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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.4217#0066
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Die Verantwortlichkeit Luthers für die Gesamtheit der Kampfbilder ist gewiß anzunehmen. Daß aber im Einzelfall
der Eifer, seinen Einfluß zu erkennen, zu weit gehen kann und die Frage der Entstehung der Holzschnitte, auf die es
hier allein ankommt, nicht so klärt, wie es für die sachlich-kunstgeschichtliche Betrachtung erwünscht wäre, zeigt die
Untersuchung über die Illustration zur »Deuttung« des Mönchskalbes, die als eine der Lutherschen Schrift an-
gepaßte gewaltsame Umgestaltung nach seinen Anweisungen angesehen wird.

Die Sachlage verschiebt sich aber sehr wesentlich durch ein bisher unbekanntes Flugblatt mit der Darstellung
der Freiberger Mißgeburt. Dieses findet sich in einem Sammelband der Wolfenbüttler Landesbibliothek (118.
4 Quodl. 4°) eingebunden1, leider geknickt und aus dem ursprünglichen Folioformat auf das kleinere in Quart zurecht-
geschnitten, wobei der unter dem Holzschnitt stehende Text bis auf die Anfangszeilen und möglicherweise auch eine
Überschrift verlorengegangen sind. Die gängige Schwabacher Schrift gewährt leider keinen sicheren Anhalt zur Lokali.
sierung des Blattes, das »Ai« in der zweiten Zeile des Textes und das »nit« in der dritten sprechen indessen wenigstens
stark für Süddeutschland. Eine Beziehung des Textes zu dem der beiden von Weller (Xr. 2618 und 2733) und den
Verfassern mitgeteilten Einblattdrucke liegt nicht vor, noch weniger zu dem am angeführten Ort, II, Seite 19, abgebildeten
Holzschnitt des in München verwahrten Blattes, obwohl die charakteristischen Merkmale der Mißgeburt hier wie dort
im großen und ganzen dieselben sind.

Außerordentlich auffällig und fesselnd ist die Stilverschiedenheit beider Werke. Der für das Münchener Blatt in der
landläufigen Bezeichnung »ein roher Holzschnitt« gegebenen Einschätzung vermag ich mich, hier weniger mit geschicht-
lichem als mit modernem Empfinden gesprochen, nicht ohne weiteres anzuschließen: die sehr holzschnittgemäße Zer-
rissenheit großer schwarzer Flächen durch scharfe weiße Flecke und energische Linien ist eigentümlich eindrucksvoll.
Gegenüber dieser ganz auf Flächenwirkung eingestellten Behandlung spricht in der anderen Darstellung durchaus die
Linie, und es ist ein merkwürdiger Zufall, daß auch hier dem doch wirklich an sich unkünstlerischesten spröden Gegen-
stande wiederum überraschende Wirkung abgewonnen ist durch die Treffsicherheit und Großzügigkeit, mit der die
Umrisse und sparsame Innenzeichnung hingesetzt sind: die Größe und Schlichtheit der Figur, zu denen noch ein außer-
gewöhnlich geschicktes Kolorit in Schattierungen von Schwarz zu Grau und von Rotbraun zu heller Fleischfarbe tritt,
heben die Darstellung weit über die Masse ephemerer Erzeugnisse mit ähnlichen Vorwürfen hinaus.

Für die Stellung dieses Holzschnittes aber zu den übrigen Bildern des Mönchskalbes erweist sich der Umstand
von größter Wichtigkeit, daß hier bereits die starke Vermenschlichung mit dem Aufgerichtetsein des Tieres sich findet,
die bisher auf Rechnung Luthers und seines Illustrators gesetzt wurde. Die Reste des Textes lassen deutlich erkennen,
daß es sich hier keineswegs um eine an Luthers Schrift anknüpfende Darstellung, sondern lediglich wie in den andern
bekanntgewordenen Flugblättern um die Bekanntgabe der Mißgeburt »abcontrafett« handelt. Ebensowenig hat der
Holzschnitt den Charakter einer Kopie an sich, seine hervorgehobene Qualität hat er nicht durch Anregungen aus der
Luther-Illustration gewinnen können, sondern ganz offensichtlich haben wir es hier also mit dem sowohl Luthers Text
als seiner Bildbeigabe zugrunde liegenden Original zu tun.

Jene lehnt sich dem Vorbild aufs engste an: Bildung der Gestalt und ihre Stellung, das verzerrte »Gesicht« mit
der (auf dem Münchener Blatt fehlenden) herausgesteckten spitzen Zunge, Platz und Form der überhaupt wiedergegebenen
unbehaarten Stellen (von denen einige fehlen), sind getreu übernommen. Anstatt der spärlichen, auf die Kolorierung
rechnenden Innenlinien aber ist eine von solcher absehende reichere Schraffierung gegeben. Hinzugefügt sind nur
alle landschaftlichen Bestandteile, die, von Einfassungslinien umgrenzt, die Darstellung erst zur Bildmäßigkeit aus-
bauen. Indessen ist, auch bei dem wesentlich kleineren Format, die Wirkung der schlichten Flugblattdarstellung längst
nicht erreicht, sondern eine vielmehr pedantische, spießbürgerliche Komik charakterisiert das Bild.

Noch eine zweite Darstellung des Mönchskalbes als Illustration einer vermutlich oberdeutschen Ausgabe der
Lutherschen Schrift2 geht anscheinend direkt auf den Flugblatt-Holzschnitt zurück und nicht, wie die Holzschnitte der
verschiedenen anderen Nachdrucke, auf den der Wittenberger Originalausgabe. Statt der auf diesem nur flüchtig ange-
deuteten kahlen Bruststelle sind hier sehr deutlich die Umrisse wie in dem großen Original gegeben, ebenso sind an dem
vorgestreckten Vorderfuß und am Knie des vorgesetzten Hinterbeins nackte Stellen, die nur in diesem, nicht aber in der
Wittenberger Nachbildung sich finden, genau angegeben.

Der Zuweisung des Wittenberger Holzschnittes sowie seines Gegenstückes, des nach Wenzel von Olmütz kopierten
Papstesels an Lukas Cranach d. Ä. ist unbedingt beizustimmen, beide Blätter tragen deutlich die Merkmale seines späteren

i Der gleiche Sammelband enthält noch ein zweites, für die behandelten Zusammenhänge freilich nicht in Frage kommendes Flugblatt mit der
Darstellung einer Mißgeburt, nämlich des Wunderkalbes zu Landsberg i. S. Da es anscheinend auch unbeschrieben ist, sei es hier angeführt.
Links befindet sich ein etwa 200 mm hoher Holzschnitt ohne Einfassung, die Darstellung des Tieres in kraftigen Linien skizzenhaft angelegt, dunkel-
grau koloriert, mit heller Fleischfarbe an den Extremitäten und einigen roten Stellen. Das Kalb ist in hockender Stellung von vorn gesehen wieder-
gegeben, von embryonaler Form, mit nach rechts gewendetem Kopf, auf dem Schädel befindet sich ähnlich wie beim Mönchskalb eine kahle Stelle.
Rechts davon stehen 34 Verszeilen in gewöhnlicher Schwabacher Schrift, beginnend: Als man zeit. xv. hundert, xxiij. iar . . und auf die Deutung einer
möglicherweise kommenden Blatternplage der Kälber hinauslaufend. Auch der Freiberger Mißgeburt wird darin Erwähnung getan : Zu Freiberg ist auch
eins gborn || Das steckt in einer kappen ': Macht gar vil leute zu läppen '' . . . — - Luthers Werke, Weimar 1883 ff., Band 11, S. 363 G; in Berlin.
Staatsbibl., Luth. 3039.

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