Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meurer, Moritz
Pflanzenformen: vorbildliche Beispiele zur Einführung in das ornamentale Studium der Pflanze; zum Gebrauche für Kunstgewerbe- und Bauschulen, Technische Hochschulen und höhere Unterrichtsanstalten sowie für Architekten und Kunsthandwerker — Dresden, 1895

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43158#0430
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
aber die Erfahrung, dass die Mehrzahl unserer Gewächse die wagerechte Lage der seitlichen Zweige
nicht rein zeigen, sondern eine von dem rechten Winkel abweichende, spitzere Winkelstellung in der
Richtung nach oben bevorzugen. Äusser in anderen Gründen, welche diese Stellung verursachen,
dürfen wir wieder in dem Einfluss der Schwerkraft und der ihr entgegenwirkenden vertikalen Wuchs-
eigenschaft der Pflanze die Erklärung dieser Erscheinung suchen: durch eine der Vertikalen sich
nähernde Stellung ihrer Zweige sucht die Pflanze die Wirkung der Eigenschwere der Organe abzu-
schwächen und sich das Tragen der letzteren zu erleichtern. Namentlich zeigen die ersten zarten
Sprossen der Verzweigung vor ihrer Erstarkung diese Richtung, wie aus früheren Beispielen von Laub-
sprossen und Tafel 75, 76 zu ersehen ist. Die spitzere Winkelstellung der Verzweigung nimmt in der
Höhenrichtung der Pflanze zu: die Verzweigungen divergieren untereinander; es findet dieser Umstand
ein Ebenbild in der divergierenden Stellung der seitlichen Rippen und der nach oben zunehmenden
spitzeren Winkel der seitlichen Rippen im fiedernervigen Laubblatt. Diese Divergenz der Verzweigung
gestattet eine freiere Entwickelung der übereinander liegenden Zweige.
Die Zweige erster Ordnung teilen sich, wie die Rippen im Blatt, meist weiter in Unterver-
zweigungen zweiter, dritter und weiterer Ordnungen, welche mehr oder weniger symmetrisch rechts
und links des Hauptzweiges ansetzen. Diese Unterverzweigungen setzen aber nicht die strahlenförmige
Verzweigung des Hauptstengels fort, sondern gehen zunehmend bis in die Blätter allmählich in sym-
metrische Flachbildung über, so dass der losgelöste Zweig im Verhältnis zu der Rundbildung der
Stammbelaubung mehr als eine Flächenerscheinung wirkt. Auch diese Erscheinung ist, wie die meisten
Wuchserscheinungen der Pflanze, nicht rein ausgesprochen: am vollkommensten tritt sie auf in den
Baumformen der Koniferen Eibe, Weisstanne), unter den Laubhölzern in der Linde, Buche, Ulme etc.
Je mehr sich die Zweige der senkrechten Stellung nähern, also zunehmend gegen den Gipfel der Pflanze,
um so mehr nähert sich auch ihre Nebenverzweigung wieder der strahlenförmigen Anordnung am
Schafte der Pflanze siehe letzte Tafel: Lorbeerendzweig'.
In den Laubblättern ist die Symmetrie am reinsten und die mit dem Erdboden parallel liegende
Flächenbildung am annäherndsten ausgesprochen. Viele Blätter setzen schon in einer Ebene zu beiden
Seiten des Zweiges an; wenn dies aber auch nicht der Fall ist: wenn ihre Ansatzpunkte in einer
Schraubenlinie um den Stengel des Zweiges angeordnet sind, suchen sie doch durch Drehung ihrer
Stiele diese Lage zu erreichen.
Die Breitenausdehnung der Zweige ordnet sich in ähnlicher Weise in den ihr zur Verfügung
stehenden Raum zwischen zwei Strahlen, wie das einzelne Blumenblatt in das cyklische Schema der
Blüte. Das Bild, welches die den Zweig beiderseitig seiner Achse umschreibenden Kurven ergeben,
gleicht aber wieder der, vom Stiele ab sich verbreiternden und nach seinem Kopfteile wieder konisch
zusammenziehenden Flächenform der Laubblätter.
Auch die Stellung der einzelnen seitlichen Nebenverzweigungen zu einander ist vielfältig wieder
eine gleich divergierende wie die der Rippen im fiedernervigen Laubblatte.
Ist in der seitlichen Verzweigung der Pflanze schon die Anordnung des Wuchses zur Aus-
nutzung des verfügbaren Raumes mit Rücksicht auf möglichste Freilagerung ihrer einzelnen Organe
ersichtlich, so finden wir auch, dass die strahlenförmig gleichwinkelige Stellung der Seitenorgane am
 
Annotationen