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Mincoff-Marriage, Elizabeth
Poetische Beziehungen des Menschen zur Pflanzen- und Tierwelt im heutigen Volkslied auf hochdeutschem Boden — Bonn: P. Hanstein's Verlagshandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.70221#0040
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30

Marriage.

die Frau sehnt sich durchaus nicht nach der Verwandlung,
diese kommt als Strafe. Und so geschieht es gewöhnlich.
Dass die Liebenden sich als Pflanzen denken, ist nur eine
hübsche Redensart, ein Spiel der Phantasie: die wirkliche
Verwandlung ist ein fürchterliches Los. Eine Mutter verwünscht
ihre Tochter, weil sie das Wasserholen versäumt, um mit ihrem
Schatz zu plaudern. Das Mädchen wird in eine Espe ver-
wandelt. Drei vorübergehende Spielleute wollen aus der Espe
eine Fiedel machen und hauen dazu einen Ast ab; die Espe
blutet zuerst, dann greint sie und zuletzt erzählt sie ihre Ge-
schichte. Die Spielleute aber machen die Fiedel fertig und
geigen der Mutter ein Stücklein darauf. Sofort erkennt sie
die Stimme und ruft dem Geiger, er solle nicht von ihr und
ihrem Kinde spielen. (Lh. I 27, Oesterr.-Schl. 209, vgl. Baum-
kultus 38.) Dieselbe Geschichte wird (Kuhld. 122) von einer
Erle erzählt.*)
Selbst ohne direkte Verwünschung kann der Mensch
Pflanzengestalt annehmen.
Ein großer Sünder wird von Gott verurteilt, 33 Jahre
unter einem Oelbaum zu knien. Nach Ablauf der Zeit ruft
ihn Gott zu sich; jener aber klagt:
I mug es barlain et mear aufschtean;
Maine zeachlain hont birzlain gewoset schon,
Maine negelain traibent schislinglain,
Main harzle ischt mit shonte werishn,
Main häptle trüget grienes Miesch.
Dennoch fasst Gott den Sünder bei der weißen Hand
(etwas Menschliches hat er also doch behalten) und führt ihn
in den Himmel. (Gottschee 223.)
Ein merkwürdiger Fall von Verwandlung ist der Wasser-
mann, der freiwillig Apfelgestalt angenommen, um sich seiner
Frau wieder zu nähern. Diese, die schöne Hannele, eine ge-
wöhnliche sterbliche, flüchtet sich zu ihren Eltern. Während
des Essens fällt ihr ein Apfel in den Schoß: sie weiß sofort,
was dieser ist und ruft:

*) Aehnlich ist die Wunderharfe der schottischen und schwe-
dischen Balladen: aus Gebein und Haar eines ermordeten Mädchens
gemacht, spielt sie von selbst ihre eigene Geschichte. Scott’s
Minstrelsy vol. III the cruel sister, Böckel LXXIX, Qvanten 72.
 
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