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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.4217#0049
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einiger

■ streb6'

Künstler mag die Fugen weggelassen
haben. Ein von gotischer Hohlkehle um-
rahmtes Zahlenquadrat mit Schlüsselzahl
34 ist aus der Wandfläche gestemmt.0
Die anschließenden sowie alle das innere
Gitter bildenden Rundstäbchen sind deut-
lich aufgenagelt, wie nur bei Holzunter-
lage möglich. Der Pfeiler dürfte darnach
nicht, wie man auf den ersten Blick glau-
ben möchte, gemauert und verputzt,
sondern mit Bohlen verkleidet sein, die
sich besonders auch in dem kleinen Felde
zwischen dem Engelsflügel erkennen
lassen. Zum Abnehmen eingerichtet hän-
gen am Pfeiler Wage, Sanduhr und Glocke.
Auf nicht volle Fertigstellung weist
die hinten am Pfeiler lehnende Leiter hin.7
Sie hat am oberen Ende eine hochkantige
und darunter sechs runde Sprossen. Zur
Haltbarkeit muß unbedingt am verdeckten
Fußende noch eine Hochkantsprosse
sitzen, so daß wir mindestens acht Stufen
hätten, also zu viele für eine Austeilung
unter die sieben Planeten.

IILWerkzeug. Verschiedenes Werk-
zeug liegt auf dem Boden: Hobel, Richt-
scheit, Lochsäge, Hammer, Anschlagwin-
kel und anderes. Durchweg geeignet für
Zimmerleute oder Schreiner. Der
Hobel verdient übrigens keinerlei Bean-
standung perspektivischer Richtigkeit.8
Denn alle Parallelkanten gehen durch den
Fluchtpunkt im Meereshorizont, 89 mm
rechts Blattgrenze. Nur haben wir keinen
Maschinenhobel mit Parallelkeil, sondern
einen Schrägkeil innen auf dem Eisen

sitzen, und hinten eine dem Handballen angepaßte Wölbung. Rechts neben den Nägeln steckt ein Instrument, das man als
Klistierspritze und Symbol der Medizin9 angesprochen hat. Es ist aber ein Nagelheber: man packt die Messing-
hülse, setzt das runde Plättchen hart neben den zu tiefen Nagelkopf, hämmert auf den durch die Hülse durch-
reichenden Bolzen und — dank der Zusammenpressung des Holzes — der Nagel wird sich bald so heben, daß man
ihn mit der Beißzange ziehen kann. Zum Klistieren wäre das Plättchen hinderlich. Auch hätte Dürer verstanden, in die
dann genau runde Durchbohrung ein Eckchen Licht einzuzeichnen.

Der Topf neben der Kugel harrt ebenfalls noch der Klarstellung. An ihm wie an seinem Genossen, dessen
sich Johannes in Kaiser Maximilians Gebetbuch10 zum Eintunken der Schreibfeder bedient (Abb. 2), sieht man so recht die

peinliche Genauigkeit Dürers. Es ist ein Schnürtopf, worin der Zimmermann Farbe anrührt:
Die Schnur geht durch die Löcher im Bauch und Stöpsel ins Innere. Sie wird zum Transportieren
luftfrei auf einen Stab gewickelt. Beim Markieren einer Balkenreihe spannt man die Schnur
beiderseits fest, hebt sie dazwischen etwas hoch und läßt schnappen: der Strich wird »schnur-
gerade«. Beim Aufrollen hält man den Stab nach links, um eine rechtsgehende Schraubenwindung
zufassen, hierauf rechts für eine Linksschraube und so fort. Die Schraubengitter auf den Rollen
bei Melancholie wie Johannes sind also sachlich begründet. Gegen das Abrutschen der Schnur
schützen die Endkappen der Rolle. Der Stab bei Johannes ist erst auf halbe Länge umwickelt
und sind Schnüre samt Stöpsel herausgenommen. Als eigentliches Tintenfaß wäre der Topf
ungeeignet, weil die Flüssigkeit beim Transport durch die verschiedenen Öffnungen ausliefe.11
Leider habe ich bisher weder Schnurtopf noch Lockerer zu sehen bekommen. Die Museen
zu Nürnberg und München bergen solche alten Zunftgeräte nicht.12

— 45 —

Abb. 1. Albrecht Dürer, Die Melancholie.

Kupferstich. B. 74.

Abb. 2. Albrecht Dürer,
Schreibzeug Einzelheit aus
einer Federzeichnung (Jo-
hannes auf Pathmos) zum
Gebetbuch Kaiser Maximi-
lians.
 
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