2. Das Verfahren und seine Folgen für exkommunizierte Laien
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tropoliten an das päpstliche Gericht.306 Allerdings konnte der apostolische Stuhl
auch in allen Angelegenheiten sofort angerufen werden.307 Insgesamt ist für den
Untersuchungszeitraum der Trend zu verzeichnen, sich in Bedrängnis an den
Papst zu wenden.308 Organisatorisch war es selbstverständlich nicht möglich,
dass der Papst in all diesen Fällen richtete. Jedoch konnte er seine Gerichtsbar-
keit, wie oben angedeutet, delegieren.309 Müller vermutet, dass „in den meisten
Fällen zweckrationale Motive der Entscheidung zugrunde liegen [dürften], den
zeitlichen und finanziellen Aufwand eines Verfahrens vor dem päpstlichen
Gericht in Kauf zu nehmen."310
Nun konnte freilich der Fall eintreten, dass man vom Papst appellieren
wollte, da man dessen Entscheidung anzweifelte. Neben der auf Erden wenig
aussichtsreichen Appellation an ein Gottesgericht begegnet in der Praxis die
Appellation an den künftigen Nachfolger des Papstes oder an ein künftiges
allgemeines Konzil. Hans-Jürgen Becker betont, dass dies „in der kodifizierten
Ordnung des kanonischen Appellationsrechts keine Berücksichtigung" fände,311
im Gegenteil waren Berufungen gegen die Entscheidungen des Papstes sogar
verboten.312 Dies war bereits in vorgratianischer Zeit nicht unumstritten, und
auch ein Beispiel für Streitereien um einen exkommunizierten Laien, nämlich
den 1080 zum zweiten Mal gebannten Heinrich IV, lässt sich Becker zufolge
finden.313 Petrus Crassus etwa wollte in seiner Defensio Heinrici regis ein Konzil
zusammengerufen sehen, das über die Urteile Gregors und die über Heinrich
verhängten censurae beraten sollte,314 während Manegold von Lautenbach (um
1040-1103) die Schlüsselgewalt des Papstes auch gegenüber dem Kaiser vertei-
digte und eine Appellation gegen dessen Urteil ausschloss.315 Dies war aber
selbst unter den Anhängern der Opposition gegen Heinrich IV. umstritten.316
306 Plöchl 1962: Geschichte des Kirchenrechts, 2, S. 352. Siehe auch Jacobi 1913: Prozeß, S. 241,
Hergenrother 1875: Appellationen, S. 16-20, allgemein Morhard 1995: Gerichtliche Berufung,
S. 61, zur Entwicklung ebd., S. 93 ff., 100.
307 Siehe beispielsweise C. 2, q. 6, c. 6 und c. 8. Siehe hierzu etwa Litewski 1970/1973: Appeal, S. 208 f.
oder Morhard 1995: Gerichtliche Berufung, S. 100 mit Verweisen auf die ältere Literatur. Auch im
Liber Extra wird dies aufgegriffen (X 2.28.56 und 31), siehe ebd., S. 104.
308 Müller 2008: Entscheidung, S. 123 f., Becker 2013: Entwicklung, S. 11 f., Falkenstein 1986: Ap-
pellationen, S. 36 f.
309 Falkenstein 1986: Appellationen, S. 37-43, 57.
310 Müller 2008: Entscheidung, S. 129.
311 Becker 1988: Appellation, S. 12.
312 Becker 1988: Appellation, S. 21-28, 273 f. mit Bezug auf C. 9 q. 3 c. 10, c. 16 f., C. 17 q. 4 c. 30. Zum
Nachhall bei den Dekretisten und Dekretalisten ebd., S. 274 ff.
313 Becker 1988: Appellation, S. 33.
314 Petrus Crassus: Defensio Heinrici IV. regis, hrsg. von von Heinemann, in: MGH Ldl 1, S. 438 und
448.
315 Manegold von Lautenbach: Liber ad Gerhardum, c. 7, hrsg. von Francke, in: MGH Ldl 1, S. 323 f.
mit Bezug auf die Canones Cuncta per mundum und Nemini est. Ähnlich wie Manegold urteilten
auch Bernold von St. Blasien (um 1050-1100) und Bernhard von Konstanz (t 1088), siehe hierzu
Becker 1988: Appellation, S. 33.
316 Becker 1988: Appellation, S. 34 macht hier auf die Diskussion auf einer Synode, die am 20. April
1085 in Quedlinburg unter dem Vorsitz des Legaten Otto von Ostia stattfand, aufmerksam. Hier
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tropoliten an das päpstliche Gericht.306 Allerdings konnte der apostolische Stuhl
auch in allen Angelegenheiten sofort angerufen werden.307 Insgesamt ist für den
Untersuchungszeitraum der Trend zu verzeichnen, sich in Bedrängnis an den
Papst zu wenden.308 Organisatorisch war es selbstverständlich nicht möglich,
dass der Papst in all diesen Fällen richtete. Jedoch konnte er seine Gerichtsbar-
keit, wie oben angedeutet, delegieren.309 Müller vermutet, dass „in den meisten
Fällen zweckrationale Motive der Entscheidung zugrunde liegen [dürften], den
zeitlichen und finanziellen Aufwand eines Verfahrens vor dem päpstlichen
Gericht in Kauf zu nehmen."310
Nun konnte freilich der Fall eintreten, dass man vom Papst appellieren
wollte, da man dessen Entscheidung anzweifelte. Neben der auf Erden wenig
aussichtsreichen Appellation an ein Gottesgericht begegnet in der Praxis die
Appellation an den künftigen Nachfolger des Papstes oder an ein künftiges
allgemeines Konzil. Hans-Jürgen Becker betont, dass dies „in der kodifizierten
Ordnung des kanonischen Appellationsrechts keine Berücksichtigung" fände,311
im Gegenteil waren Berufungen gegen die Entscheidungen des Papstes sogar
verboten.312 Dies war bereits in vorgratianischer Zeit nicht unumstritten, und
auch ein Beispiel für Streitereien um einen exkommunizierten Laien, nämlich
den 1080 zum zweiten Mal gebannten Heinrich IV, lässt sich Becker zufolge
finden.313 Petrus Crassus etwa wollte in seiner Defensio Heinrici regis ein Konzil
zusammengerufen sehen, das über die Urteile Gregors und die über Heinrich
verhängten censurae beraten sollte,314 während Manegold von Lautenbach (um
1040-1103) die Schlüsselgewalt des Papstes auch gegenüber dem Kaiser vertei-
digte und eine Appellation gegen dessen Urteil ausschloss.315 Dies war aber
selbst unter den Anhängern der Opposition gegen Heinrich IV. umstritten.316
306 Plöchl 1962: Geschichte des Kirchenrechts, 2, S. 352. Siehe auch Jacobi 1913: Prozeß, S. 241,
Hergenrother 1875: Appellationen, S. 16-20, allgemein Morhard 1995: Gerichtliche Berufung,
S. 61, zur Entwicklung ebd., S. 93 ff., 100.
307 Siehe beispielsweise C. 2, q. 6, c. 6 und c. 8. Siehe hierzu etwa Litewski 1970/1973: Appeal, S. 208 f.
oder Morhard 1995: Gerichtliche Berufung, S. 100 mit Verweisen auf die ältere Literatur. Auch im
Liber Extra wird dies aufgegriffen (X 2.28.56 und 31), siehe ebd., S. 104.
308 Müller 2008: Entscheidung, S. 123 f., Becker 2013: Entwicklung, S. 11 f., Falkenstein 1986: Ap-
pellationen, S. 36 f.
309 Falkenstein 1986: Appellationen, S. 37-43, 57.
310 Müller 2008: Entscheidung, S. 129.
311 Becker 1988: Appellation, S. 12.
312 Becker 1988: Appellation, S. 21-28, 273 f. mit Bezug auf C. 9 q. 3 c. 10, c. 16 f., C. 17 q. 4 c. 30. Zum
Nachhall bei den Dekretisten und Dekretalisten ebd., S. 274 ff.
313 Becker 1988: Appellation, S. 33.
314 Petrus Crassus: Defensio Heinrici IV. regis, hrsg. von von Heinemann, in: MGH Ldl 1, S. 438 und
448.
315 Manegold von Lautenbach: Liber ad Gerhardum, c. 7, hrsg. von Francke, in: MGH Ldl 1, S. 323 f.
mit Bezug auf die Canones Cuncta per mundum und Nemini est. Ähnlich wie Manegold urteilten
auch Bernold von St. Blasien (um 1050-1100) und Bernhard von Konstanz (t 1088), siehe hierzu
Becker 1988: Appellation, S. 33.
316 Becker 1988: Appellation, S. 34 macht hier auf die Diskussion auf einer Synode, die am 20. April
1085 in Quedlinburg unter dem Vorsitz des Legaten Otto von Ostia stattfand, aufmerksam. Hier