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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.3634#0053
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Unbekannter Schüler des Marc Anton, Der Sturz Phaetons.

Kupferstich.

Die Abbildung kann
diesen Eindruck nicht in
vollem Maße wiedergeben;
wer aber den Saal betritt,
empfindet es beängstigend,
daß es zunächst kaum
möglich ist, die Decke mit
einem Blick zu überschauen;
man muß den Saal entlang
schreiten, um alles zu sehen.
Um diesem Eindruck ent-
gegenzuwirken, hat der
Künstler die Verkürzung der
Figuren am Deckenbild ver-
stärkt; im einzelnen ist es
kaum zu merken, für den
Gesamteindruck indessen
nicht zu übersehen. Die
schärfere Untersicht soll
Einzelfiguren und Gruppen
enger an die Gestalt Jupiters
fesseln. Doch ist es nur
zum Teil gelungen. Wählt
man zur Betrachtung der
Decke den Standpunkt unter

dem Kopfe Jupiters, so erscheinen alle Verkürzungen perspektivisch begründet; doch je mehr sich der Blick dem linken
oder rechten Seitenteil nähert, desto weniger organisch scheint die Verknüpfung. Diese Unterschiede zwischen Zeichnung
und Deckengemälde werden verständlich, wenn wir beachten, daß sie durch die Proportionen des Saales bedingt sind.
Höhe und Breite der Zeichnung verhalten sich etwa wie 1 : 2; an der Decke stehen die gleichen Dimensionen im Ver-
hältnis 1 : 2 'i'.,.1 Der Abstand zwischen der ursprünglichen künstlerischen Konzeption und der durch die Raumverhältnisse
bedingten Ausführung ist überaus lehrreich.

Die Harmonie des Saalbaues, in der klaren Gliederung der Ornamentik angedeutet, durch die Stellung des Kamins
unterstützt, widerstreitet dem unruhig gespannten Eindruck, den das Deckengemälde auslösen mußte. Es ist ohne weiteres
klar, daß eine Felderteilung, eine Kassettierung dem Raumganzen besser entsprochen hätte. Sie wurde vermieden. —
Und der Grund wird verständlich, wenn wir die höchst eigenartige entwicklungsgeschichtliche Stellung des Decken-
gemäldes anzudeuten versuchen.

Die Handzeichnung der Sammlung Liechtenstein erleichtert diese Aufgabe: sie trägt in der rechten Ecke, im Gebälk
der Architektur das verschlungene Monogramm des Georg Pencz. Wir lernen in der Decke des Hirschvogelsaales das
Schaffen des Meisters von einer Seite kennen, die bisher nur aus Schriftquellen zu erschließen war.

Pencz' Tätigkeit als dekorativer Maler scheint sehr bedeutend gewesen zu sein. Schon 1521 hat er, wie wir nach
verläßlichem Zeugnis annehmen dürfen, an den Wandgemälden der Nordseite des Nürnberger Ratssaales mitgearbeitet.
Seine Aufgabe wird im wesentlichen darin bestanden haben, die Entwürfe Dürers, zu dem er vermutlich in enger persön-
licher Beziehung stand, auf die Wand zu übertragen. — In späterer Zeit, wohl Anfang der dreißiger Jahre, scheint er —
seit 1532 in Diensten des Rats — auf die Ausmalung der Südwand Einfluß genommen zu haben. Aus diesen Werken
vermögen wir indessen seinen Stil nicht kennen zu lernen. Denn schon im Jahre 1613 hat eine Restauration, die von
den Malern Georg Gärtner, Jobst Harrich, Paul Juvenele und Gabriel Weyer ausgeführt wurde, die Nordwand des
Rathaussaales in allen wesentlichen Teilen erneuert; die Süd- und Ostwand aber wurde wohl nur zum Teil unter
Berücksichtigung der älteren Kompositionen völlig neu bemalt.2 Aufschlußreicher als die Hypothesen, die sich auf die
Wandgemälde des Rathaussaales zu stützen versuchen, ist in unserem Zusammenhang die Beschreibung eines — seither
verlorenen — Deckengemäldes des Meisters, die wir Sandrart verdanken: »So ist auch rühmlich zu gedenken, daß
unser Künstler in ermeldter Stadt Nürnberg in des Edlen Herrn Volkamer schönen Lustgarten, zu Ende einer Galerie,

1 Für die .Maße der Zeichnung vgl. oben S. 47, Anmerkung 1. Die Schmalseiten des Saales messen 6-6 m, die Längsseiten 16-07 m. Vgl. Schulz,
a. a. O. S. 51.

2 Über die recht komplizierte Frage der Ausmalung des Rathaussaales vgl. namentlich E. Mummenhof, Das Rathaus in Nürnberg passim und
A. Kurzwelly, Forschungen zu Georg Pencz 1896, S. 8 ff. — Daß Pencz auch als Fassademaler tätig war, hat neuerdings wieder wahrscheinlich
gemacht A.Schulz, .Mittigen.und lier.des Germ. National-.Mus. 1912. Zur Frage des Schulverhältnisses zu Dürer vgl.Stiassny in dieser Zeitschr. 1890,S.59.

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