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Meyer-Schwartau, Wilhelm
Der Dom zu Speier und verwandte Bauten: (die Dome zu Mainz und Worms, die Abteikirchen zu Limburg a. Hardt, Hersfeld und Kauffungen etc.) — Berlin, 1893

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https://doi.org/10.11588/diglit.21773#0048

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St. Martin liefert am ehesten einen Anhalt für
die Erbauungszeit der oberen Geschosse der O.-Thürme
des Domes und der Helme, welche dem 1253 er-
wähnten Heinricus magister operis zugeschrieben wer-
den können.

3. St. Andreas zu Worms. Ich möchte noch
ein anderes Bauwerk hier zum ersten Mal zum Ver-
gleich heranziehen, über welches ausführlichere, bisher
indess noch nicht benutzte Urkunden vorliegen: St. An-
dreas zu Worms. Um 1020 verlegte Bischof Burchard
das ausserhalb der Mauern belegene verfallene Kloster
in die Stadt101). Ueber die Schicksale des Baues sind
zunächst Nachrichten nicht erhalten. 1178 fand der
Propst Wortwinus die Stiftsgebäude verfallen und durch
Nachlässigkeit zerstört und verzichtet deshalb auf ihm zu-
stehende Einkünfte102). Vielleicht auf sein Anliegen
widmete Bischof Conrad v. Sternberg, der Erbauer der
1181 geweihten Domtheile, der schlechten Lage des Stifts
seine Fürsorge. Nachdem er bei einem Besuch überall
bejammernswerthe Trümmer gefunden, bestimmte er
1180 die Einkünfte der frei werdenden Präbenden
auf 4 Jahre zur Wiederherstellung der Baulichkeiten103).
Dass auch die Kirche sich in schlechtem Zustand be-
fand, geht aus einer Verfügung des Bischofs Lupoid
vom Jahre 1200 hervor, in der er den Kultus des
Andreasstiftes regelt und bei dieser Gelegenheit von
dem lobenswerthen Eifer spricht, mit dem das ehr-
würdige alte Gotteshaus wieder aus den Trümmern er-
hoben worden sei104). Um dieselbe Zeit, kurz vor oder
nach 1200, ist eine andere Urkunde zu setzen, in
welcher die vom Papste Innocenz III. beauftragten
Legaten verfügen, dass die Einkünfte zweier Prä-
benden unter anderem auch zur Wiederherstellung
der Dächer der Kirche nnd des Klosters dienen
sollen105).

101) Vita Burch. M. G. S. IV, p. 840.

102) Schannat. S. 128.

ad 1178. „Invenientes aedificia claustralium mansionum prae-
scriptae Ecclesiao, videlicet boati Andreae Ap. dilapsa, ac neglectu
deformata". — Auch Boos. Quellen. S. 71.

103) Boos. Quellen. S. 72.

ad 1180. „Dum visitandi gratia ad Ecclesiam beati Andreae
divertissemus, et lacrymabiles ruinas ex omni parte cerneremus diu-
tina cogitatione pensavimus, qualiter ejus aedificia possent resar-
ciri". — Schannat druckt die Urkunde zwischen 1190 u. 1191 ab.
I, S. 361.

>01) Boos. Quellen. S. 84 u. 85.

ad 1200. „Considerantes igitur vestram favorabilem industriam
quam circa ecclesie vestre sarta tecta declarastis (die Brüder nämlich),
quoniam paucis in temporibus sicut in presentiarum cernitur divino
auxilio nobile opus de antiquitatis templi ruinis exoitastis".

105) Boos. Quellen. S. 85.

um 1200? „Statuimus, (Legaten des Papstes Innocenz III.) ut
due prebende vacantes, altera quidem ad culturam agrorum et ad
reficienda tecta ecclesiae atque claustri", — etc.

Allen diesen zuverlässigen Nachrichten zufolge
war die Kirche im Jahre 1200 so weit fertig gestellt,
dass sie dem Gottesdienst übergeben werden konnte
und auch die Stiftsgebäude scheinen der Hauptsache
nach vollendet gewesen zu sein.

Eine Betrachtung des Bauwerkes lehrt, dass
damals, also zwischen 1180 und 1200 zuerst die Chor-
theile, dann die Seitenschiffe etc. und die Kloster-
gebäude hergestellt wurden106). Die Formen des Chores
sind dieselben wie die der Osttheile des Domes. . Das,
Chorjoch ist auf runden Eckdiensten mit einem
steilen Kreuzgewölbe überspannt, dessen Schildbögen
halbkreisförmig und nicht profilirt, und dessen Grate
spitzbogig und profilirt sind. Der Schlussstein ist
durchbohrt. Ein ähnliches Gewölbe, nur länglicher
und deshalb mit gedrückten Schilden an der S.- und
N.-Wand schliesst sich nach Osten an, zwei Joche des
Schiffes in Anspruch nehmend. Sind diese beiden
Gewölbe auch anscheinend jünger, so ist doch ihr
Entstehen vor 1200 nicht in Zweifel zu ziehen. Sie
gleichen völlig den beiden älteren Gewölben des Dom-
schiffes.

Besonders das stattliche Portal des N.-Seiten-
schiffes und der Kreuzgang verrathen dann in allen
ihren Einzelheiten, — das Portal in der Gliederung, dem
schematischen Palmettenornament und den Zickzack-
bögen , der Kreuzgang in Säulencapitälen und Basen
die nächste Verwandtschaft mit der Westchoranlage
des Domes. Wie bei St. Andreas innerhalb einer
Bauunternehmung derselbe Wechsel der Formen ein-
tritt, wie am Dom zwischen den Osttheilen sammt
dem Schiff einerseits und dem Westchor andererseits,
so können auch am Dom die Erbauungszeiten der
einzelnen Theile nicht weit von einander liegen. Der
Umbau von St. Andreas fällt völlig zusammen mit dem
Neubau des Domes, nur wurde der kleinere Bau
später begonnen und vielleicht früher vollendet.

Die nähere Bestimmung der Erbauungszeit des Dom-
Westchores mögen zwei weitere Bauwerke unterstützen:
Die Andreas-Capelle des Domes zu Strassburg und die
Kirche zu Otterberg.

4. Dom zu Strassburg, Andreas-Capelle.
Für die Erbauung der Andreas-Capelle bietet die 1190
hier erfolgte Beisetzung des Bischofs Heinrich einen An-
halt. Die Aehnlichkeit mit dem Westchor ist in jeder
Beziehung eine so grosse, dass beide von denselben
Werkleuten erbaut sein könnten. Jedenfalls gehörten
diese derselben Truppe an. Auch in Strassburg findet

106) Die Choranlage steht nicht nur auf älteren Fundamenten,
es scheinen auch über der Erde alte Bautheile nur verkleidet zu
sein. Die Schiffspfeiler gehören noch einem älteren Bau an (vielleicht
auch die Thürme?)
 
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