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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0039
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Adelsforschung - Wurzeln und Kontexte

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Alfons Dopsch kam im Rahmen seiner Beschäftigung mit den Wirtschaftsver-
hältnissen der Karolingerzeit zum Schluß, daß die adlige Standes- bzw. Familien-
qualität der Ausgangspunkt für die Ansammlung reichen Grundbesitzes und auch
für die Entstehung der Grundherrschaft gewesen sei, nicht die Folge. Dopsch wer-
tete nicht nur Rechts- und erzählende Quellen aus, sondern erstmals auch in grö-
ßerem Umfang Urkunden und Urbare. Adel und Grundherrschaft habe es schon
in der germanischen Zeit und dann auch in der Merowingerzeit gegeben, die
„Gemeinfreien" seien schon in der Frühzeit ein wirtschaftlich differenzierter Stand
gewesen. Großer Grundbesitz sei längst schon vorhanden gewesen, da Land sg-
CMudnw dz'gnz'Hü'ozigzfz vergeben wurde; die Germanen hätten durchaus individuel-
len Bodenbesitz gekannt. Schon bei der Landnahme habe es demnach beträchtliche
Unterschiede in der Besitzverteilung gegeben. Nach Dopsch existierte neben dem
Dienstadel ein alter Uradel, der durch großen Grundbesitz ausgezeichnet waUA
Adlige Herrschaft habe die Hochgerichtsbarkeit auch ohne königliche Verleihung
umfaßt. Die Bestimmungen der erhaltenen Immunitätsprivilegien von Königen
hätten nur eine schon in Anspruch genommene Seite der Immunität stärker her-
vorgekehrt; die „Autoimmunität" des Adels sei nicht vom König verliehene Im-
munität^. „Der hohe Adel, geistlich wie weltlich, erwarb jene Rechte (öffentliche
Herrschaftsrechte) nicht deshalb, weil er ein großer Grundbesitzer war, sondern
vermöge seiner politischen Stellung neben dem König"^°. Die „freien Marken"
seien eine jüngere Rechtsform, die nicht auf ältere Verhältnisse zurückgeführt
werden können und grundherrlich gebunden waren; die Markgenossenschaften in
Deutschland hatten sich demnach aus der herrschaftlichen Gebundenheit zur
Freiheit entwickelt^.
Otto von Düngern entdeckte den Herrenstand des 9. bis 12. Jahrhunderts und
entwarf damit ein Gesellschaftsmodell, dessen Grundzüge bereits Roth von Schre-
ckenstein vor der Durchsetzung einer rechtshistorisch geprägten Sichtweise ver-
treten hatteW Düngern polemisierte gegen die „dogmatisch-institutionelle" Orien-
tierung der Rechtsgeschichte und reklamierte für sich im Namen der Soziologie,
mit der Verwendung personengeschichtlicher Methoden gegen die herrschende
Rechts- und Verfassungsgeschichte vorzugehen. Damit verbunden war der An-
spruch, „das Quellenmaterial" zu verarbeiten statt „mit einer begrifflich formulier-

118 Vgl. A. DOPSCH, Grundlagen, Bd. 2, S. 97-112. Zur weltlichen Grundherrschaft vgl. DERS., Wirt-
schaftsentwicklung, Bd. 1, S. 293-328.
119 Vgl. A. DOPSCH, Wirtschaftsentwicklung, Bd. 1, S. 402, 442f.
120 A. DOPSCH, Herrschaft, S. 5.
121 A. DOPSCH, Wirtschaftsentwicklung, Bd. 1, S. 361-402. Zu den Kritikern der Lehre von den ur-
sprünglichen Markgenossenschaften vgl. v.a. KULISCHER, Wirtschaftsgeschichte, S. 30f.
122 DÜNGERN, Herrenstand. ROTH VON SCHRECKENSTEIN, Reichsritterschaft Bd. 1, S. 145, hatte bereits
1859 davon gesprochen, daß es in der Ottonenzeit einen nicht durch die Grafenwürde ausgezeichne-
ten hohen Adel gegeben habe, der später als hoher Adel bezeichnet worden sei.
 
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