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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.4140#0070
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Parmigianino, Karl Y.und der Ruhm. Gemaide (Richmond, Sammlung Cook}.

des XVI, Jahrhunderts drei oder eigentlich vier nebeneinanderbestehende
Stilrichtungen, nämlich neben dem Akademismus Raffaels die Barock-
kunst Correggios und vor allem Michelangelos, den venezianischen
Impressionismus und den Manierismus, als dessen Schöpfer sie Parmi-
gianino erklärt. Für die Verfasserin ist der Manierismus ein Stil, der neben
der Barockkunst einhergeht und bis ins XVIII, Jahrhundert seine Gültig-
keit bewahrt. Es ist dabei von geringerer Wichtigkeit, ob wir die einzelnen
btilbezeichnungen Frau Fröhlich-Bums übernehmen. So scheint es mir
sehr weit entfernt vom Wesen der Dinge, wenn Tintoretto als Impressionist
hingestellt wird oder der Kern der Kunst eines Dürer und Holbein als
realistischer Naturalismus bezeichnet wird. Die Hauptsache der Aus-
führungen der Verfasserin gilt der ungeheuer wichtigen Stilrichtung des
Manierismus, der für sie aus der einzigen Quelle Parmigianino abzuleiten
ist. Nach ihren Worten beruht dieser manieristische Stil oder vielmehr
Parmigianinos Einflüsse und die Filiationen seiner Kunst auf rein formalen
Idealen und haben nichts mit dem literarischen Niederschlag der Epoche
zu tun. Es ist merkwürdig, daß die Verfasserin ein Wort Kurt Glasers
vom Manierismus als allgemeiner europäischer Angelegenheit aufgegriffen
hat. In der Tat handelt es sich hier um einen Stil, der gewiß bei Parmi-
gianino besonders früh und besonders rein auftaucht, den wir aber schon bei
Correggio, dann aber vor allem beim späten Michelangelo, beiBaroccio, bei
Tintoretto und Greco, bei Breughel, bei Bellange und selbst noch beiCallot
beobachten können, der im wesentlichen dem XVI. Jahrhundert angehört,
aber stark noch ins XVII. hinüberspielt und erst von den führenden
Meistern dieses Jahrhunderts wie Rubens völlig überwunden wird. Die Ver-
fasserin hat den direkten oder indirekten Einfluß Parmigianinos auf eine
große Gruppe italienischer, französischer, niederländischer und deutscher
Künstler des XVI. und angehenden XVII. Jahrhunderts nachzuweisen ge-
glaubt, aber indem sie für den Begriff des Manierismus alles ausschaltet,
was sich nach ihrer Ansicht nicht allein von einem seiner Entwicklungs-







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Parmigianino, Lorenzo Cibo.

Gemälde (Kopenhagen).

faktoren, von Parmigianino, ableiten laßt, hat sie sich selbst der Möglich-
keit beraubt, den Übergang des Stils in die Barockkunst des XVII. Jahr-
hunderts, wie wir dies zum Beispiel in den Niederlanden klar beobachten
können, zu verfolgen. Keineswegs geglückt erscheint mir der Beweis von
der Pertinenz des Stiles bis ins XVIII. Jahrhundert. Wo wir im XVII. Jahr-
hundert noch einen Zusammenhang mit der Kunst Parmigianinos fest-
stellen können, da handelt es sieh entweder um stilistisch zurück-
gebliebene, wenn auch technisch auf der Höhe des Könnens stehende
Meister, wie es die deutschen Goldschmiede sind, oder um ein bewußtes
Zurückgreifen. Eine wirkliche Kontinuität glaubt die Verfasserin in der
französischen Plastik bis weit ins XVIII. Jahrhundert hinein feststellen
zu können. Wenn es sich bei dem Manierismus aber wirklich um einen
Stilbegriff handeln soll, so ist es ausgeschlossen, daß ein Stil, der sich
im XVI. Jahrhundert in der Malerei und der Plastik vollkommen analog
entwickelt und allgemein europäisch ist, sich nun plötzlich auf die Plastik
eines einzelnen Landes zurückzieht, ohne in der Malerei Parallelen auf-
weisen zu können. Daß die Plastik des XVIII. Jahrhunderts (Bouchardon,
Houdon und auch Raphael Donner) manche Wesensverwandtschaft mit
der manieristischen Plastik des XVI. Jahrhunderts, mit Germain Pilon
und Giovanni da Bologna aufweist, ist nichts Neues. Aber es dürfte
nicht angehen, in ihnen noch direkte Nachfahren eines und desselben
Stiles, des von Parmigianino allein abzuleitenden Manierismus erkennen
zu wollen. Übrigens haben diese Bildhauer des XVIII. Jahrhunderts ihre
genauen Parallelen in der Malerei und ist das Zurückgreifen auf die Kunst
des XVI. Jahrhunderts im XVIII. eine allgemeine europäische Erscheinung.
Anzuerkennen aber ist auf alle Fälle, daß die Verfasserin versucht hat dem
Stile des Manierismus in der Form, in der sie ihn eben erkennt, gerecht zu
werden, daß sie ihn nicht, wie noch vor kurzem Werner Weisbach, 1 bloß
als Verfallssymptom und Übergangserscheinung wertet, sondern erkannt
hat, daß es sich um eine Stilrichtung handelt, die nicht nur historisch von
größter Wichtigkeit ist, sondern auch wirklich große, in sich selbst be-
ruhende Kunstwerke hervorgebracht hat.

Ludwig Bäldass.

L Der Manierismus, Zeitschrift für bildende Kunst, N. F. XXX, p. 161 ff.

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