MITTEILUNGEN
DER
GESELLSCHAFT FÜR VERVIELFÄLTIGENDE KUNST.
BEILAGE DER „GRAPHISCHEN KÜNSTE".
1916.
WIEN.
Nr. 4.
Studien und Forschungen.
Kupferstiche als Deutungsbehelfe für Skulpturen.
I. L'Anima beata, l'Anima dannata — der Neid.
Im k'unsthistorischen Hofmuseum in Wien ist das
Tonmodell eines Reliefs erhalten (587 X 547 c»»), für
dessen Beliebtheit mehrere Bronzeabgüsse1 sprechen;
es ist alter Besitz und wurde im XVII. Jahrhundert der
»Neid« genannt.'-'Diese Benamsung des Gegenstandes
knüpft sich an die dargestellte Hauptfigur, das dürre
alte Weib mit den ausgeronnenen Brüsten und den
Schlangen im Haar, die übliche Personifikation der
Invidia. »Donna vecchia, brutta, e pallida, il corpo sia
asciutto ... e fra i capelli vi saranno alcune serpi..
(Ripa, Nova Iconologia, 1618, S. 268). In letzter Linie
geht diese Auffassung auf Ovid zurück, der eine
anschauliche Beschreibung der Personifikation in
der Metamorphose Aglauros bringt. Ilg ist von der
ursprünglichen Benennung abgegangen; die äußere
Erscheinung der Alten, die greulichen Teufel und
der dreiköpfige Cerberus rechts unten erinnerten ihn
an Dantes Höllengedicht, das den Bildhauer zu einer
Darstellung einer Furie angeregt hätte. Schlosser
publiziert das Stück in seinen »Werken der Klein-
plastik in derSkulpturensammlung des Allerhöchsten
Kaiserhauses« (Wien 1910, I. Bd., S. 22). ».....Das
Motiv stammt wohl, wie schon Ilg bemerkt hat, aus
der Divina Commedia. (Frei nach der Furienszene im Inferno, IX, 37?) Stil und Auffassung erinnern an die Werke des
Pierino da Vinci, namentlich an das ebenso frei behandelte Ugolino-Relief im Museo Nazionale zu Florenz und das
allegorische Relief der Pisa istaurata in der Vaticana zu Rom .... Die Formensprache des merkwürdigen Manieristen
ist in unserm Relief freilich weniger deutlich als in jenen sicher beglaubigten Werken«.
Die angeführten Zeilen aus Dante, die Schlosser dann wieder durch das beigesetzte Fragezeichen entkräften
möchte, lauten in der Übersetzung:
Tonrelief im Kunsthistorischen Hofmuseum zu Wien.
r Einer im Hofmuseum, 1880 aus Ambras übernommen, ein zweiter (galvanoplastischer) im Museum Carolino-Augusteum in Salzburg.
2 Vergl. unten.
DER
GESELLSCHAFT FÜR VERVIELFÄLTIGENDE KUNST.
BEILAGE DER „GRAPHISCHEN KÜNSTE".
1916.
WIEN.
Nr. 4.
Studien und Forschungen.
Kupferstiche als Deutungsbehelfe für Skulpturen.
I. L'Anima beata, l'Anima dannata — der Neid.
Im k'unsthistorischen Hofmuseum in Wien ist das
Tonmodell eines Reliefs erhalten (587 X 547 c»»), für
dessen Beliebtheit mehrere Bronzeabgüsse1 sprechen;
es ist alter Besitz und wurde im XVII. Jahrhundert der
»Neid« genannt.'-'Diese Benamsung des Gegenstandes
knüpft sich an die dargestellte Hauptfigur, das dürre
alte Weib mit den ausgeronnenen Brüsten und den
Schlangen im Haar, die übliche Personifikation der
Invidia. »Donna vecchia, brutta, e pallida, il corpo sia
asciutto ... e fra i capelli vi saranno alcune serpi..
(Ripa, Nova Iconologia, 1618, S. 268). In letzter Linie
geht diese Auffassung auf Ovid zurück, der eine
anschauliche Beschreibung der Personifikation in
der Metamorphose Aglauros bringt. Ilg ist von der
ursprünglichen Benennung abgegangen; die äußere
Erscheinung der Alten, die greulichen Teufel und
der dreiköpfige Cerberus rechts unten erinnerten ihn
an Dantes Höllengedicht, das den Bildhauer zu einer
Darstellung einer Furie angeregt hätte. Schlosser
publiziert das Stück in seinen »Werken der Klein-
plastik in derSkulpturensammlung des Allerhöchsten
Kaiserhauses« (Wien 1910, I. Bd., S. 22). ».....Das
Motiv stammt wohl, wie schon Ilg bemerkt hat, aus
der Divina Commedia. (Frei nach der Furienszene im Inferno, IX, 37?) Stil und Auffassung erinnern an die Werke des
Pierino da Vinci, namentlich an das ebenso frei behandelte Ugolino-Relief im Museo Nazionale zu Florenz und das
allegorische Relief der Pisa istaurata in der Vaticana zu Rom .... Die Formensprache des merkwürdigen Manieristen
ist in unserm Relief freilich weniger deutlich als in jenen sicher beglaubigten Werken«.
Die angeführten Zeilen aus Dante, die Schlosser dann wieder durch das beigesetzte Fragezeichen entkräften
möchte, lauten in der Übersetzung:
Tonrelief im Kunsthistorischen Hofmuseum zu Wien.
r Einer im Hofmuseum, 1880 aus Ambras übernommen, ein zweiter (galvanoplastischer) im Museum Carolino-Augusteum in Salzburg.
2 Vergl. unten.