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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.4217#0018
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einsam,

Pol

ng ent-

einer

» Einige Sprüche eigener Küche nach längerem Kochen von Coßmann
gestochen« heißt der launige Titel der kleinen, zehn Blatt umfassenden
.Mappe. Das Ganze ist wohl die charakteristischeste Arbeit, die dieser
besinnliche Kleinmeister des Stichels bisher geschaffen hat. Er hatte
hiebei weder auf die Wünsche eines Bestellers Rücksicht zu nehmen,
noch mußte er sich einer Dichtung unterordnen, aber die aus allen
Blättchen sprechende schalkhaft-behagliche Weltweisheit, die keineswegs
eines Tropfens scharfer Satire ermangelt, bezeugt nicht nur, wie sehr der
bildende Künstler seinem Lieblingsdichter Gottfried Keller wesensver-
wandt ist, sondern auch, daß das radierte oder gestochene Epigramm
des Exlibrisblättchens, bei dem das Kunstwerk nicht leicht auf gedank-
lichen Inhalt verzichten wird, der Eigenart unseres Künstlers ganz be-
sonders zusagt und daß es daher keinesfalls nur der Zwang äußerer
Umstände ist, wenn bisher das Exlibris den häufigsten Vorwurf von
Coßmanns graphischer Tätigkeit ausgemacht hat.

Die Abbildung des einen Blättchens hier, auf der der Raster die
haarscharfen Striche von des Künstlers Stichel zerrissen und abgestumpft
hat, gibt nur eine sehr beiläufige Vorstellung von den Originalen. Die
meisten Betrachter werden sogar, um diese ganz genießen zu können,
zur Lupe greifen müssen.

In das volle, richtige Verständnis dieser gedankenreichen kleinen
Kunstwerke aber führt wohl nichts besser ein, als ein Schreiben des
Künstlers, das bereits im »Grazer Tagblatt« vom 6. Mai 1924 von
Dr. Robert Graf abgedruckt wurde, aber für den Künstler und sein Werk
so bezeichnend ist, daß es auch hier seinen Platz finden möge.

»Die ganze Folge enthält keinen radierten oder geätzten Strich,
sondern ist durchwegs mit dem Stichel gestochen. Es wurde auch kein
Strich leicht vorgeätzt, wie dieses bei dem Stich meist üblich ist, sondern
alles nach der Pause, welche von der vorgezeichneten Komposition ge-
nommen war, prima gestochen; die kleinsten Dinge jedoch mußten sogar
ohne Pause gearbeitet werden, da eine Vorzeichnung selbst mit dem
spitzigsten Bleistift eine Durchbildung wie die vorliegende nicht ermög-
licht hätte. Nur bei einigen Kleinigkeiten, welche ich bei der Besprechung
der einzelnen Blätter anführen werde, wurden, selten genug, Roulette
und Schneidnadel benutzt. Das meiste wurde mit dem freien Auge ge-
stochen, nur bei kleineren Dingen die Lupe benutzt.

Was nun den Inhalt der Blätter betrifft, so ging ich von dem Ge-
danken aus, daß die besten, altbekannten Sprüche am schlagendsten und
auch am volkstümlichsten sind, wenn sie Gegensätze gegeneinander aus-
spielen, zum Beispiel »Friß Vogel oder stirb!« oder »Lange Haare, kurzer
Verstand« usw. Der umfangreicheren Erörterung dieses Gedankens dient
das erste Blatt, durch welches ich darzulegen versuchte, daß ein Begriff,
wenn er uns verständlich und klar werden soll, immer auch den gegen-
sätzlichen Begriff fordert. Das heißt mit anderen Worten — um einen
Begriff aus den vielen vorhandenen herauszugreifen — daß das Böse
unbedingt notwendig ist, um zur Erkenntnis des Guten zu gelangen,
ebenso wie umgekehrt. So ist hier im Initialen »I« der Gegensatz von
arm und reich im kleinen graphisch darzustellen versucht worden, indem
auf einer Wage die Ideale in Form einer Papierrolle hoch und der Geld-
sack tief gehen. Der untere Schaft des »I« wird durch einen Schalk, oder
sagen wir den Frohsinn schlechtweg, gebildet, welcher von dem Un-
geheuer Mammon verschluckt wird, denn ich habe noch immer die Be-
obachtung gemacht, daß jedes fröhliche Gespräch sofort erstirbt, sobald
die Rede auf das Geld kommt. Ganz unten am Blatt der Gegensatz
von der Schwere und der Leichte durch Kröte und Schmetterling. Dieses
erste Blatt soll als Einleitung für alle weiteren dienen, deshalb fällt es in
seiner Aufmachung gegen die anderen auch heraus, in welchen weiteren
immer ein besonderer gegensätzlicher Gedanke behandelt wird.

2. Blatt. Inmitten der Text, welcher alles schon sagt. Reiner Stich
in Form eines Linienspieles. Drei in sich zurückkehrende Linien, jede
für sich unterschiedlich gekennzeichnet, bilden an ein halbes Hundert
grotesker Köpfe, Fratzen und Tiere, welche Grimassen schneiden. Auch
wenn man das Blatt auf den Kopf stellt, sind neue Grotesken zu finden.
Dieses Blatt ist dem letzten, welches die ganze Folge beschließt, verwandt.

3. Blatt. Text: »Wer für Schmarrn, der nichts bedeutet, gern die
große Glocke läutet, macht mit starkem Schalle sich und die Sache
lächerlich.« Ein Ausfall auf die moderne Reklame, welche für jeden

Alfred Coßmann, »Viele Köpfe, viele Sinne«. Blatt S
der neuen Folge. Kupferstich.

Quark mit einer unnützen Kraftvergeudung einsetzt. Die Stellung des an
dem Strang der großen Glocke Ziehenden ist mit Absicht lächerlich gemacht.
Rund um ihn her lauter Fremdnamen, womit diese Art der Reklame nie
geizt. Im Ornament zwei Hähne, die krähen, und zwei horchende Ohren.
An der äußeren Umrandung Narrenschellen und oben steht: »Viel Lärm
um nichts.« Stich; nur im Hemd des Mannes wurde etwas die Schneid-
nadel verwendet.

4. Blatt. Text: »Wie dich auch das Leben faßt, sei kein allzu
trüber Gast, klappe auf und klappe zu, tritt den Takt auch ohne Schuh'!«
Ein Bombardonbläser, welcher unbeirrt, von all den kleinen Teufeleien
des Lebens umschwirrt (einen der kleinen Kobolde, der ihm die Luft in
seiner Blasröhre verstopfte, bläst er wie einen Pfropfen aus seinem In-
strument heraus), munter weiterbläst, tritt gleichzeitig, den Takt ohne
Schuh zu seiner Musik gebend, dem bösen Lebenspolypen mit Saugrüssel
und Stachelflossen auf den Kopf. Nur das Spruchband und des Bläsers
Schürze wurden mit der Roulette getont, in der Hose und dem Hemd
etwas die Schneidnadel angewendet.

5. Blatt. Text: »Aller Kreaturer Waffen müssen, was sie auch zer-
fetzen, nach den ewigen Gesetzen, durch Zerstörung Neuwert schaffen.«
Hier ist der zugrunde liegende Gedanke in etwas grotesker Form, daß das
Böse (ich überlasse es Ihnen, ob Sie den Schädel als Teufels- oder
Pharisäerkopf auffassen «ollen — letzteres, glaube ich, wäre passender)
anderen als jenen von ihm beabsichtigten Zwecken dienen muß, indem
es, ob es will oder nicht, von einer höheren Gewalt an der Nase herum-
geführt wird. Rings um diesen Kopf die verschiedenen menschlichen
Waffen der Zerstörung (in der Mitte sogar die dampfende Mündung einer
Kanone) sowie auch jene einiger Tiere, wie Schlangen mit ihrem Gift,
der zernagende Mauszahn und der Krebs mit seinen Scheren. Reiner Stich.

6. Blatt. Text: »Wenn die Gattung soll bestehen, mußt du
kämpfen, zeugen, krähen, daß du sterbend schlauerweise wirst zu neuer

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