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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.3634#0015
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und den Jägern im Schnee in Wien 1 ist Friedländer entgangen. Auffallend
ist es ferner, daß Friedländer den Sturz des Icarus in Brüssel ganz an
den Schluß der Werke setzt. Das Bild weist in der Landschaft, und zwar
sowohl in der Gesamtanordnung wie in den Einzelheiten noch soviel
Zusammenhänge mit den Anfängen Bruegels auf, daß es unmöglich
erscheint, es unter die Spätwerke zu reihen.

Das folgende Kapitel über die Entwicklung enttäuscht. Es soll in
ihm das Ergebnis festgelegt werden, das die Aufreihung der Monumente
nach der Entstehungszeit geboten hatte. Es finden sich wie so oft bei
Friedländer eine Anzahl von ganz vortrefflichen Einzelbeobachtungen
darin, die in einem ausgezeichneten knappen Stil wiedergegeben sind.
Aber das Wesen der Wandlung und ihre Notwendigkeit kommt nicht
genügend klar zur Darstellung. Die für die Entwicklung so wichtigen
fünfziger Jahre kommen viel zu kurz weg. Wenn Friedländer ferner einen
Aufstieg in drei Stufen feststellt, so wird es wohl den wenigsten offenbar,
welche Bilder eigentlich nach seiner Meinung auf jeder dieser Stufen
stehen. Die Knappheit der Diktion hört hier auf, ein Vorzug zu sein.

Vor allem aber vermissen wir eine Lösung des Rätsels von dem
Auftreten der Bruegelischen Kunst und eine Darstellung ihrer Zusammen-
hänge mit der älteren Kunstübung. Glück hat in seiner Studie über
Bruegel und den Ursprung seiner Kunst2 den Meister von der Wasser-
farbenmalerei abgeleitet, die eine niederere Kunstgattung bedeutete und
offenbar vor allem billigen Ersatz für die teueren Wandteppiche liefern
sollte. Der Gelehrte hat thematische und technische Beweise für diese
Hypothese, die auch stilistisch viel in Bruegels Werk erklären würde, er-
bracht. Obwohl nun jeder neue Bruegelmonograph die Verpflichtung
hätte, mit dieser Hypothese sich auseinanderzusetzen, ob er sie nun an-
nimmt oder verwirft, finden wir in Friedländers Buch nirgends den
leisesten Hinweis, ja in dem Literaturverzeichnis, das von neueren
Arbeiten über Bruegel nur den in seiner giundlichen Arbeitsweise muster-
gültigen Aufsatz Ludwig Burchards der Aufhaiime würdigt, ist die Arbeit
Glücks mit keiner Silbe erwähnt. Fast noch schwerwiegender erseheint
mir der Umstand, daß der nach Hieronymus Bosch wichtigste Vorläufer
Bruegels, daß der Braunschweiger Monogrammist ebenfalls in dem Buche
überhaupt keine Erwähnung findet, obwohl er gerade in der neueren
Literatur, und zwar wiederum zuerst von Glück ausführlich als solcher
gewürdigt wurde. Bei Besprechung der Wiener Kreuztragung weist Fried-
länder darauf hin, daß Pieter Aertszen schon zwölf Jahre vorher das
Thema der Anlage und Absicht nach ebenso gestaltet habe. Das Bild
Aertszens aber fußt auf einem Gemälde des Braunschweiger Monogram-
misten, und es erscheint aus verschiedenen Gründen wahrscheinlicher,
daß das Urbild und nicht die Nachschöpfung Aertszens auf Biuegel ein-
gewirkt hat. Friedländer stellt fest, daß als Vorläufer und Anreger Bruegels
Jan van Amstel in Betracht komme, ein Holländer, der 1528 Meisterin
Antwerpen wurde, der schon von Karel van Mander als Landschaftsmaler
gerühmt und als Vorläufer Bruegels bezeichnet wurde. »Leider ist
es bisher nicht gelungen«, sagt Friedländer, »irgend ein erhaltenes
Weik mit dem Namen van Amstels zu verbinden«. Diese Behauptung
ist bekanntlich vollkommen unrichtig, denn Glück3 hat gerade den Braun-
schweiger Monogrammisten mit Jan van Amstel identifiziert, eine Identifi-
kation, die bis heute nicht widerlegt ist, und der Braunschweiger Mono-
grammist spielt gerade die Rolle in der Geschichte der niederländischen
Malerei, die Friedländer Jan van Amstel zuweisen möchte. Die Aus-
führungen des Verfassers tragen also — wohl gegen seine Absicht — dazu
bei. Glucks Identifizierung als wahrscheinlich anzusehen. Aber auch wenn
man an diese Identität nicht glaubt, so ist es nicht sehr wichtig, ob in
einer späteren Quelle ein Künstler erwähnt wird, dessen verschollene
Bilder, wenn sie erhalten wären, soweit wir nach ihrer Beschreibung
schließen können, vielleicht eine vorhandene Lücke ausfüllen würden,
wohl aber ist es historisch von größter Bedeutung, daß in der Tat ein
anonymer Künstler Werke geschaffen hat, die als wichtigstes Zwischen-
glied die niederländische Malerei vom Beginne des XVI. Jahilumderts
mit der Kunst Bruegels verbinden.

Die folgenden Kapitel sind betitelt: Die Landschaft, das Genie,
die Religion und die Bewegung. Die Kunst Bruegels wird also von
zwei thematischen, von einer inhaltlichen und einer formalen Seite
aus beleuchtet, keineswegs erschöpfend, da sich bei dieser Art der
Betrachtung noch eine Anzahl weiterer Kapitel über andere gegenständ-
liche, inhaltliche und formale Probleme leicht anfügen ließe. Die Charak-
terisierung ist im einzelnen wiederum oft sehr treffend. Friedländers
Stärke liegt nicht in der Synthese, sondern in der ungeheuer scharfen
Beobachtung einzelner Momente, die mit knappsten Worten heraus-
gehoben werden. Die Art der Darstellung wird häufig zum Aphorismus.
Diese aphoristische Diktion führt gelegentlich freilich zu Verall-
gemeinerungen, die nicht stichhältig sind. Wenn Friedländer zum Bei-
spiel das Kapitel über das Genre mit dem Satze schließt: »Das Hoch-
format mit seiner Tendenz zum Vertikalen ist aristokratisch, heldisch und
entspricht der Anschauung des Bildhauers; das Breitformat mit seiner
Tendenz zum Horizontalen ist demokratisch und dem Maler natürlich«,
so ließe sich das historisch Unhaltbare dieser Behauptung durch An-
führung verschiedener Parallelen mit Deutlichkeit beweisen. Wenn solche
mißglückte Verallgemeinerungen aber nur unbedeutende kleine Schönheits-
fehler in dem durchwegs ernst gearbeiteten und vom Standpunkte des
Verfassers aus konsequent durchdachten Buche sind, so wohnt einem
anderen Punkt ein viel tiefergehender Mangel bei, da er geschaffen ist, eine
falsche Ansicht über die Qualitäten des Künstlers zu erwecken. Fried-
länder nennt Bruegels Malweise flüchtig und derb, seine Bilder ungepflegt.
Nun war kaum ein Maler so sorgfältig, so reinlich und genau in der Aus-
führung wie Bruegel. Bewußte Unterdrückung des Nebensächlichen ist
keine Flüchtigkeit, freiwilliger Verzicht auf das Hervorheben der Stoff-
lichkeit der Oberfläche ist keine Derbheit. Bilder sind nicht ungepflegt,
wenn der Künstler, der sie geschaffen hat, auf Lasuren verzichtet, um
eine unerhörte und aufs höchste harmonische Farbigkeit zu erzielen. Die
Lösung des Rätsels dieser Worte Friedländers, die schon mehrfach vor-
her angedeutet wird, bringt das letzte Kapitel, das von dem Urteil über
Peter Bruegel spricht, wie es sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt
hat, und von dem Standpunkte unserer Tage und von dem Standpunkte
des Verfassers. Für Friedländer ist die Kunst der alten Niederländer von
Jan van Eyck bis Quentin Massys der Maßstab, der zuerst unwillkürlich
an Bruegel gelegt wird. Dieser Maßstab aber ist ein falscher. Wohl ver-
binden zahlreiche Fäden seine Kunst mit der altniederländischen Malerei
und sie aufzudecken, erscheint dem Kunsthistoriker wichtig, aber es
entsteht in der Kunst Bruegels doch auch etwas ganz Neues, das so stark
zutage tritt und sich mit einer solchen Unmittelbarkeit zur Geltung bringt,
daß jeder Unvoreingenommene so wenig vor einem Bilde Bruegels zuerst
an die Werke der altniederländischen Kunst denken wird, wie er ein
Gemälde von Tintoretto nicht an den Qualitäten der Bellini mißt. Ich
glaube daher, daß die wenigsten Kunstfreunde unserer Zeit, die vor
Schöpfungen Bruegels vor allem vor die Meisterwerke der Wiener Galerie
treten, identisch sind mit »dem von Bruegels Kraft gewonnenen Be-
trachter, der allmählich begreift, daß die Tugenden der Altniederländer
unlösbar verbunden sind mit Mängeln, wie die Mängel Bruegels mit
seinen höchsten Tugenden«. Das letzte Ziel dieser Art von Kunst-
betrachtung wäre also die Erkenntnis der UnvoIIkommenheit jeder
künstlerischen Schöpfung. Mit dem Maßstab der Kunst einer anderen Zeit
gemessen, muß man in jeder Höchstleistung einer künstlerischen Epoche
Mängel finden können. Der Kenner müßte also auch vor dem größten
Meisterwerk Lob und Tadel gerecht und kühl abwägen. Auch für Fried-
lander ist zwar Peter Bruegel ein ganz großer, aber nicht wegen, sondern
trotz der ganzen Art seiner Kunst.

Hundertundeine gute Zinkographien illustrieren das Buch. Von
diesen fallen nur einundzwanzig auf Gemälde Bruegels. Von den achtund-
dreißig Bildern, die Friedländer als Werke des Künstlers bespricht, werden
also siebzehn nicht abgebildet, darunter solche, die ausführlich analysiert
werden. Unter den nicht abgebildeten sind Hauptwerke, wie der Engel-
sturz, die Dulle Griet, die Anbetung der Könige in London, der Kindermord.

i Vgl. Jahrbuch der Kunsthist. Sammlungen XXXIV, Wien 1918, S 155.

2 Peter Bruegels d. Ae. Gemälde im Kunsthistorischen Hofmuseum, Brüssel 1910.

3 Siehe die beiden Artikel im I. und IV. Bande von Thiemes Künstlerlexikon.

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