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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.4251#0044
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senfft rollen, und senffte schiffarten und allermeist die verenderung, lüchte geschefft und mancherhand sach oder
arbeit, die nitverdrüßlich oder schwer seind und ein empsigund vil beywonung oder gemeinschafft fründlicher, fröh-
licher, gnadericher menschen«. Aus eigener Erfahrung preist er aber besonders, wie bereits erwähnt, die wohltätige
Wirkung der Musik, nachdem er sich unmittelbar vorher auf Mercurius, Pythagoras und Piaton, die »heissent das
trurig und verruckt gemüt mit saitenspyl und gesang stetigs wiederzusamenlesen«, und auf David berufen hat,
der »Säulen erlediget von der unsinnigkeit mit dem psalter und gesang der harpffen«.
An anderer Stelle, cap. XXIII., wo Marsiglio »von der rechten hilff und grüntlichen Vertreibung atre bilis, der
melancolyen, und wie du dich halten solt, ee du dich arzneist« zu handeln beginnt, also die bekämpfenden Mittel ins
Auge faßt, versäumt er auch nicht zu betonen, wie wichtig »alles das, das erfrawen, und frölich machen mag«, für den
Menschen ist, in dem bereits die »melancoly überflüssig ist und wütet«. Das Bild, welches hier dem Texte von dem Ver-
leger Grüninger beigefügt ist, (vgl. die unten stehende Abbildung) verdient wohl Beachtung. Unweit des Schmelz-
ofens sitzt der von alchymistischen Arbeiten ermüdete Melancholiker — »cogitaaureos montes« hat ein Zeitgenosse in
das Bild des hier benützten Druckes vom Jahre 1508 geschrieben — vor einer vollbesetzten Tafel, um nur dem Spiel des
Harfners zu lauschen, dem zur Rechten eine Laute aufgehängt ist. Man sieht daraus, wie gerade diese Art, die Melancholie
zu vertreiben, die Zeitgenossen zur Darstellung reizte. Ob nicht auch Mantegna durch die Lektüre der eben hervor-


Der Melancholiker. Aus Marsilius Ficinus' Buch des Lebens. Straßburg, Joh. Grüninger, 1508.

gehobenen Gedanken dazu angeregt wurde, auf dem verlorengegangenen, von ihm »Melancolia« bezeichneten Bilde
Putten, »che suonano e ballano«, anzubringen, um so ein Heilmittel gegen die »allerböseste Melancoly« anzudeuten?
Leider weiß man nichts über die Zeit der Entstehung dieses Kunstwerkes.1
Mit dem Fortschreiten der medizinischen Wissenschaft brach das fein ausgeklügelte System der vier Kom-
plexionen in sich zusammen und geriet somit auch der innige Zusammenhang des melancholischen Temperamentes
mit einem bestimmten körperlichen Zustande in Vergessenheit. Wer denkt, heute noch daran, dass das englische Wort
»spieen« seine übertragene Bedeutung den Gemütsstörungen verdankt, die man auf eine Überhandnähme des melan-
cholischen Blutes in der Milz — spien — zurückführte; wer erinnert sich bei dem Ausdruck »Jovialität« an den
Planeten Jupiter, dessen feuchte und warme Natur im Melancholiker den herrschenden Einfluss des Saturn zu
bekämpfen hatte! Der heutige Sprachgebrauch sieht in den Temperamenten »Tonarten des Empfindens«, »Grundtypen
seelischer Stimmungen«. Um somit Marsiglios Arbeit über die melancholische Komplexion zu würdigen, muss
man sich in seine Zeit versetzen und wohl bedenken, dass auch die heutige Medizin nichts Sicheres über die Funk-
tionen der Milz weiß und noch heute unter Fachgelehrten gestritten wird, ob die Epilepsie, welche die Alten als eine
Art Melancholie betrachteten, der morbus comitialis, an dem Herkules gestorben sein soll, die Grundbedingungen
für die Genialität eines Napoleon I. geliefert hat
Zur Beurteilung des außerordentlichen Aufsehens, das die eben geschilderte neue Auffassung Marsiglios von
der Melancholie in Deutschland hervorrief, mögen hier einige zeitgenössische Stimmen folgen, die zugleich erkennen

i Vgl. Paul Weber, Beiträge zu Dürers Weltanschauung in den Studien z. deutsch. Kunstgesch., Straßburg 1900, p. 83.
 
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