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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.4217#0050
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Abb. 3. Albrecht Dürer, Federzeichnung aus dem Dresdener Skizzenbuch. Brück, Tat". 131. 182 b.

Der Hammer wäre für einen Gold-
schmied zu klobig.13 Tiegel nebst Kohlen-
zängchen mögen dem Laboratorium eines
Alchimisten14 entstammen. Ob jetzt Leim
gekocht oder Blei geschmolzen wird? Blei
braucht man zum Vergießen der — zwei
Steine zusammenhaltenden — Metallbol-
zen. Warmen Tierleim gestattete die Zunft-
vorschrift nur dem Schreiner. Zum wasser-
dichten Leim des Zimmermanns ist kein
Feuer nötig, weil er aus Weichkäse und ge-
branntem Kalk zusammengeknetet wird:
auch heute hoch.

IV. Vieleck — Kugel — Hund. Eine
aufdringliche Stellung im Bilde nimmt ein
rauhbehauener steinerner Polyeder ein,
den ein abgemagerter mit halboffenen Au-
gen ruhender Windhund von einer glatt-
geschliffenen Steinkugel15 trennt. Diese
ist keinesfalls aus Holz gedreht, sonst
sähe man die Masern.1G

V. Holzarbeiter und Steinmetzen.
Warum gibt uns Dürer nur Werkzeuge
von Holzarbeitern und kein einziges von
Steinmetzen? Der Mühlstein17 kam ja
fertig und gebraucht aus einer Mahlmühle.
Aber für die so sorgfältig bearbeitete Ku-
gel und den Rhomboeder waren Stein-
metzgeräte nötig. Der Werkplatz mußte nach strengster Hüttenregel unmittelbar an der Baustelle sich befinden.18 Sollten
die Steine auswärts bearbeitet worden sein, wie beim Tempel Salomos, oder gar fix und fertig von göttlicher Kraft
geliefert, wie beim Gralstempel?19

VI. Dürers Dresdener Skizzenbuch (D. S.) und Folgerungen. Die Skizzen20 stammen großenteiles aus dem Jahre 1513
und haben der 1514 herausgekommenen Melancholie mehrere Vorbilder geliefert. Zum Beispiel Zirkel und Winkel auf
Blatt 171b (Taf. 134). Der durchsichtige Rhomboeder (Abb. 3)— geklebt auf die Rückseite des Turmblattes 182. (Taf. 131).
Von Kugeln findet sich ein Erdglobus Blatt 174 (Taf. 145). Das Blatt 182 (Taf. 144) (Abb.4) gibt mehrere Grundrisse kleiner
Renaissance-Zentraltürme mit zwei Aufrissen einer hyperbolischen Kuppel. Die Skizze (Abb. 5) wiederholt bei gleichem
Maßstab in a) und b) beide Turmspitzen von D. S. 182. Hiebei treten Kugeln verschiedentlich auf. So trägt in a) der oberste
Kugelknauf noch Kreuz und Windflügel, welche Beigaben in b) weggelassen sind. Der nach abwärts folgende kugelige
Knaufträger von a) hat sich in b) zu einem traubenartigen Gebilde umgestaltet. Weiterhin folgt in a) wie b) eine von
gewölbter Kappe bedeckte Laterne, durch deren offene Stäbe eine Glocke sich zeigt. Eine ähnliche Turmkrönung
gibt c) aus Dürers Nachlaß.21

VII. Weiterer Vorgang im Stich. Die Werkleute haben sich vor dem Gewitter geflüchtet unter Hinterlassung von
Geräten und Wachhund. Dabei blieben die aus den Bohlen gezogenen Nägel, krumm wie sie herauskamen, zwischen
Lockerer und Beißzange liegen. Jetzt senkt sich die geflügelte Frau hernieder auf die Steinschwelle. Undenkbar, daß der
Genius alle die Sachen als eigene Attribute mitgebracht, an den Pfeiler gehängt, herumgestellt, die Kohlen im Tiegel
in Glut gesetzt und dann erst Platz genommen hätte, um sich schließlich die klaffende Beißzange unters Kleid zu schieben!

VIII. Knabe und Frau mit Ausrüstung. Neben die Frau hat sich auf den Mühlstein22 der geflügelte23 Junge
gesetzt. Bei seiner dünnen Bekleidung empfahl sich eine Tuchdecke24 über dem kühlen Sitz. Wenn der Kleine als
Historiker seine Einträge der Wachstafel einverleibt, so mag man erfahren, wie dürftig die Zeiten waren: die Mühle
außer Betrieb; kein Mehl zum Benützen der Wage;25 der Hund ohne Futter.26 Die Frau herrscht über dem Ganzen. Das
unter Zunfteid fest verschlossene »Bruderbuch«27 bleibt zu. Der Zirkel als Zepter der Steinmetzen macht sie zum
Genius der geometrischen Zeichenkunst: in den Steinmetz-Bauhütten wird 1514 kein gotischer Bau mehr
erdichtet, mit geheimnisvollen Proportionsdreiecken konstruiert28 oder gar zum Ausbau gebracht. Zweifelhaft, ob selbst
Polyeder mit Kugel den Weg zur Turmspitze finden. Der Zirkel mag lose in der Rechten ruhen. Zeichnungen sind unter
Zunfteid geheimzuhalten.29 Die linke Hand sitzt an der Backe, einer uralten Geste der Trauer gemäß. Von Beutel und
Schlüsseln wird kein Gebrauch gemacht. An ein Abzirkeln der Kugel — als Weltsymbol — hat die Frau nie gedacht.30

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