Aug. Boucher-Desnoyers (?), Heilige Familie. (Nach Luini.)
Lithographie.
und interesselos das Publikum, aber auch ein Großteil der Künstler, anfangs der neuen Kunst begegnete. Meist gestattete
der Stein wegen seiner unvollkommenen Behandlung auch nur eine kleine Anzahl von Drucken, wodurch wieder die
große Seltenheit dieser Blätter eine Erklärung findet.
Außer diesen beiden Versuchen, die durch die Signatur Bergerets als Arbeiten dieses Künstlers überzeugend
festgelegt sind, bewahrt die Sammlung Hauslab-Liechtenstein noch zwei weitere französische Inkunabeln, die bisher
außer durch die Ausstellung im Jahre 1872 noch nicht bekannt geworden sind. Beide sind Federlithographien, die eben-
falls nicht viel später oder früher als Bergerets Arbeiten — um 1805 — entstanden sein müssen. Leider sind sie aber
unbezeichnet, so daß wir auf die allerdings alten, handschriftlichen Vermerke der Rückseite angewiesen sind, die das
eine Blatt, die Wiedergabe einer Heiligen Familie von Bernardino Luini,1 dem Stecher Boucher-Desnoyers, das andere, eine
Grablegung, die Kopie einer alten Handzeichnung, dem Maler und Radierer Pierre Bouillon zuweisen. Wenden wir uns
zunächst der Heiligen Familie zu. Baron Auguste Gaspard Louis Boucher-Desnoyers,2 einer der berühmtesten Reproduk-
tionsstecher seiner Zeit, soll nach dem handschriftlichen Vermerk der Urheber dieser interessanten Inkunabel sein, und
wir haben, wie sich zeigen wird, auch keinen Grund an dieser Bestimmung zu zweifeln,3 umso weniger, als wir einen
lithographischen Versuch dieses Künstlers seit langem kennen. Er befindet sich in der Ferchl-Sammlung4 in München
und stellt den Schauspieler Ducis nach einem Gemälde Gerards dar, also ebenfalls eine Reproduktionslithographie wie
die vorliegende, die aber außer der Feder noch die damals seltene Anwendung des Pinsels zeigt. Leider gestattet die
wesentlich andere Darstellung nur schwer einen Vergleich mit der Heiligen Familie der Sammlung Hauslab, die
uns aber gleich auf den ersten Blick die Technik und Strichführung des Linienstechers verrät, der noch in Unkenntnis
der Eigenart der lithographischen Ausdrucksmöglichkeiten die ältere Technik einfach auf die neue Druckart
l Es ist die gegenseitige Kopie von Luinis Heiliger Familie in der Pinakothek der Ambrosiana in Mailand, die den Karton Leonardos in der
Royal Academy in London (Hl. Anna Selbdritt) unter Hinzufugung des hl. Josef verwendet. Abgebildet in F. Malaguzzi-Valeri: Milano. Parte
Seconda. Bergamo 1906. S. 82. Die Lithographie gibt allerdings nur einen Ausschnitt des Gemäldes und des weiter unten erwähnten Reproduktions-
stiches Altinis wieder, die die Personen in ganzer Figur darstellen und daher auch Höhenformat aufweisen. Möglieherweise hat Boucher-Desnoyers
ebenfalls die ganze Darstellung lithographiert und vielleicht kommt einmal ein solcher Druck zum Vorschein. Das Exemplar der Sammlung Hauslab
ist nämlich von einem Stein gedruckt, dessen linke untere Hälfte abgebrochen ist, so daß er die Form eines umgekehrten Trapezes hat. Dadurch
erscheinen die Personen auf der Lithographie bis auf Christus nur in ungefähr halber Figur.
s Geboren in Paris 1779, gestorben daselbst 1857. Das Werk von F. Halevy, »Notice sur la vie et les travaux de M. le baron Boucher-Desnoyers«,
Paris 1860, stand mir leider nicht zur Verfügung. H. Bcialdi, .Les Graveurs du XIX. Siecle«, Bd. 5, erwähnt im Artikel B.-D. nur ganz allgemein
»quelques lithographies«.
3 Auch auf der genannten Ausstellung im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, also noch zu Lebzeiten Hauslabs, der das Blatt
wohl in seiner Jugend erworben haben dürfte, war es als eine Arbeit dieses Künstlers beschrieben.
* Ferchl, a. a. 0„ S. 50; Apell. »Handbuch für Kupferstichsammler«, Leipzig 1880, Nr. 37, und Gräff, a. a. O., S. 71 und HS.
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Lithographie.
und interesselos das Publikum, aber auch ein Großteil der Künstler, anfangs der neuen Kunst begegnete. Meist gestattete
der Stein wegen seiner unvollkommenen Behandlung auch nur eine kleine Anzahl von Drucken, wodurch wieder die
große Seltenheit dieser Blätter eine Erklärung findet.
Außer diesen beiden Versuchen, die durch die Signatur Bergerets als Arbeiten dieses Künstlers überzeugend
festgelegt sind, bewahrt die Sammlung Hauslab-Liechtenstein noch zwei weitere französische Inkunabeln, die bisher
außer durch die Ausstellung im Jahre 1872 noch nicht bekannt geworden sind. Beide sind Federlithographien, die eben-
falls nicht viel später oder früher als Bergerets Arbeiten — um 1805 — entstanden sein müssen. Leider sind sie aber
unbezeichnet, so daß wir auf die allerdings alten, handschriftlichen Vermerke der Rückseite angewiesen sind, die das
eine Blatt, die Wiedergabe einer Heiligen Familie von Bernardino Luini,1 dem Stecher Boucher-Desnoyers, das andere, eine
Grablegung, die Kopie einer alten Handzeichnung, dem Maler und Radierer Pierre Bouillon zuweisen. Wenden wir uns
zunächst der Heiligen Familie zu. Baron Auguste Gaspard Louis Boucher-Desnoyers,2 einer der berühmtesten Reproduk-
tionsstecher seiner Zeit, soll nach dem handschriftlichen Vermerk der Urheber dieser interessanten Inkunabel sein, und
wir haben, wie sich zeigen wird, auch keinen Grund an dieser Bestimmung zu zweifeln,3 umso weniger, als wir einen
lithographischen Versuch dieses Künstlers seit langem kennen. Er befindet sich in der Ferchl-Sammlung4 in München
und stellt den Schauspieler Ducis nach einem Gemälde Gerards dar, also ebenfalls eine Reproduktionslithographie wie
die vorliegende, die aber außer der Feder noch die damals seltene Anwendung des Pinsels zeigt. Leider gestattet die
wesentlich andere Darstellung nur schwer einen Vergleich mit der Heiligen Familie der Sammlung Hauslab, die
uns aber gleich auf den ersten Blick die Technik und Strichführung des Linienstechers verrät, der noch in Unkenntnis
der Eigenart der lithographischen Ausdrucksmöglichkeiten die ältere Technik einfach auf die neue Druckart
l Es ist die gegenseitige Kopie von Luinis Heiliger Familie in der Pinakothek der Ambrosiana in Mailand, die den Karton Leonardos in der
Royal Academy in London (Hl. Anna Selbdritt) unter Hinzufugung des hl. Josef verwendet. Abgebildet in F. Malaguzzi-Valeri: Milano. Parte
Seconda. Bergamo 1906. S. 82. Die Lithographie gibt allerdings nur einen Ausschnitt des Gemäldes und des weiter unten erwähnten Reproduktions-
stiches Altinis wieder, die die Personen in ganzer Figur darstellen und daher auch Höhenformat aufweisen. Möglieherweise hat Boucher-Desnoyers
ebenfalls die ganze Darstellung lithographiert und vielleicht kommt einmal ein solcher Druck zum Vorschein. Das Exemplar der Sammlung Hauslab
ist nämlich von einem Stein gedruckt, dessen linke untere Hälfte abgebrochen ist, so daß er die Form eines umgekehrten Trapezes hat. Dadurch
erscheinen die Personen auf der Lithographie bis auf Christus nur in ungefähr halber Figur.
s Geboren in Paris 1779, gestorben daselbst 1857. Das Werk von F. Halevy, »Notice sur la vie et les travaux de M. le baron Boucher-Desnoyers«,
Paris 1860, stand mir leider nicht zur Verfügung. H. Bcialdi, .Les Graveurs du XIX. Siecle«, Bd. 5, erwähnt im Artikel B.-D. nur ganz allgemein
»quelques lithographies«.
3 Auch auf der genannten Ausstellung im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, also noch zu Lebzeiten Hauslabs, der das Blatt
wohl in seiner Jugend erworben haben dürfte, war es als eine Arbeit dieses Künstlers beschrieben.
* Ferchl, a. a. 0„ S. 50; Apell. »Handbuch für Kupferstichsammler«, Leipzig 1880, Nr. 37, und Gräff, a. a. O., S. 71 und HS.
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