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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0164
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160

Kapitel 2

Rechtsnormen in einer „oralen Gesellschaft" hatten^. Wolfgang Sellert hat von
einer staatsautoritären Gesetzgebung gesprochen, die der Rechtswirklichkeit fern-
stand, weil die frühmittelalterlichen Gesetzgeber unrealistische Vorstellungen von
der Rechtswirklichkeit hatten und es auch an der staatlichen Durchsetzungsgewalt
fehlte^.
Unumstritten ist diese Sicht allerdings nicht. So hat etwa Ruth Schmidt-
Wiegand zu zeigen versucht, daß die Lex Salica sehr wohl Verbreitung und Beach-
tung gefunden hat^; eine ähnliche Auffassung vertrat Rosamond McKitterick vor
dem Hintergrund ihrer zentralen These, daß man die Bedeutung von Schrift-
kenntnissen im Frankenreich nicht unterschätzen solleW Kritisiert wurden die
Thesen von Nelsen und Schott auch von Raymund Kottje im Hinblick auf die Lex
Baiuvariorum und die Lex AlamannorunPA Wilfried Hartmann zeigte für das
kirchliche Recht, das Rechtskenntnisse durchaus auch bei Laien vorhanden wa-
ren^k Gegen Sellert betonte Siems nach einer Untersuchung der Frage, ob in Ab-
schriften gezielte Änderungen vorgenommen worden seien, daß Rechtsaufzeich-
nungen nicht nur die abgehobene Funktion herrscherlicher Rechtsdarstellung
hatten. Mit ihnen sei - wenngleich noch eher unbeholfen - durchaus gearbeitet
worden^. Auch Jürgen Weitzel wandte gegen Sellert ein, daß man von Volksrecht
sprechen müsse; mündlich tradiertes Überzeugungsrecht sei aufgezeichnet wor-
den. Verwendet worden seien die Rechtsbücher in der Praxis allerdings nichtW
Ein Ende der Erörterung dieses grundlegenden Problems ist noch nicht abzusehen;
es dürfte aber auf der Hand liegen, daß die Einschätzung in erster Linie vom Ge-
samtbild der fränkischen Zeit abhängt, die wiederum in Verbindung mit der Frage
zu sehen ist, wie groß man den Einfluß spätantiker Kontinuitäten in Verwaltung
und Kultur ansetzt.
Mit der Entdeckung der Bedeutung spätantik-römischer Kontinuitäten gerade
im Bereich des Rechts ist noch eine weitere Schwierigkeit aufgetaucht. Der Nach-
weis der Einflüsse des spätantiken Vulgarrechts auf die Leges in ganz unterschied-
lichen Bereichen wirft die Frage auf, inwieweit die sozialen Kategorien der Leges
Ausdruck römischer Vorstellungen sind und demnach nur bedingt Aufschlüsse
über die germanische Wirklichkeit bieten. Daß die grundsätzliche Zweiteilung der
Bevölkerung in über und scrvhs spätrömisches Erbe sei, ist etwa von Clausdieter

353 Vgl. v.a. VOLLRATH, Mittelalter; DIES., Rechtstexte; DlLCHER, Gewohnheitsrecht; WEITZEL, Gewohn-
heitsrecht.
354 Vgl. SELLERT, Aufzeichnungen.
355 Vgl. nur SCHMIDT-WIEGAND, Recht und Gesetz.
356 Vgl. MCKITTERICK, Carolingians.
357 Vgl. KOTTJE, Lex Baiuvariorum; DERS., Geltungsbereich. Vgl. auch STÖRMER, Prozeß, S. 157f.
358 Vgl. HARTMANN, Rechtskenntnis.
359 Vgl. SIEMS, Bearbeitungen.
360 Vgl. WEITZEL, Strafe, S. 140f.
 
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