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Miethke, Jürgen [Hrsg.]
Geschichte in Heidelberg: 100 Jahre Historisches Seminar, 50 Jahre Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde — Berlin, Heidelberg [u.a.], 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.2741#0138
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Geschichte als politische Wissenschaft: Hermann Oncken

Hermann Oncken7 (1869-1945) kam als Nachfolger von Erich Marcfcs nach Hei-
delberg. Im Gegensatz zu jenem, „damals der Favorit unter den historischen Kan-
zelrednern"3 stand Oncken erst am Anfang seines Ruhmes mit einer für einen Pro-
fessor des Kaiserreichs ungewöhnlichen persönlichen und wissenschaftlichen Vita.
Oncken war Schüler des Ranke-Epigonen Max Lenz in Berlin, Archivar in seiner
Heimatstadt Oldenburg, Privatdozent an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin
und ordentlicher Professor in Gießen - das alles war nicht unüblich; aus dem Rah-
men fiel, daß er ein Jahr Austauschprofessor in Chicago gewesen war (1905/6) und
eine Biographie Ferdinand Lassalles geschrieben hatte.

Oncken war nicht die erste Wahl der Heidelberger gewesen. Sie hatten Fried-
rich Meinecke, damals in Freiburg, unico loco auf die Liste gesetzt und erst, als das
Ministerium diesen nicht freigab, eine Dreierliste mit alphabetischer Reihung von
ihrer Meinung gleichwertigen Kandidaten aufgestellt: Erich Brandenburg
(Leipzig), Otto Hintze (Berlin) und Oncken, damals in Gießen, den das Ministe-
rium berief.

Mit Oncken fand, ganz anders als dies bei Meinecke der Fall gewesen wäre, die
spezifische Heidelberger Tradition politisch wirkenwollender Geschichtsschrei-
bung ihre Fortsetzung, auch wenn Oncken seine wissenschafdiche Arbeit im Be-
reich von Mittelalter und früher Neuzeit begonnen hatte.4 Das Verhältnis Ge-
schichte - Politik beschäftigte ihn zeitlebens; noch im Selbstzeugnis von 1933 fand
er es durchaus in Ordnung, daß der Historiker „sich durch Wahl und Behandlung
seiner Stoffe an überwiegend politischen Aufgaben beteiligt, sei es durch die indi-
rekte Wirkung einer politischen Pädagogik, sei es durch die publizistische Vertre-
tung gegenüber anderen Völkern".' Endzweck der historischen Arbeit sollte „die

2 Über Oncken vgl. D. Drüll (Hg.), Heidelberger Gelehrtenlexikon 1803-1932 (Berlin, Hei-
delberg usw. 1986), S. 197; Chr. Weisz, Geschichtsauffassung und politisches Denken
Münchener Historiker der Weimarer Zeit (Berlin 1971), passim; K. Schwabe, in: H.-U.
Wehler (Hg.), Deutsche Historiker (Göttingen 1973), S. 189 ff.; B. Faulenbach, Ideologie
des deutseben Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiser-
reich und Nationalsozialismus (München 1980), passim; H. Kossack, in: Berliner Histori-
ker. Die neuere deutsche Geschichte in Forschung und Lehre an der Berliner Universität
(Berlin-DDR 1985), S. 53 ff.

3 G. Ritter, Zum Gedächtnis an Hennann Oncken. In: Geistige Welt, Bd. 1/1946, S. 26. Über
den Unterschied zwischen Marcks und Oncken vgl. auch K.A. v. Müller, Im Wandel der
Welt (München 1966), S. 236: „Marcks war irenisch, zum Harmonisieren geneigt, eine
Wissenschaft]ich ästhetische Natur, zwar begierig nach dem Verkehr mit Männern der Tat,
aber ohne persönlichen politischen Ehrgeiz; er hatte im Wesen viel mehr mit Ranke gemein
als Oncken, der vor allem ein Mann scharfen nüchternen klaren Verslandes und Willens
war, zur zuspitzenden, sophistischen Polemik geneigt, aber mit einer viel stärkeren
politischen Ader, zwar nicht mit Treitschke, aber mit Sybel und den anderen klein-
deutschen Historikern verwandt"

4 Dissertation: Zur Kritik der Oldenburg iseben Geschichtsquellen im Mittelalter; Habilitati-
onsschrift: Graf Christoph von Oldenburg 1504-1566. Zur deutschen Geschichte im Zeit-
alter der Reformation.

5 Antrittsrede in der Preußischen Akademie der Wissenschaften 29. Juni 1933
(Sitzungsberichte der Phil.-Hist. Klasse), S. CX1V.
 
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