(Mt 26, 18). Vespere autem facto venit cum duodecim (Mc.
14, 15). Der Abschied von Bethanien fand demnach am
Donnerstag, wohl am Spätnachmittag, statt, also am eigent-
lichen Abendmahlstage, nicht schon vor dem Einzug in
Jerusalem.1
Die Reihenfolge in der Kleinen Passion ist also hier
gewiß unrichtig. Das gleiche wird aber auch angenommen
für Blatt 13, welches die Vorführung Jesu vor Annas zeigt
(B. 28), nur daß hierfür nicht chronologisch-exegetische,
sondern ikonographische Gründe angeführt werden. Dieses
Blatt gehöre deshalb nicht an diese Stelle, weil es tatsäch-
lich eine ganz andere Szene illustriere, als man bisher an-
genommen habe. Rudolph Berliner hat darum auch in
einer diesbezüglichen Untersuchung - dem Blatte 13 die
Korrektur beigefügt: Christus vor Pilatus (nicht vor Annas!).
Noch Wölfflin, der besondere Dürer-Forscher, war der
Meinung, es handle sich hier tatsächlich um die Szene
Christus vor Annas, wenn er schrieb: »Während man sich
nämlich sonst begnügte, nur die Vorführung Christi vor dem
Hohenpriester und vor Pilatus darzustellen, gibt die kleine
Holzschnittpassion mit ihren einfachen Mitteln auch noch
die Begegnungen mit Annas und Herodes«.3
Bei den Synoptikern findet diese Vorführung vor Annas
keine Erwähnung; es heißt da nur: Et adduxerunt Jesum
ad summum Sacerdotem (Mc. 14, 53), ... ad domum prin-
cipis sacerdotum (Lc. 22, 54), oder direkt ... ad Caipham
(Mt. 26, 15). Nur im Johannesbericht ist zu lesen: Die Kohorte
aber und der Oberst und die Diener der Juden nahmen
Jesus fest, banden ihn und führten ihn zuerst zu Annas; dieser war nämlich der Schwiegervater des Caiphas, welcher
der Hohepriester jenes Jahres war (Joh. 18, 12—13).
Was veranlaßt nun die neuere Forschung, dem erwähnten Dürer-Holzschnitt B. 28 die bisherige Bezeichnung
»Christus vor Annas« abzusprechen, wiewohl auch des Chelidonius Beigedicht die Überschrift trägt »De Jesu ante Annam
praesidem Ode Alcaica« ?
Es erscheint auf diesem Bilde rechts, vom Bildrand durchschnitten, eine Person, eine Greisin, die ihre Linke auf
einen Krückstock stützt und die Rechte dem unter dem Baldachin thronenden Annas auf die Schulter legt. Sie ist eine
crux interpretum.
Wir wissen in der Passionsgeschichte von zwei Frauen, die in das Verhör eingreifen. Die eine ist des Pilatus Weib.
Sie schickte, so berichtet Matthäus (27, 19) — als einziger von den vier Evangelisten —, da er auf dem Richterstuhle
saß, zu ihm und ließ ihm sagen: Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten; ich habe heute viel erlitten im Traume
um seinetwillen. Die andere ist die Veronica genannte Blutflüssige. Von ihr erzählen die apokryphen Gesta Pilati
(c. VII), daß sie nebst anderen von Jesus Geheilten für diesen vor dem Landpfleger Zeugnis ablegte. Von dieser Veronica
heißt es nun: Item et mulier quaedam Veronica nomine a longe clamavit praesidi Fluens sanguine eram ab annis duo-
decim, et tetigi fimbriam vestimenti eius et statim fluxus sanguinis mei stetit.4
Die Vertraulichkeit, mit der die Alte dem Annas im Holzschnitt naht, würde an sich mehr auf die Gattin des Pilatus
als auf eine ihm fremde Persönlichkeit schließen lassen ; andererseits könnte der Umstand, daß nach Matthäus des Pilatus
Weib nicht selbst erscheint, sondern zu ihm schickt (sc. einen Boten), während in den Gesta Pilati Veronica persönlich
gegenwärtig ist, im Bilde mehr für diese als für jene sprechen.
Allein jede derartige Kombination fällt dadurch in sich zusammen, daß es sowohl bei Matthäus als auch in den Gesta
Pilati Pilatus der Landpfleger ist, zu dem die Frauen warnend und zeugend kommen, und nicht Annas, der alte Hohepriester.
In der Perikope Christus vor Annas (Joh. 18, 12—24), der einzigen, die uns über das Verhör Jesu vor dem alten
Hohenpriester erzählt, ist aber von einem Weibe, das in der Verhandlung eine Rolle spielte, überhaupt keine Rede.
»Einstweilen kann ich mir die Alte im Holzschnitt nur so erklären, daß Dürer die Frau aus der Pilatus-Perikope des
Matthäus in seine Annas-Szene aus künstlerischen Rücksichten übertragen hat.« So Stuhlfauth.5
1 Petrus Dausch, Die drei älteren Evangelien. Bonn 1918, S. 318. — 2 Forschungen zu Dürers Kleiner Passion, »Die Christi. Kunst«. Jhg. XXV,
Juli 1929, S. 314 ff. — 3 Wölfflin a. a. O. S. 212. — 1 Tischendorf, Evangelia apocrypha. Leipzig 1786, S. 356. — '■' Kleine Beitrüge zu Dürer, in
M. f. Kst.-Wiss. 1922, S. 57—64.
A. Dürer, Christus vor Annas. B. 28. Holzschnitt aus der »Kleinen
Passion«.
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14, 15). Der Abschied von Bethanien fand demnach am
Donnerstag, wohl am Spätnachmittag, statt, also am eigent-
lichen Abendmahlstage, nicht schon vor dem Einzug in
Jerusalem.1
Die Reihenfolge in der Kleinen Passion ist also hier
gewiß unrichtig. Das gleiche wird aber auch angenommen
für Blatt 13, welches die Vorführung Jesu vor Annas zeigt
(B. 28), nur daß hierfür nicht chronologisch-exegetische,
sondern ikonographische Gründe angeführt werden. Dieses
Blatt gehöre deshalb nicht an diese Stelle, weil es tatsäch-
lich eine ganz andere Szene illustriere, als man bisher an-
genommen habe. Rudolph Berliner hat darum auch in
einer diesbezüglichen Untersuchung - dem Blatte 13 die
Korrektur beigefügt: Christus vor Pilatus (nicht vor Annas!).
Noch Wölfflin, der besondere Dürer-Forscher, war der
Meinung, es handle sich hier tatsächlich um die Szene
Christus vor Annas, wenn er schrieb: »Während man sich
nämlich sonst begnügte, nur die Vorführung Christi vor dem
Hohenpriester und vor Pilatus darzustellen, gibt die kleine
Holzschnittpassion mit ihren einfachen Mitteln auch noch
die Begegnungen mit Annas und Herodes«.3
Bei den Synoptikern findet diese Vorführung vor Annas
keine Erwähnung; es heißt da nur: Et adduxerunt Jesum
ad summum Sacerdotem (Mc. 14, 53), ... ad domum prin-
cipis sacerdotum (Lc. 22, 54), oder direkt ... ad Caipham
(Mt. 26, 15). Nur im Johannesbericht ist zu lesen: Die Kohorte
aber und der Oberst und die Diener der Juden nahmen
Jesus fest, banden ihn und führten ihn zuerst zu Annas; dieser war nämlich der Schwiegervater des Caiphas, welcher
der Hohepriester jenes Jahres war (Joh. 18, 12—13).
Was veranlaßt nun die neuere Forschung, dem erwähnten Dürer-Holzschnitt B. 28 die bisherige Bezeichnung
»Christus vor Annas« abzusprechen, wiewohl auch des Chelidonius Beigedicht die Überschrift trägt »De Jesu ante Annam
praesidem Ode Alcaica« ?
Es erscheint auf diesem Bilde rechts, vom Bildrand durchschnitten, eine Person, eine Greisin, die ihre Linke auf
einen Krückstock stützt und die Rechte dem unter dem Baldachin thronenden Annas auf die Schulter legt. Sie ist eine
crux interpretum.
Wir wissen in der Passionsgeschichte von zwei Frauen, die in das Verhör eingreifen. Die eine ist des Pilatus Weib.
Sie schickte, so berichtet Matthäus (27, 19) — als einziger von den vier Evangelisten —, da er auf dem Richterstuhle
saß, zu ihm und ließ ihm sagen: Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten; ich habe heute viel erlitten im Traume
um seinetwillen. Die andere ist die Veronica genannte Blutflüssige. Von ihr erzählen die apokryphen Gesta Pilati
(c. VII), daß sie nebst anderen von Jesus Geheilten für diesen vor dem Landpfleger Zeugnis ablegte. Von dieser Veronica
heißt es nun: Item et mulier quaedam Veronica nomine a longe clamavit praesidi Fluens sanguine eram ab annis duo-
decim, et tetigi fimbriam vestimenti eius et statim fluxus sanguinis mei stetit.4
Die Vertraulichkeit, mit der die Alte dem Annas im Holzschnitt naht, würde an sich mehr auf die Gattin des Pilatus
als auf eine ihm fremde Persönlichkeit schließen lassen ; andererseits könnte der Umstand, daß nach Matthäus des Pilatus
Weib nicht selbst erscheint, sondern zu ihm schickt (sc. einen Boten), während in den Gesta Pilati Veronica persönlich
gegenwärtig ist, im Bilde mehr für diese als für jene sprechen.
Allein jede derartige Kombination fällt dadurch in sich zusammen, daß es sowohl bei Matthäus als auch in den Gesta
Pilati Pilatus der Landpfleger ist, zu dem die Frauen warnend und zeugend kommen, und nicht Annas, der alte Hohepriester.
In der Perikope Christus vor Annas (Joh. 18, 12—24), der einzigen, die uns über das Verhör Jesu vor dem alten
Hohenpriester erzählt, ist aber von einem Weibe, das in der Verhandlung eine Rolle spielte, überhaupt keine Rede.
»Einstweilen kann ich mir die Alte im Holzschnitt nur so erklären, daß Dürer die Frau aus der Pilatus-Perikope des
Matthäus in seine Annas-Szene aus künstlerischen Rücksichten übertragen hat.« So Stuhlfauth.5
1 Petrus Dausch, Die drei älteren Evangelien. Bonn 1918, S. 318. — 2 Forschungen zu Dürers Kleiner Passion, »Die Christi. Kunst«. Jhg. XXV,
Juli 1929, S. 314 ff. — 3 Wölfflin a. a. O. S. 212. — 1 Tischendorf, Evangelia apocrypha. Leipzig 1786, S. 356. — '■' Kleine Beitrüge zu Dürer, in
M. f. Kst.-Wiss. 1922, S. 57—64.
A. Dürer, Christus vor Annas. B. 28. Holzschnitt aus der »Kleinen
Passion«.
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