen war. Das Schwinden
dieser, in der antiken Welt so innig gestalteten Beziehung des Menschen zur Natur und die Verminde-
rung jenes, ihr in so hohem Grade verliehenen künstlerischen Vorstellungsvermögens ihrer Erschei-
nungen, erklärt sich hauptsächlich aus der modernen, vorwiegend wissenschaftlichen oder rein

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