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Frauen.
20. Frauen (Tafeln 33, 34).
1. Ein buntes Gemisch von Typen, Motiven, Trachten aus allen Zeiten griechisch-römischer
Kunst ist in der kleinen Auswahl von Frauenbildern versammelt. Denn 353, wenn auch un-
scheinbar geworden durch die Zerstörung, gehört — nach Stil und Ton — ins Ende des 5. Jahrh.;
ob es im Altertum schon oder erst jüngst nach Ägypten verschleppt ist, vermag keiner zu
sagen. Jünger, härter in den Formen, aber immer noch gut griechisch sind das Mädchen 354
und die Alte mit dem Kind 366 1); ist ein größerer Gegensatz dazu denkbar als 367, das
brettartige Gebilde spätester Zeit? Oft begegnen in den Museen aus alexandrinischen Funden
— aber fast nie aus dem Land selbst — reizende Mädchen, zarte, biegsame Griechinnen; aber
auch wenn alles, was an Nippes der Alexandriner der ersten Zeit liebte, von dem Einfluß des
väterlichen Geschmacks beherrscht war, der süße Duft der Wunderblüten aus dem praxitelischen
Garten war verflogen (356): schaler, welker wurden die Formen2).
Neues jedoch tritt hinzu: Der Grieche erfaßt sicher und fein die fremde Art und umgibt
sie mit wohliger Wärme (361) 3); oder mit erstaunlicher Kenntnis und Freude am üppig auf-
geblühten Frauenleib modelliert er (360) blitzartig das Augenblicksbild der sich wiegenden Korb-
trägerin4); oder er fügt routiniert in breiter Skizze Stückchen an Stück, bis solch eine resolute
Alte vor ihn sich hinstellt (355).
2. Einheitliche Dekoration verbindet die Flaschen 357, 358, 359. Unter dem schlichten
Ausguß Mädchengestalten mit Kränzen auf ihrer Drehlockenfrisur. An Ösen wurden diese
Flaschen aufgehängt: war da der Untersatz in Kapitellform, wie 358, 359 ihn haben, nicht
entbehrlich? Demnach ist auch er dekoratives Glied: 358 zeigt ein ägyptisierendes Pflanzen-
kapitell, einen Kelch, von stilisierten5) Palmblättern umstanden; 359 aber rohe, blattförmige
Einritzungen. Nun sind jedoch die beiden Figürchen selbst eng verwandt: mit beiden Händen
halten die Mädchen dieselben keulenförmigen, in Horizontalstreifen mit geometrischen Tiefstich-
mustern geschmückten Flaschen vor den Körper, die wir schon einmal als Attribut des Bes (264,
Tafel 25) fanden6). So wird kein Zweifel sein, daß 359 wie im ganzen, so besonders im Kelchmotiv
peinlicher ausgeführte Stücke, wie 358, nachahmt; zumal wir oft sahen, daß die Entwicklung
vom Plastischen zum Linearen hineilt. Eine schwerwiegende Bestätigung kommt hinzu: während
359, der Masse der Terrakotten entsprechend, aus einer kunstlosen Form in schwerem, hellbraunen
Ton gepreßt ist, ist das Material von 358, gleich dem von 357, ein zarter, gutgepflegter rosa, mit
gelber Farbe übergangener Ton; 357 und 358 entstammen also dem gleichen Geschmack, der gleichen
Fabrik, deren Gewohnheit und Einfluß sich aus einer Anzahl erhaltener Stücke feststellen läßt.
1) Ähnl. Berlin, Antiquarium, Terr. Inv. 7427. Winter, Typ.-Kat. II, 465, 12; 469, 2 u. 3. Wie hölzern sind beim
unsrigen noch die Beine.
2) Ich denke an die Figürchen, Büsten, Köpfchen der frühhellenistischen Zeit, die in Alexandrien, Paris, Karlsruhe,
Hildesheim und sonst öfter, sicher aus Alexandrien stammend, begegnen. Mode und Geschmack haben sie wohl den ganzen
Hellenismus hindurch geduldet, aber nichts Großes mehr aus ihnen entwickelt. Es ist der Stil, der an Praxitelisch-
Tanagraeisches sich anlehnt und dessen Charakterzüge „sfumato“ und „morbido“ sind; Amelung hat ihn zuerst beobachtet.
3) Das Köpfchen kommt manchesmal vor: z. B. in Hildesheim. Man denkt auch gerne an den Kopf im Orto botanico
in Rom, s. oben Abb. 10 und seine Parallelen S. 34, Anm. 9.
4) Das Stück ist offenbar eines Schadens wegen verworfen; vielleicht schon vor dem Brand zerbrochen oder schwer
verletzt; denn der Rand ist ringsum stehen geblieben, der vor dem Brand hätte fallen müssen. — Ist das Gerät, das sie
trägt, ein Korb? Nicht eher ein zylinderförmiges Gefäß? Mir ist nichts ähnliches begegnet; nur, wenn man etwa sagen will,
daß die Ringe nur skizziert sein sollen, vgl. etwa Winter, Typ.-Kat. I, 51, 4.
5) Die Mittelrippe mit Perlmuster kenne ich sonst nicht. Ich möchte es für eine Stilisierung halten, der auch das ganze
Blatt unterliegt.
6) „Cymbeln“, wie Ausführl. Verzeichn.2 371 gesagt wird, können es gewiß nicht sein. So fällt auch die Erklärung:
„Musizierende Frauen“.
Frauen.
20. Frauen (Tafeln 33, 34).
1. Ein buntes Gemisch von Typen, Motiven, Trachten aus allen Zeiten griechisch-römischer
Kunst ist in der kleinen Auswahl von Frauenbildern versammelt. Denn 353, wenn auch un-
scheinbar geworden durch die Zerstörung, gehört — nach Stil und Ton — ins Ende des 5. Jahrh.;
ob es im Altertum schon oder erst jüngst nach Ägypten verschleppt ist, vermag keiner zu
sagen. Jünger, härter in den Formen, aber immer noch gut griechisch sind das Mädchen 354
und die Alte mit dem Kind 366 1); ist ein größerer Gegensatz dazu denkbar als 367, das
brettartige Gebilde spätester Zeit? Oft begegnen in den Museen aus alexandrinischen Funden
— aber fast nie aus dem Land selbst — reizende Mädchen, zarte, biegsame Griechinnen; aber
auch wenn alles, was an Nippes der Alexandriner der ersten Zeit liebte, von dem Einfluß des
väterlichen Geschmacks beherrscht war, der süße Duft der Wunderblüten aus dem praxitelischen
Garten war verflogen (356): schaler, welker wurden die Formen2).
Neues jedoch tritt hinzu: Der Grieche erfaßt sicher und fein die fremde Art und umgibt
sie mit wohliger Wärme (361) 3); oder mit erstaunlicher Kenntnis und Freude am üppig auf-
geblühten Frauenleib modelliert er (360) blitzartig das Augenblicksbild der sich wiegenden Korb-
trägerin4); oder er fügt routiniert in breiter Skizze Stückchen an Stück, bis solch eine resolute
Alte vor ihn sich hinstellt (355).
2. Einheitliche Dekoration verbindet die Flaschen 357, 358, 359. Unter dem schlichten
Ausguß Mädchengestalten mit Kränzen auf ihrer Drehlockenfrisur. An Ösen wurden diese
Flaschen aufgehängt: war da der Untersatz in Kapitellform, wie 358, 359 ihn haben, nicht
entbehrlich? Demnach ist auch er dekoratives Glied: 358 zeigt ein ägyptisierendes Pflanzen-
kapitell, einen Kelch, von stilisierten5) Palmblättern umstanden; 359 aber rohe, blattförmige
Einritzungen. Nun sind jedoch die beiden Figürchen selbst eng verwandt: mit beiden Händen
halten die Mädchen dieselben keulenförmigen, in Horizontalstreifen mit geometrischen Tiefstich-
mustern geschmückten Flaschen vor den Körper, die wir schon einmal als Attribut des Bes (264,
Tafel 25) fanden6). So wird kein Zweifel sein, daß 359 wie im ganzen, so besonders im Kelchmotiv
peinlicher ausgeführte Stücke, wie 358, nachahmt; zumal wir oft sahen, daß die Entwicklung
vom Plastischen zum Linearen hineilt. Eine schwerwiegende Bestätigung kommt hinzu: während
359, der Masse der Terrakotten entsprechend, aus einer kunstlosen Form in schwerem, hellbraunen
Ton gepreßt ist, ist das Material von 358, gleich dem von 357, ein zarter, gutgepflegter rosa, mit
gelber Farbe übergangener Ton; 357 und 358 entstammen also dem gleichen Geschmack, der gleichen
Fabrik, deren Gewohnheit und Einfluß sich aus einer Anzahl erhaltener Stücke feststellen läßt.
1) Ähnl. Berlin, Antiquarium, Terr. Inv. 7427. Winter, Typ.-Kat. II, 465, 12; 469, 2 u. 3. Wie hölzern sind beim
unsrigen noch die Beine.
2) Ich denke an die Figürchen, Büsten, Köpfchen der frühhellenistischen Zeit, die in Alexandrien, Paris, Karlsruhe,
Hildesheim und sonst öfter, sicher aus Alexandrien stammend, begegnen. Mode und Geschmack haben sie wohl den ganzen
Hellenismus hindurch geduldet, aber nichts Großes mehr aus ihnen entwickelt. Es ist der Stil, der an Praxitelisch-
Tanagraeisches sich anlehnt und dessen Charakterzüge „sfumato“ und „morbido“ sind; Amelung hat ihn zuerst beobachtet.
3) Das Köpfchen kommt manchesmal vor: z. B. in Hildesheim. Man denkt auch gerne an den Kopf im Orto botanico
in Rom, s. oben Abb. 10 und seine Parallelen S. 34, Anm. 9.
4) Das Stück ist offenbar eines Schadens wegen verworfen; vielleicht schon vor dem Brand zerbrochen oder schwer
verletzt; denn der Rand ist ringsum stehen geblieben, der vor dem Brand hätte fallen müssen. — Ist das Gerät, das sie
trägt, ein Korb? Nicht eher ein zylinderförmiges Gefäß? Mir ist nichts ähnliches begegnet; nur, wenn man etwa sagen will,
daß die Ringe nur skizziert sein sollen, vgl. etwa Winter, Typ.-Kat. I, 51, 4.
5) Die Mittelrippe mit Perlmuster kenne ich sonst nicht. Ich möchte es für eine Stilisierung halten, der auch das ganze
Blatt unterliegt.
6) „Cymbeln“, wie Ausführl. Verzeichn.2 371 gesagt wird, können es gewiß nicht sein. So fällt auch die Erklärung:
„Musizierende Frauen“.