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Kapitel 6
Jahrhundert Burgen errichtet hätten. Im Westen habe die Ära des Burgenbaus um
1000 begonnen, im Osten dagegen erst nach der Mitte des 11. Jahrhunderts^. Die
Vorstellung von der „Vertikalverschiebung" des Adelssitzes im Raum zwischen
1050 und 1200 wird etwa sehr deutlich sichtbar bei der Arbeit von Bitschnau über
die Verhältnisse in TiroPA
Plausibel war dieser zeitliche Ansatz nicht zuletzt deshalb, weil er in einen um-
fassenderen Kontext eingebettet werden konnte. Wie Timothy Reuter treffend
bemerkt hat, ist diese Sicht kompatibel mit der These von Karl Schmid über den
Strukturwandel der Adelsfamilie und die Entstehung adliger Geschlechter^. Die
Vorstellung von einem kausalen Zusammenhang mit dem Burgenbau bot sich für
die deutsche Forschung geradezu an. Es lag daher auch nahe, daß insbesondere
Untersuchungen über den Südwesten des Reichs direkt auf Schmid Bezug nah-
men. Einen anderen Kontext hat allerdings Michael Mitterauer hervorgehoben,
der, wie erwähnt, bei der Diskussion der Schmid-These genau diesen Zusammen-
hang bestritten hat. Mitterauer vermutete eine Entwicklung vom älteren Burg-
stadttypus zur adligen Herrenburg, ohne allerdings in der Datierungsfrage eine
wesentlich andere Position einzunchmcA'k
Die Frage nach dem Beginn des adligen Burgenbaus mußte für die Anhänger
der Adelsherrschaftstheorie also abgekoppelt werden von der These der Existenz
eines Adels schon in frühfränkischer Zeit. Hier gab es mehrere Möglichkeiten.
Franz Irsigler löste das Problem mit Hilfe der Annahme, man müsse streng zwi-
schen den beiden Wurzeln des Adels im Frankenreich unterscheiden. Man könne
von einem burgsitzenden romanischen Adel und von germanischen Großen spre-
chen, die auf unbefestigten größeren Höfen saßen^P Es ist wenig erstaunlich, daß
diese Unterscheidung von jenen Historikern in Zweifel gezogen worden ist, die im
Rahmen der These von der großen Bedeutung spätantik-römischer Kontinuitäten
die Existenz einer relativ einheitlichen Adelsschicht annehmen wollten. So hat
etwa Martin Heinzeimann bemerkt, daß man von Adelsburgen romanischer Gro-
ßer im 6. Jahrhundert kein Zeugnis habe^k
Noch in den siebziger Jahren herrschte also weitgehend Konsens: Von einem
Burgenbau des Adels im Ostreich könne man erst für das 11. Jahrhundert spre-
chen. Diese These geriet allerdings zunehmend in die Kritik, da archäologische
Untersuchungen in einer immer größer werdenden Anzahl von Einzelfällen eine
frühere Datierung nahelegte. Zudem erwachte das Interesse am vorstaufischen
Burgenbau und an dessen Vorläufern erst in jüngerer Zeit, da diese Bauten in den
203 Vgl. R. SCHIEFFER, Burgen, S. 497.
204 Vgl. BITSCHNAU, Burg.
205 Vgl. T. REUTER, König, Adelige, S. 132f.
206 Vgl. MITTERAUER, Herrenburg.
207 Vgl. IRSIGLER, Untersuchungen, S. 232f.
208 Vgl. M. HEINZELMANN, Rezension zu IRSIGLER, Untersuchungen, in: Francia 1,1973, S. 788f.
Kapitel 6
Jahrhundert Burgen errichtet hätten. Im Westen habe die Ära des Burgenbaus um
1000 begonnen, im Osten dagegen erst nach der Mitte des 11. Jahrhunderts^. Die
Vorstellung von der „Vertikalverschiebung" des Adelssitzes im Raum zwischen
1050 und 1200 wird etwa sehr deutlich sichtbar bei der Arbeit von Bitschnau über
die Verhältnisse in TiroPA
Plausibel war dieser zeitliche Ansatz nicht zuletzt deshalb, weil er in einen um-
fassenderen Kontext eingebettet werden konnte. Wie Timothy Reuter treffend
bemerkt hat, ist diese Sicht kompatibel mit der These von Karl Schmid über den
Strukturwandel der Adelsfamilie und die Entstehung adliger Geschlechter^. Die
Vorstellung von einem kausalen Zusammenhang mit dem Burgenbau bot sich für
die deutsche Forschung geradezu an. Es lag daher auch nahe, daß insbesondere
Untersuchungen über den Südwesten des Reichs direkt auf Schmid Bezug nah-
men. Einen anderen Kontext hat allerdings Michael Mitterauer hervorgehoben,
der, wie erwähnt, bei der Diskussion der Schmid-These genau diesen Zusammen-
hang bestritten hat. Mitterauer vermutete eine Entwicklung vom älteren Burg-
stadttypus zur adligen Herrenburg, ohne allerdings in der Datierungsfrage eine
wesentlich andere Position einzunchmcA'k
Die Frage nach dem Beginn des adligen Burgenbaus mußte für die Anhänger
der Adelsherrschaftstheorie also abgekoppelt werden von der These der Existenz
eines Adels schon in frühfränkischer Zeit. Hier gab es mehrere Möglichkeiten.
Franz Irsigler löste das Problem mit Hilfe der Annahme, man müsse streng zwi-
schen den beiden Wurzeln des Adels im Frankenreich unterscheiden. Man könne
von einem burgsitzenden romanischen Adel und von germanischen Großen spre-
chen, die auf unbefestigten größeren Höfen saßen^P Es ist wenig erstaunlich, daß
diese Unterscheidung von jenen Historikern in Zweifel gezogen worden ist, die im
Rahmen der These von der großen Bedeutung spätantik-römischer Kontinuitäten
die Existenz einer relativ einheitlichen Adelsschicht annehmen wollten. So hat
etwa Martin Heinzeimann bemerkt, daß man von Adelsburgen romanischer Gro-
ßer im 6. Jahrhundert kein Zeugnis habe^k
Noch in den siebziger Jahren herrschte also weitgehend Konsens: Von einem
Burgenbau des Adels im Ostreich könne man erst für das 11. Jahrhundert spre-
chen. Diese These geriet allerdings zunehmend in die Kritik, da archäologische
Untersuchungen in einer immer größer werdenden Anzahl von Einzelfällen eine
frühere Datierung nahelegte. Zudem erwachte das Interesse am vorstaufischen
Burgenbau und an dessen Vorläufern erst in jüngerer Zeit, da diese Bauten in den
203 Vgl. R. SCHIEFFER, Burgen, S. 497.
204 Vgl. BITSCHNAU, Burg.
205 Vgl. T. REUTER, König, Adelige, S. 132f.
206 Vgl. MITTERAUER, Herrenburg.
207 Vgl. IRSIGLER, Untersuchungen, S. 232f.
208 Vgl. M. HEINZELMANN, Rezension zu IRSIGLER, Untersuchungen, in: Francia 1,1973, S. 788f.