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Invidus est tristis, cupidus dextraeque tenacis,
non expers fraudis, timidus luteique coloris,
als auch bei der Schilderung ihrer Wirkungen auf den Körper, die bezüglich der Melancholie teils das Vorhergesagte
wiederholend, wie folgt, lautet:
humorum pleno dum faex in corpore regnat,
nigra cutis, durus pulsus, tenuis et urina,
sollicitudo, humor, tristitia, somnia tetra.
Accrescit rugitus, sapor et sputaminis idem
laevaque praecipue tinnit et sibilat auris.
Man sieht, bis auf die Lust zu Studien, die damit in Verbindung gebrachte Gleicbgiltigkeit gegen Schlaf und die
Stetigkeit des Willens wird nur Schlechtes von der Melancholie erzählt; jedoch auch diese Anklänge an die antike
Lehre verflüchtigen sich schon in dem' berühmten Kommentare, den Arnauld de Villeneuve, ein Zeitgenosse
Pietros da Abano, zu den Versen schrieb. Er berichtet zwar von der Entstehung und der Tätigkeit der schwarzen Galle,
wie sie in der Leber sich bilde, um teils im Blute für die Entwicklung der Knochen zu sorgen, teils in die Milz abzu-
fließen, die dadurch den Körper von ihrer überschießenden Menge befreit; er unterscheidet von dieser auch Candida
genannten melancholia naturalis weiter eine innaturalis oder adusta als ein Verbrennungsprodukt der einzelnen Säfte
und erklärt so schließlich aus der erdigen Natur der Melancholie, die sich in ihrer Kälte und Trockenheit äußert, die
verschiedenen Wirkungen auf den Menschen Aber keineswegs kommt er hierbei auf das von dem zeitgenössischen
Italiener kommentierte Problem zu sprechen. Er begnügt sich damit, den Hang der Melancholiker zum Studium kurz
mit ihrer Vorliebe zur Einsamkeit abzufertigen, ihr geringes Schlafbedürfnis als eine Schlaflosigkeit aufzufassen, die
aus der Trockenheit ihres Hirns und ihren schrecklichen Träumen entsteht, und in ihrer Willensfestigkeit mehr
Halsstarrigkeit und Unversöhnlichkeit zu erblicken; überall ist er also bestrebt, zu verkleinern und verschlechtern.
Das entspricht allerdings seiner an anderer Stelle einmal geäußerten Ansicht, daß die Melancholie den Prinzipien des
Lebens am fernsten stände, eine Feindin jeder Fröhlichkeit und Liberalität und eine Verwandte der Greisenhaftigkeit
und des Todes sei.
Immer weniger werden darauf die von den salernitanischen Ärzten noch berücksichtigten guten Seiten der
Schwarzgalligkeit beachtet. Stellte man aus ihren Versen eine kurze Charakteristik der Temperamente zusammen,
so galten als maßgebend für den Melancholiker nur die beiden, welche ihn als neidisch, traurig, habgierig, geizig,
treulos, furchtsam und lehmfarben schildern, eine Auffassung, die dann auch allein in die populären, deutschen Ab-
handlungen über die vier »Complexe« eindringt. Bezeichnenderweise enthält ein dem XV. Jahrhundert angehörender
Sammelband medizinischer Manuskripte, der Codex 5486 der Wiener Hofbibliothek, außer solchem Auszuge aus den
Gesundheitsregeln auch eine entsprechende Prosabearbeitung als Teil eines deutschen »regimen sanitatis«, wie der
Titel einer mit einem »memento 1471« schließenden Abschrift lautet. Gerade die darin der Lehre von den Tem-
peramenten gegebene Phrasierung hat sich eines ganz ungemeinen Beifalls in Deutschland erfreut. Denn sie findet
sich nicht nur in den allerorts erscheinenden Königspergerschen Kalendern regelmäßig fast wörtlich nur mit einzelnen
dialektischen Verschiedenheiten, sondern ist im wesentlichen auch den Abhandlungen über die Physiognomik vor-
gestellt, die unter der Bezeichnung »Büchlein von complexion der menschen« von 1512 bis 1516 jährlich wieder
aufgelegt wurden.1 Darum möge auch hier ihr Wortlaut teils wörtlich folgen.
Zunächst wird das Verhältnis der Temperamente zu den Elementen aufsteigend von der Schwere auseinander-
gesetzt. »Ein jeglicher mensch«, heißt es da, »ist geschasfen von vier feuchtigkeit der element, das ist von der erden,
von wasser, von luft, von feuer; und von den hat ein jeglicher mensch besunder varbe, gestalt und sitten, ein anders
denn der andre. Von der erden ist der mensch kalt und (trucken und schwer und erdfarb, vom wasser ist der mensch
kalt)2 und feucht und weis, von dem luft ist der mensch warm, feucht und rot und sehen, von dem feuer ist der mensch
heiß und druckchen und grave färb, als man findet hernach ein jegleichen besunder; und von den vier dementen ist
ein jegleich mensch geschasfen, und welches unter den an dem menschen mer ist, nach dem wird der mensch genaturt.
Also hat er der erden mer, so wirt er ein melancholicus und wirt geleicht dem herbst und der erden natur; hat er aber
des wassers mer, so wirt er genannt flegmaticus und wirt geleicht dem wintter, und wassers natur hat er; hat er aber
des lufftes mer, so wirt ein sangwineus und wirt geleicht dem lenzen und ist des luftes natur; hat er des feuers mer,
so ist er ein colericus und ist gesitt nach natur des feuers und wirt geleicht dem sumer. Und von den vieren
complexen und iren eigenschaften soltu merkchen hernach, bei veleichen zeichen du die solt erkennen und danach
die andern.« Darauf beginnt die Einzelbesprechung unter Berufung auf Aristoteles mit dem Sanguiniker, um ent-
1 Hier ist ein besonderer Dank der Direclion der k. k. Hof bibliothek zu Wien und der Hof- u. Staatsbibliothek zu München dafür abzustatten,
dass einige der in München aufbewahrten Exemplare auf dem Kupserstichkabinet der Hosbibliothek zu Wien eingesehen werden konnten.
2 Im Codex 5486 fehlt die eingeklammerte Stelle p. 56v.; sie ist entsprechend dem Text des Kalendarius teutsch Meister Johannis Künigspergers
erschienen zu Augsburg bei Johann Syttich 1512, ergänzt.
Invidus est tristis, cupidus dextraeque tenacis,
non expers fraudis, timidus luteique coloris,
als auch bei der Schilderung ihrer Wirkungen auf den Körper, die bezüglich der Melancholie teils das Vorhergesagte
wiederholend, wie folgt, lautet:
humorum pleno dum faex in corpore regnat,
nigra cutis, durus pulsus, tenuis et urina,
sollicitudo, humor, tristitia, somnia tetra.
Accrescit rugitus, sapor et sputaminis idem
laevaque praecipue tinnit et sibilat auris.
Man sieht, bis auf die Lust zu Studien, die damit in Verbindung gebrachte Gleicbgiltigkeit gegen Schlaf und die
Stetigkeit des Willens wird nur Schlechtes von der Melancholie erzählt; jedoch auch diese Anklänge an die antike
Lehre verflüchtigen sich schon in dem' berühmten Kommentare, den Arnauld de Villeneuve, ein Zeitgenosse
Pietros da Abano, zu den Versen schrieb. Er berichtet zwar von der Entstehung und der Tätigkeit der schwarzen Galle,
wie sie in der Leber sich bilde, um teils im Blute für die Entwicklung der Knochen zu sorgen, teils in die Milz abzu-
fließen, die dadurch den Körper von ihrer überschießenden Menge befreit; er unterscheidet von dieser auch Candida
genannten melancholia naturalis weiter eine innaturalis oder adusta als ein Verbrennungsprodukt der einzelnen Säfte
und erklärt so schließlich aus der erdigen Natur der Melancholie, die sich in ihrer Kälte und Trockenheit äußert, die
verschiedenen Wirkungen auf den Menschen Aber keineswegs kommt er hierbei auf das von dem zeitgenössischen
Italiener kommentierte Problem zu sprechen. Er begnügt sich damit, den Hang der Melancholiker zum Studium kurz
mit ihrer Vorliebe zur Einsamkeit abzufertigen, ihr geringes Schlafbedürfnis als eine Schlaflosigkeit aufzufassen, die
aus der Trockenheit ihres Hirns und ihren schrecklichen Träumen entsteht, und in ihrer Willensfestigkeit mehr
Halsstarrigkeit und Unversöhnlichkeit zu erblicken; überall ist er also bestrebt, zu verkleinern und verschlechtern.
Das entspricht allerdings seiner an anderer Stelle einmal geäußerten Ansicht, daß die Melancholie den Prinzipien des
Lebens am fernsten stände, eine Feindin jeder Fröhlichkeit und Liberalität und eine Verwandte der Greisenhaftigkeit
und des Todes sei.
Immer weniger werden darauf die von den salernitanischen Ärzten noch berücksichtigten guten Seiten der
Schwarzgalligkeit beachtet. Stellte man aus ihren Versen eine kurze Charakteristik der Temperamente zusammen,
so galten als maßgebend für den Melancholiker nur die beiden, welche ihn als neidisch, traurig, habgierig, geizig,
treulos, furchtsam und lehmfarben schildern, eine Auffassung, die dann auch allein in die populären, deutschen Ab-
handlungen über die vier »Complexe« eindringt. Bezeichnenderweise enthält ein dem XV. Jahrhundert angehörender
Sammelband medizinischer Manuskripte, der Codex 5486 der Wiener Hofbibliothek, außer solchem Auszuge aus den
Gesundheitsregeln auch eine entsprechende Prosabearbeitung als Teil eines deutschen »regimen sanitatis«, wie der
Titel einer mit einem »memento 1471« schließenden Abschrift lautet. Gerade die darin der Lehre von den Tem-
peramenten gegebene Phrasierung hat sich eines ganz ungemeinen Beifalls in Deutschland erfreut. Denn sie findet
sich nicht nur in den allerorts erscheinenden Königspergerschen Kalendern regelmäßig fast wörtlich nur mit einzelnen
dialektischen Verschiedenheiten, sondern ist im wesentlichen auch den Abhandlungen über die Physiognomik vor-
gestellt, die unter der Bezeichnung »Büchlein von complexion der menschen« von 1512 bis 1516 jährlich wieder
aufgelegt wurden.1 Darum möge auch hier ihr Wortlaut teils wörtlich folgen.
Zunächst wird das Verhältnis der Temperamente zu den Elementen aufsteigend von der Schwere auseinander-
gesetzt. »Ein jeglicher mensch«, heißt es da, »ist geschasfen von vier feuchtigkeit der element, das ist von der erden,
von wasser, von luft, von feuer; und von den hat ein jeglicher mensch besunder varbe, gestalt und sitten, ein anders
denn der andre. Von der erden ist der mensch kalt und (trucken und schwer und erdfarb, vom wasser ist der mensch
kalt)2 und feucht und weis, von dem luft ist der mensch warm, feucht und rot und sehen, von dem feuer ist der mensch
heiß und druckchen und grave färb, als man findet hernach ein jegleichen besunder; und von den vier dementen ist
ein jegleich mensch geschasfen, und welches unter den an dem menschen mer ist, nach dem wird der mensch genaturt.
Also hat er der erden mer, so wirt er ein melancholicus und wirt geleicht dem herbst und der erden natur; hat er aber
des wassers mer, so wirt er genannt flegmaticus und wirt geleicht dem wintter, und wassers natur hat er; hat er aber
des lufftes mer, so wirt ein sangwineus und wirt geleicht dem lenzen und ist des luftes natur; hat er des feuers mer,
so ist er ein colericus und ist gesitt nach natur des feuers und wirt geleicht dem sumer. Und von den vieren
complexen und iren eigenschaften soltu merkchen hernach, bei veleichen zeichen du die solt erkennen und danach
die andern.« Darauf beginnt die Einzelbesprechung unter Berufung auf Aristoteles mit dem Sanguiniker, um ent-
1 Hier ist ein besonderer Dank der Direclion der k. k. Hof bibliothek zu Wien und der Hof- u. Staatsbibliothek zu München dafür abzustatten,
dass einige der in München aufbewahrten Exemplare auf dem Kupserstichkabinet der Hosbibliothek zu Wien eingesehen werden konnten.
2 Im Codex 5486 fehlt die eingeklammerte Stelle p. 56v.; sie ist entsprechend dem Text des Kalendarius teutsch Meister Johannis Künigspergers
erschienen zu Augsburg bei Johann Syttich 1512, ergänzt.