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Abb. '2. Unbekannter Künstler, Die Schlacht bei Cadore.
Radierung nach Tizian.
untere Ecke gesetzte Halbfigur, die ins Bild hinein die Distanz vom Beschauer zur Szene festlegt. Im gesetzmäßigen
Wandel ist es eine immer wiederkehrende Phase, wie das formale Motiv wieder Ausdrucksmotiv wird. In unserem Fall,
wie die in das Bild hineinragende Gestalt die Gestalt des Feldherrn wird, der von diesem wichtigen Punkt aus den
Angriff leitet. Räumliche Distanz wird Willensauswirkung. »In der Nähe eines kleinen Baches ... beim ersten Haus von
Valle . .. wandte sich Dalviano und ging zum Angriff über« (aus dem bei Crowe und Cavalcaselle zitierten Bericht über
die Schlacht). Der Feldherr greift ein; der Knappe rüstet ihn, aber jener achtet nicht darauf; seine Aufmerksamkeit ist
auf seine Reiter gerichtet, die über die Brücke gesprengt sind, die schon in den Feind einhauen, ihn niedermetzeln, ins
Wasser drängen. Um diese Aufmerksamkeit eindrucksvoll zu gestalten, mußte Tizian sie in die eine Richtung sammeln —
die Reiter, die der Stich noch im Rücken des Feldherrn bringt, zersplittern die Konzentration. Sie lenken den Blick vom
Feldherrn ab, lenken so stark ab, daß wir eigentlich auf dem breiten großen Blatt die kleine Halbfigur nur wie zufällig ent-
decken, in ihr keinesfalls den Angelpunkt der Komposition erkennen.
Das waren die formalen Gründe; wenn ich mit ihrer Analyse zu Crowe und Cavalcaselle in direkten Gegensatz
trete, so geschieht das aus unserer in dem halben Jahrhundert, um das diese außerordentliche Biographie zurückliegt, anders
gewordenen Einstellung zur Barockkunst. In der Tat ist dieses eigenwillige Beherrschen des Bildes durch die seitlich
unten hereinragende Gestalt, die einer andern — auch geistig andern — Ebene als der im Bildfeld festgehaltenen angehört,
ein barockes Prinzip, das Crowe und Cavalcaselle aus ihrem ästhetischen Gefühl ablehnen und, -wenn ihnen kein
zwingender Grund vorzuliegen scheint, für ihren Helden leugnen. »Tizian würde die hervorragenden Figuren des Feld-
herrn und seines Pagen gewiß nicht an den unteren Rand der Bildfläche zurückgedrängt haben« (Crowe und Cavalcaselle
S. 389). Daß Tizian aber diese wichtigen Figuren an den unteren Rand in der Tat zurückgedrängt hat, läßt sich auch nach
Fontanas Stich nicht leugnen — warum dann nicht gleich auch an den seitlichen?
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Abb. '2. Unbekannter Künstler, Die Schlacht bei Cadore.
Radierung nach Tizian.
untere Ecke gesetzte Halbfigur, die ins Bild hinein die Distanz vom Beschauer zur Szene festlegt. Im gesetzmäßigen
Wandel ist es eine immer wiederkehrende Phase, wie das formale Motiv wieder Ausdrucksmotiv wird. In unserem Fall,
wie die in das Bild hineinragende Gestalt die Gestalt des Feldherrn wird, der von diesem wichtigen Punkt aus den
Angriff leitet. Räumliche Distanz wird Willensauswirkung. »In der Nähe eines kleinen Baches ... beim ersten Haus von
Valle . .. wandte sich Dalviano und ging zum Angriff über« (aus dem bei Crowe und Cavalcaselle zitierten Bericht über
die Schlacht). Der Feldherr greift ein; der Knappe rüstet ihn, aber jener achtet nicht darauf; seine Aufmerksamkeit ist
auf seine Reiter gerichtet, die über die Brücke gesprengt sind, die schon in den Feind einhauen, ihn niedermetzeln, ins
Wasser drängen. Um diese Aufmerksamkeit eindrucksvoll zu gestalten, mußte Tizian sie in die eine Richtung sammeln —
die Reiter, die der Stich noch im Rücken des Feldherrn bringt, zersplittern die Konzentration. Sie lenken den Blick vom
Feldherrn ab, lenken so stark ab, daß wir eigentlich auf dem breiten großen Blatt die kleine Halbfigur nur wie zufällig ent-
decken, in ihr keinesfalls den Angelpunkt der Komposition erkennen.
Das waren die formalen Gründe; wenn ich mit ihrer Analyse zu Crowe und Cavalcaselle in direkten Gegensatz
trete, so geschieht das aus unserer in dem halben Jahrhundert, um das diese außerordentliche Biographie zurückliegt, anders
gewordenen Einstellung zur Barockkunst. In der Tat ist dieses eigenwillige Beherrschen des Bildes durch die seitlich
unten hereinragende Gestalt, die einer andern — auch geistig andern — Ebene als der im Bildfeld festgehaltenen angehört,
ein barockes Prinzip, das Crowe und Cavalcaselle aus ihrem ästhetischen Gefühl ablehnen und, -wenn ihnen kein
zwingender Grund vorzuliegen scheint, für ihren Helden leugnen. »Tizian würde die hervorragenden Figuren des Feld-
herrn und seines Pagen gewiß nicht an den unteren Rand der Bildfläche zurückgedrängt haben« (Crowe und Cavalcaselle
S. 389). Daß Tizian aber diese wichtigen Figuren an den unteren Rand in der Tat zurückgedrängt hat, läßt sich auch nach
Fontanas Stich nicht leugnen — warum dann nicht gleich auch an den seitlichen?
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