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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.6520#0035
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AnordnungdesHaars, die Kopfbedeckung.
Daß seine Komposition bereits beim Ent-
werfen der Zeichnung dem Meister vor-
schwebte, deutet eine breite Federlinie am
rechten Rande an: die Staffelei.

Die Zeichnung ist mit breiter Rohr-
feder in schwarzbraunem Bister durch-
geführt. Mit schlagender Sicherheit sitzen
Linien und Flecken, die mächtige Archi-
tektur des Kopfes aufbauend. So lapidar
und einfach wie möglich ist alles gesagt,
und doch umschließt das kleine Blatt einen
Reichtum, eine Fülle an Formen. Die spröde
Feder zieht nicht durchgehende Linien,
sondern läßt auf dem rauhen Papier zu-
weilen aus. So erhält die Zeichnung jenes
farbige Strahlen und Fluoreszieren, das
für Rembrandts Spätstil bezeichnend ist.

Es sei nun noch die Probe darauf
gemacht, ob das Blatt sich den bekannten
Blättern der Zeit um 1660 widerspruchslos
eingliedern läßt und seine Originalität auch
entwicklungsgeschichtlich erhärtbar ist.

Die Struktur breiter, unter der
spröden Feder sich verdoppelnder Linien
treffen wir bei einer Reihe von Zeich-
nungen der Zeit von 1658 — 60 an: bei
der vor einigen Jahren vom Berliner
Kupferstichkabinett erworbenen Kreuz-
aufrichtung (publiziert von Jakob Rosen-
berg in den Amtlichen Berichten aus den
preuss. Kunstsammlungen), bei der Frau
mit Kind in Dresden, HdG. 270, bei den Krüppelstudien in Berlin, HdG. 156, vor allem aber bei der Grablegung nach
einem italienischen Vorbild in Haarlem, HdG. 1321 (Rembrandt hat die gleiche Komposition schon einmal etwa sechs
Jahre früher in dem Blatte des Berliner Kabinetts, HdG. 76 behandelt). Als weiteres verwandtes Beispiel möchte ich die
Studie zur Radierung B. 50 bei Dr. Beets in Amsterdam (Vasari Society VIII 26) anführen. Das Vibrato der Federlinien,
die desungeachtet Formen von eherner Festigkeit aufbauen, kommt hier besonders schön zur Geltung. Die Zeichnung
hat kristallene Durchsichtigkeit.1 Bei all diesen Blättern handelt es sich um Werke, die noch dem künstlerischen Kom-
plex der fünfziger Jahre angehören, in seiner technischen Struktur hängt das Selbstbildnis mit diesem Komplex zusammen,
in seiner geistigen aber weist es in die sechziger Jahre voraus, an deren Beginn das abschließende Gemälde steht. Die Studien
zu den Staalmeesters, HdG. 101 in Berlin und HdG. 1180 in Amsterdam, vor allem aber das Blatt der Sammlung H. E. ten
Cate, Almelo (J. H. J. Mellaert, Dutch drawings of the seventeenth Century pl. 7), sind seine nächsten Geistesverwandten.
Für die Meisterschaft, mit der durch ein Minimum an andeutenden Linien und Flecken ein Haupt von visionär verinner-
lichtem Ausdruck beschworen wird, wüßte ich kein besser zum Vergleich geeignetes Werk anzuführen als die »Darstel-
lung im Tempel«, HdG. 1241, die Rembrandt 1661 in das Album des Dr. Jacobus Heyblock zeichnete. Aus dem flackernden
Spiel heller und dunkler Bisterflecken, scheinbar zusammenhangloser Linien ersteht die bei aller Kleinheit des Formats
feierliche Größe der Köpfe mit dem zwingenden, bannenden Ausdruck der Augen. Simeon ist tief in sich gekehrt. Sein
Blick scheint erloschen. Doch aus den dunklen Augenhöhlen strahlt ein Höchstmaß inneren Lebens. Darin künden sich
schon Blätter der Jahre 1662/63 an: die Falkenjägerin in Dresden HdG. 260 (vgl. meine Bemerkung im Wiener Jahrbuch
für Kunstgeschichte III S. 118), und der Homer in Stockholm (J. Kruse V 4), ein Blatt von gewaltiger Wirkung trotz
störender späterer Überarbeitung. Otto Benesch.

1 Die Radierung B. 50 wurde, indem man sie der Kreuzabnahme B. 83 von 1054 und der Grablegung B. 86 anschloß, allgemein »um 1654«,
also zu früh datiert. Ich habe erstmalig, eben auf Grand der Zeichnung bei Dr. Beets, nachgewiesen, daß diese Datierung unrichtig ist und als Ent-
stehungszeit den Ausgang des 6. Jahrzehnts vorgeschlagen i Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst 1922, S. 35).

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