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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.4217#0019
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Lebensspeise.« Hier wird versucht, den beständigen Kreislauf der Dinge
zu veranschaulichen. Daß das Leben den Tod bedingt und durch den
Tod erst wieder neues Leben ermöglicht wird. Daß für das Leben dessen
Erzeugung, der Kampf um dessen Erhaltung und damit verknüpft das
nötige Bemerkbarmachen, um sich durchzusetzen, notwendig ist. Das
Entstehen neuen Lebens ist durch das Küchlein, das dem Ei entschlüpft,
der Kampf in der Umrahmung durch die ineinander verbissenen Hähne
und unten durch deren Ständer, die gegeneinanderfahren, daß die Federn
fliegen, der Ruhm — das Krähen -- durch die beiden Posaunen und das
Ende durch den toten Hahn ausgedrückt. Reiner Stich.

7. Blatt. Text: »Goldene Apfel in silbernen Schalen, hört' ich zu
verschiedenen Malen, doch gewöhnlich hat der Stoffel in der Schüssel
nur Kartoffel.« Von den Worten »Goldene Äpfel in silbernen Schalen« —
bedeutender Inhalt in schöner äußerer Form — ausgehend, wird hier die
durchschnittliche Erscheinung des Lebens den obigen Worten gegen-
übergestellt, jedoch nicht so, daß dieses betrübend sei, sondern in der
Weise, daß für den Bauern die Erdäpfel in der Schüssel passender sind
als die goldenen Äpfel in den silbernen Schalen, über deren Besitz er
sich auch behaglich lachend freut. Besonders aber, wenn er auch mit-
unter etwas Schweinernes dazu hat, wovon zwei Ringelschwänzchen als
Überbleibsel unter seinem Kopf hervorgucken. Reiner Stich, auch die
Pünktchen wurden mit dem Stichel gestochen.

8. Blatt. Text: »Viele Köpfe, viele Sinne. Ob einer Herr ist oder
Knecht, fürs Leben gern behält er recht, als Schädel noch voll Eigensinn,
tanzt dieser links, rechts jener hin!« Diese Darstellung fußt auf einer
Legende des Herzogs Leopold mit seinem Hofnarren, welche zusammen
auf den Kahlenberg gingen, wobei der Narr einen Sack auf dem Rücken
hinaufschleppte, dessen Inhalt der Herzog, welcher sich schon vorher
beklagt hatte, daß er es niemandem recht machen könne, nicht kannte.
Oben am Berg öffnete der Narr den Sack und ließ mehrere Skelettschädel
herauskollern. Jeder tanzte seinen eigenen Weg, trotzdem sie gleichzeitig
ausgeschüttet wurden. Der Hinweis des Narren, daß man von den
Lebenden deren eigene Wegrichtung mehr gewärtigen müsse als von den
Toten, ist naheliegend. Diese Legende wurde von mir zur graphischen
Darstellung des Spruches »Viele Köpfe, viele Sinne« verwendet. Das Blatt
ist eigentlich für Parlamentsmitglieder erdacht; der Schädel in der Mitte
als Zentrum und die beiden andern als die Linke und die Rechte. Der
Narr steht auf einem nach allen vier Weltgegenden weisenden Wegkreuz.
Zwischen seinen Beinen als Rankenarabeske: »Dein Rechts, dein Links,
indem sichs regt, vom Diesseits dich ins Jenseits trägt, gewinnest so im
Wechselschritte durch Ausgleich nur die goldne Mitte.« Diese Worte
bilden gleichzeitig die Verbindungsbrücke unserer Welt mit einer anderen,
ungekannten. Reiner Stich. Auch die Pünktchen.

9. Blatt. Text: »Zu der Erkenntnis heü'gem Schrein soll uns das
Buch ein Schlüssel sein — doch meistens zeigt die Wahrheit nicht ihr
vielbegehrtes Angesicht!« Hier ist nicht viel zu sagen, die Darstellung
spricht für sich. Der Schlüssel trägt oben im Griff in durchbrochener
Arbeit die Buchstaben W, I, S, S, EN = Wissen; die Wahrheit als Karya-
tide, den Stil des Schlüssels bildend, befestigt im Haare als einzigen
Schmuck ihr Diadem, sonst ist sie ganz nackt, wie es die Wahrheit sein
muß, sie zeigt aber dem nach Erkenntnis forschenden Auge wenigstens
ihre schöne Kehrseite. Reiner Stich.

10. Blatt. Text ist wie bei dem Blatt Nr. 2 in der Mitte, die Dar-
stellung zum Unterschied von dem genannten Blatt aber jetzt eine
einzige in sich zurückkehrende Linie.Aus dem Wirren, Unregelmäßigen,
Unsymmetrischen von der untersten Spitze ausgehend, nach links zu
dem lächelnden Kopf emporsteigend, bildet sie oben die Fruchtschale,
beladen mit Früchten, die Erfüllung eines arbeitsreichen Lebens ver-
körpernd, und kehrt dann, den nervös ärgerlichen Kopf bildend, wieder
zu dem Gewirre zurück. In Rankenform noch zwei emporblickende Köpfe
im Profil, gebildet durch die Worte: »In einem Zug verziert genug.«
Reiner Linienstich.«

Möge diese vom Künstler selbst besorgte Erläuterung, belebt
durch die Wiedergabe eines der zehn Blättchen, der ganzen ebenso
anspruchslosen wie gehaltvollen kleinen Folge, die im Kommissions-
verlag unserer Gesellschaft erschienen ist, recht viele Freunde erwerben.

A. W.

Kleine Amalthea - Bücherei. Amalthea - Verlag.
Zürich-Wien-Leipzig. 2. Reihe, 2. Band: Die Chätelaine
von Vergi. Herausgegeben von Julius Schlosser. Der alt-
französischen Urschrift nachgedichtet von Maria Neusser.

Die Anregung zudem schönenBüchelchengingvon Julius Schlosser
aus, der seinerzeit als literarische Vorlage für die Elfenbeinschnitzereien
eines französisch-gotischen Schmuckkästchens im Wiener Kunsthistori-
schen Museum die schöne im XIII. Jahrhundert in Frankreich nieder-
geschriebene Versnovelle »La Chastelaine de Vergi« nachgewiesen hat.
Ein Schüler Schlossers, Hans R. Hahnloser, übersetzte die Erzählung aus
dem Altfranzösischen philologisch getreu in deutsche Prosa und schrieb
auch ein Nachwort zu dem Büchlein. Die Hauptarbeit aber fiel MariaNeusser
zu, gleichfalls einer Schülerin Schlossers, die mit Hilfe von Hahnlosers
Vorarbeit den altfranzösischen Text in leicht lesbare, anmutig fließende
deutsche Verse übertrug. Des Herausgebers Sohn, Hans Schlosser,
lieferte in Anlehnung an die bereits genannten Darstellungen des Wiener
Elfenbeinkästchens an sich nicht üble Holzschnitte dazu, die vielleicht
bloß etwas zu hart und eckig ausgefallen sind, und zwar nicht nur im
Verhältnis zur zarten Schrift, sondern auch zum weichen Wohlklang der
Verse.

4. Reihe, 3. Band: Gottesminne. Religiöse Gedichte,
gesammelt und übertragen von Richard Zoozmann. Buch-
schmuck von Rudolf Jettmar.

Jettmars edle, manchmal freilich ein bißchen manierierte Zeich-
nungen erscheinen in dem auch textlich gehaltvollen Bändchen entweder
als Tafeln in Steinradierung (Kupferätzgrund auf poliertem Stein) mit
leichter Tönung (Farbendruck vom gekörnten Stein) oder als schwarze
Strichätzungen, die häufig als größere oder kleinere Schlußvignetten den
Raum zwischen zwei Gedichten füllen. Namentlich diese zarten Feder-
zeichnungen sind wohlgelungen und stimmen auch in ihrer Wiedergabe
mittels Strichätzung mit der feinen, zierlichen Frakturschrift des Textes
gut überein. Bei den Tafeln ist leider der ursprünglich ungemein scharfe,
haardünne Strich infolge von Umdruck nicht selten verquetscht und die
Tönung in faden, flauen Farben scheint vielfach nicht an der richtigen
Stelle zu sitzen. A. W.

Karl Schönherr, Der Komödiant. Ein Vorspiel
und fünf Akte. Buchschmuck von Ferdinand Andri.
Druck und Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei.
Wien 1924.

Dieser neue Band der Liebhaberausgaben unserer Staatsdruckere i
zeigt wieder alle Vorzüge seiner Vorgänger. Er bringt ein charakteristi-
sches Werk unseres stärksten, männlichsten Dramatikers in mustergül-
tiger Ausstattung, die ebenso einfach und vornehm wie gediegen und
geschmackvoll ist. Ferdinand Andri hat das Stück, das man auch tief-
tragisch auffassen kann, als Posse, von der leichten Seite genommen.
Sein Buchschmuck besteht im wesentlichen aus leicht umrissenen, fast
möchte man sagen: geschriebenen Köpfen. Vorzüglich ist das als Titel-
schmuck verwendete Antlitz des traurigen Helden. Da er tausend Seelen
und darum keine einzige hat, so hat der Künstler dem sonst eindrucks-
vollen Kopf wie einer Maske Augenlöcher statt der Augen gegeben.
Famos ist auch das Vorsatzpapier mit seinen mehr als zwei Dutzend
Köpfen, die ebenfalls ganz leicht in Strichmanier hingeworfen sind. Flott
und lustig sind auch die entweder mitten in den Text gesetzten oder als
Vignetten nach Akt- und Szenenschlüssen verwendeten lichten, lockeren
Strichzeichnungen, meistens wiederum Köpfe. Die ornamentalen Raum-
füllungen muten wie Krakeln an, die ein schmunzelnder Leser, wie um
seine Stellungnahme zu den Worten des Dichters anzudeuten, in Text-
lücken eingefügt hat. Sind all die besprochenen Zeichnungen Strich-
ätzungen, so gehen den einzelnen Akten gleichfalls durchaus spielerisch
und schmuckhaft gehaltene Lithographien in zarten Farben voraus. -
Wenn wir nicht irren, hat hier Andri seit seinen lustigen, eigenartigen
Illustrationen zu den Gedichten von Kopisch in Gerlachs Jugendbücherei
nach langer Zeit zum erstenmal wieder Buchschmuck geschaffen.

A. W.

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