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38. XIII. Geistliches Lied und Briefentwurf. Eigh. Manuscript. 3 Seiten. Gross 8°.
Wieder ein ganz persönlich gefärbtes Lied. Es gibt die Stimmung aus dem Beginn
der Todeskrankheit weder, die sich in den Tagebüchern vom 15. April bis 27. Juli 1800 aus-
drückt (vgl. Nr. 157). Mit diesen stimmt auch genau das zur Handschrift verwandte Blatt
überein. Wie im Tagebuch überwindet er auch im Liede die Schwere der Krankheit durch
Erhebung zu Gott und denkt an Julie, seine zweite Braut. Die Verse des Tagebuches:
„Nur Glauben Herr und Zuversicht
So fürcht ich mich für mich und die Geliebte nicht"
lassen sich der ersten der beiden Strophen entgegenstellen, die lautet:
„Wenn in langen trüben Stunden
Unser Herz beynah verzagt,
Wenn von Krankheit überwunden
Angst in unserm Innern nagt.
Wir der Treugeliebten denken
Wie sie Gram und Kummer drückt,
Wolken unsern Blick beschränken,
Die kein Hoffnungsstral durchblickt."
Einen eigenartigen Gegensatz zu dem so jenseitig gestimmten Liede bildet der auf der
Innenseite des Blattes befindliche Brief entwurf an einen „geheimen Finanzrath" in
Dresden. Novalis bedankt sich für die Unterstützung des Briefempfängers bei seinen Be-
mühungen um eine Amtshauptmannsstelle. Die Energie, mit welcher sich der Dichter im
Berufsleben zu dieser Zeit betätigte, verrät also einen starken Lebenswillen, der sich durch
die Krankheit nicht gebrochen fühlt. Der Brief muss Anfang August entworfen sein, das 13.
geistl. Lied ist also sehr spät entstanden.
39. XIV. Geistliches Lied, das grosse Marienlied. Eigh. Manuscript. 2 Seiten. Gross-8ü.
In diesem und dem XV. geistl. Liede ersteht in reiner Pracht und Grösse die mittel-
alterliche Mariendichtung wieder, die zunächst an dem protestantisch-pietistisch eingestellten
Novalis befremdete, bis man die Verwandtschaft des Herrnhutertums zu Mystik und mittel-
alterlicher Gläubigkeit erkannte. Es ist zweifellos, dass auf die Gestaltung dieses Liedes das
Erlebnis der Sixtinischen Madonna von Raphael eingewirkt hat. Das spricht sich stark aus
in den Versen:
„Der kleine Gott auf deinen Armen
Wollt des Gespielen sich erbarmen;
Du aber hobst den hehren Blick
Und giengst in tiefe Wolkenpracht zurück."
Und so wird das Anschaun der Mutter, der gebenedeiten Königin zur Sehnsucht nach
der Kindschaft Gottes:
,,pu weisst geliebte Königinn
Wie ich so ganz dein eigen bin.
Hab ich nicht schon seit langen Jahren
Im Stillen deine Huld erfahren
Als ich, kaum Meiner noch bewusst
Sog ich schon Milch aus deiner selgen Brust."
Es sprechen manche Gründe dafür, dass Goethe zu den Worten des Doktor Marianus
am Schluss des Faust durch des Novalis Marienlied angeregt worden ist.
Die Beschaffenheit des Blattes weist auf den August 1799 hin, da es genau überein-
stimmt mit dem Brief in Nr. 133. Die Handschrift wird von Strophe zu Strophe feiner, gewisser-
massen aetherischer.
40. X. und XV. Geistliches Lied. Ferner zwei Ofterdingenlieder. Eigh. Manuscript.
' 4 Seiten. 4°. Viele Korrekturen.
Das X. Lied kann als Kreuzlied angesprochen werden. Die bangen Zeiten des Zweifels,
der religiösen Unsicherheit, des nahenden Wahnsinns werden geschildert, bis die Rettung
vom Kreuze herkommt:
„Wer hat das Kreutz erhoben
Zum Schutz für jedes Herz?
Wer wohnt im Himmel droben
Und fühlt in Angst und Schmerz.
Geh zu dem Wunderstamme
Gib stiller Sehnsucht Raum.
Aus ihm geht eine Flamme
Und zehrt den schweren Traum."
38. XIII. Geistliches Lied und Briefentwurf. Eigh. Manuscript. 3 Seiten. Gross 8°.
Wieder ein ganz persönlich gefärbtes Lied. Es gibt die Stimmung aus dem Beginn
der Todeskrankheit weder, die sich in den Tagebüchern vom 15. April bis 27. Juli 1800 aus-
drückt (vgl. Nr. 157). Mit diesen stimmt auch genau das zur Handschrift verwandte Blatt
überein. Wie im Tagebuch überwindet er auch im Liede die Schwere der Krankheit durch
Erhebung zu Gott und denkt an Julie, seine zweite Braut. Die Verse des Tagebuches:
„Nur Glauben Herr und Zuversicht
So fürcht ich mich für mich und die Geliebte nicht"
lassen sich der ersten der beiden Strophen entgegenstellen, die lautet:
„Wenn in langen trüben Stunden
Unser Herz beynah verzagt,
Wenn von Krankheit überwunden
Angst in unserm Innern nagt.
Wir der Treugeliebten denken
Wie sie Gram und Kummer drückt,
Wolken unsern Blick beschränken,
Die kein Hoffnungsstral durchblickt."
Einen eigenartigen Gegensatz zu dem so jenseitig gestimmten Liede bildet der auf der
Innenseite des Blattes befindliche Brief entwurf an einen „geheimen Finanzrath" in
Dresden. Novalis bedankt sich für die Unterstützung des Briefempfängers bei seinen Be-
mühungen um eine Amtshauptmannsstelle. Die Energie, mit welcher sich der Dichter im
Berufsleben zu dieser Zeit betätigte, verrät also einen starken Lebenswillen, der sich durch
die Krankheit nicht gebrochen fühlt. Der Brief muss Anfang August entworfen sein, das 13.
geistl. Lied ist also sehr spät entstanden.
39. XIV. Geistliches Lied, das grosse Marienlied. Eigh. Manuscript. 2 Seiten. Gross-8ü.
In diesem und dem XV. geistl. Liede ersteht in reiner Pracht und Grösse die mittel-
alterliche Mariendichtung wieder, die zunächst an dem protestantisch-pietistisch eingestellten
Novalis befremdete, bis man die Verwandtschaft des Herrnhutertums zu Mystik und mittel-
alterlicher Gläubigkeit erkannte. Es ist zweifellos, dass auf die Gestaltung dieses Liedes das
Erlebnis der Sixtinischen Madonna von Raphael eingewirkt hat. Das spricht sich stark aus
in den Versen:
„Der kleine Gott auf deinen Armen
Wollt des Gespielen sich erbarmen;
Du aber hobst den hehren Blick
Und giengst in tiefe Wolkenpracht zurück."
Und so wird das Anschaun der Mutter, der gebenedeiten Königin zur Sehnsucht nach
der Kindschaft Gottes:
,,pu weisst geliebte Königinn
Wie ich so ganz dein eigen bin.
Hab ich nicht schon seit langen Jahren
Im Stillen deine Huld erfahren
Als ich, kaum Meiner noch bewusst
Sog ich schon Milch aus deiner selgen Brust."
Es sprechen manche Gründe dafür, dass Goethe zu den Worten des Doktor Marianus
am Schluss des Faust durch des Novalis Marienlied angeregt worden ist.
Die Beschaffenheit des Blattes weist auf den August 1799 hin, da es genau überein-
stimmt mit dem Brief in Nr. 133. Die Handschrift wird von Strophe zu Strophe feiner, gewisser-
massen aetherischer.
40. X. und XV. Geistliches Lied. Ferner zwei Ofterdingenlieder. Eigh. Manuscript.
' 4 Seiten. 4°. Viele Korrekturen.
Das X. Lied kann als Kreuzlied angesprochen werden. Die bangen Zeiten des Zweifels,
der religiösen Unsicherheit, des nahenden Wahnsinns werden geschildert, bis die Rettung
vom Kreuze herkommt:
„Wer hat das Kreutz erhoben
Zum Schutz für jedes Herz?
Wer wohnt im Himmel droben
Und fühlt in Angst und Schmerz.
Geh zu dem Wunderstamme
Gib stiller Sehnsucht Raum.
Aus ihm geht eine Flamme
Und zehrt den schweren Traum."