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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.6520#0071
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4. Jahrzehnt des Jahrhunderts entstanden — etwa gleichzeitig mit der Decke des Hirschvogelsaales, der namentlich
die Pariser Zeichnung unmittelbar nahe steht; sie hätten ohne italienische Vorbilder oder Anregungen nicht entstehen
können. In der Londoner Zeichnung, die uns mit dem Gesamtplan bekannt macht, ist die Perspektive zum Selbstzweck
geworden: Das erinnert an die perspektivischen Scherze der gleichzeitigen deutschen Kunst,1 ist aber lehrhaft gefaßt.
Pencz, der zuerst nach Dürers Anweisungen an den Fresken des Nürnberger Rathaussaales gearbeitet hat, dann als Maler
an der Fassade des Rathauses tätig war und an der Decke des Hirschvogelsaales im Sinne des italienischen
Manierismus und von Giulio Romano beeinflußt, eine »große Erfindung« dargestellt hat, hat hier das Vorbild italienischer
Kunst - das ausgeführte Werk mag, wenn wir nach der Beschreibung Sandrarts urteilen, deutlicher als die Zeichnung
mantegneske Züge getragen haben — im Sinne eines halb wissenschaftlichen Experiments ausgebaut.

Die intellektualistische Funktion der Kunst wird seit dem 2. Viertel des 16. Jahrhunderts in ganz Europa merkbar.
In Deutschland ist sie schicksalsvoll geworden als eine der Klippen, an denen man gestrandet ist: Das große Sterben
deutscher Malerei kündigt sich auch hier schon an, wo statt anschaulicher Vorstellung lehrhafte Vorführung steht.2
- Ernst Kris.

' Zu diesem Gegenstande sind, voneinander unabhängig, in letzter Zeit zwei Arbeiten erschienen; vgl. A. Weixlgärtner in der Festschrift der
Nationalbibliothek in Wien, 1926, 849 ff., und J. Byam Shaw, Apollo, VI, 35 (Nov. 1927), 208ff. — 2 wie ich hure, wird die Zeichnung der Albertina
jetzt auch, unabhängig von mir, von Hans Tietze und Erika Tietze-Conrat für Pencz gehalten. Vergl. den Artikel »Neue Beiträge zur Dürer-
Forschung« in dem im Erscheinen begriffenen Band VI der Neuen Folge des Jahrbuches der kunsthistorischen Sammlungen in Wien (Wien 1932).

Besprechungen neuer Erscheinungen.

Sötte Cleef, Kinderbacchanal. Zeichnung. Albertina.

Melanges Hulin de Loo. 355 Seiten mit 47 Licht-
drucktafeln. Bruxelles et Paris, Librairie nationale d'art
et d'histoire, 1931.

Zur Feier des 60. Geburtstages des großen Erforschers der altnieder-
ländischen Kunst vereinigten sich Schüler und Freunde zu dieser Fest-
schrift. Eine Fülle wichtigen neuen Materials erscheint in ihr ausgebreitet.
Es sei dem Referenten gestattet, auf den Beitrag von Ludwig Burchard
besonders einzugehen, da er nicht nur einer der wertvollsten ist, sondern
ein schon lange quälendes Rätsel in der Geschichte der niederländischen
Malerei endgültig löst, wobei bereits ein erster Versuch der Fruktilizierung
dieser Lösung gemacht werden soll.

>War der Sötte Cleef Bildnismaler?« Diesist die Frage, die Burchard
aufwirft. Parallel zur stilkritischen Arbeit Friedländers, Cohens u. a., die

l vom Bildnisoeuvre des Sötte Cleef, wie es die moderne Forschung zu-
sammengestellt hatte, Abspaltungen vornahm, ging Burchards quellen-
kritische Untersuchung. Sie hatte das überraschende Ergebnis, daß die
Gestalt des jüngeren Joos van Cleve, den man mit dem Sötte Cleef iden-
tifizierte, eine durch drei Jahrhunderte fortgeschleppte literarische Fiktion
war, aus einer mißverständlichen Auffassung der Verse des Lampsonius
durch Karel van Mander entsprungen. Richtige Interpretation der
literarischen Quellen und der urkundlichen Funde van den Brandens führten
zu dem Resultat, daß Lampsonius' Verse an Joos van Cleve den Älteren,
den Marientodmeister, gerichtet sind und das Windsorbildnis, das in
Wiericx' Stich über Lampsonius' Versen steht, eben ein spätes Selbst-
bildnis des Marientodmeisters ist und nicht das eines fiktiven Joos van
Cleve d. J., der in Wahnsinn verfiel.

Nostra nec artifices inter te Musa silebit

Beigas, picturae non leve, iuste, decus.

Quam propria, nati tarn felix arte fuisses;

Mansisset sanum si misero eerebrum.
Comelis van Cleve war eben der »Sötte« und Joos, der Marientod-
meister, sein Vater, den Lampsonius besang. Mit dem Gespenst des
»jüngeren Joos van Cleve« weicht natürlich auch das einigende Band
um sein »Oeuvre«. Das verhängnisvolle Alter des Irrtums macht auch jede
j alte Inventar- und Katalognotiz suspekt, denn da schon zu Beginn des
17. Jahrhunderts durch van Mander das Windsorbild als Sötte Cleef be-
kannt gemacht wurde, war weiteren Irrtümern Tür und Tor geöffnet.
Friedländer hat bereits im jüngsterschienenen Bande seiner Altnieder-
ländisehen Malerei dem Marientodmeister seine Spätbildnisse revindiziert.
Auf Seite 65 liest man: »Aussicht besteht, daß mit Hilfe van Manders
und vieler Inventarnotizen ein Werk von Cornelis van Cleve auftauchen
wird. Erst danach wird die Grenze zwischen Sohn und Vater sicher
markiert werden können«. Demnach lehnt Friedländer die ganze Bildnis-
gruppe als Werk eines Meisters ab, für die Winkler schon vorsichtiger
den Namen Cornelis gebraucht hatte (Die altniederländische Malerei.
Seite 327 und 330). Gleichzeitig macht er den Versuch, eine Gruppe von
Andachtsbildern auf Cornelis van Cleve festzulegen.

Der Mühe, die alten Inventarnotizen, die sich auf Cornelis van
Cleve beziehen, zu sammeln, hat sich Burchard in mustergültiger Weise
unterzogen. Zwar macht er keinen Versuch, ein Werk von ihm zu iden-
tifizieren, doch daß er die auf Cornelis vereinigte Bildnisgruppe ebenso
bezweifelt wie Friedländer, steht zwischen den Zeilen seines Textes nicht
minder (Seite 59), wie es im LTnterton des Titels seiner Abhandlung

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