Äriegssammlungen und Revolutions-
sammlnngen
von Friedrich I^elger, öerlin.
Es scheint ein Tharakteristikurn der 2eiten des Niedergangs zu sein, datz das
Lchöpferische, die Tat und das aufbauende Moment zurücktreten und das Interesse sür
Lrleinarbeit, für Rückblicke, für vaterländifch-historische Forschungen, Sammlungen usw.
auf breiter Trundlage erwacht. vas trifft im gewissen Sinne auch für die 2eit, die wir
erleben, zu. vie großen führenden Teister fehlen, die lZeit der vielen, allzuvielsn und
kleinen persönlichkeiten ist angebrochen, der iZeitgeist hat die iZeitgenossen nivelliert;
es baut kein Erotzsr mehr, aber die Uärrner habsn doch zu tun. vie iZeit, die den Unter-
gang und den Zusammenbruch von verschiedensn Staaten brachte, ist aber doch im
Grunde eine gewaltige vaumeisterin, die zunächst auf — Vbbruch baut. Ts gibt viel
Lchutt aufzuräumen, viele vokumente einer Zeitwende für die kommenden Tene-
rationen zu retten. Insofern ist die Tätigkeit der vielsn amtlichen Uriegssammlungen und
der noch zahlreicheren privatsammlungen kulturgeschichtlich hoch einzuschätzen. Vlle diese
Lammlungen bergen für die Uommenden, die wieder für den vufbau berufen sind und
sich auf aufsteigender Rulturwelle befinden, eine Fülle von Vnregungen.
Ein volk, das in jugendlichem, überschüssigem Lebensdrang vorwärtskommen will,
kennt übrigens keine pietät gegen Deschichtsdenkwürdigkeiten. In den Iahren 1870/7!
wurde in Oeutschland wenig oder fast gar nichts gesammelt; nur an einzelnen amtlichen
Siellen dachte man daran, Sammelstoff, soweit er in dieser grotzen lZeit er-
häitlich war, aufzubewahren. Wer weitz heute davon, datz die veröfsent-
lichungen der Weltkriegsjahre alle schon ihre vorläufer haben? Wer kennt die zahl-
reichen nationalistischen Neugründungen von 1870 in paris, die eine starke Khnlich-
keit mit alldeutschen Gründungsn hatten? Wer weitz noch von der einzigartigen Propa-
gandatätigkeit Gambettas, von seiner vallonzeitung in Winiaturausgaben usw., von
den damaligen ungeheuerlichen französischen Rarikaturen, von dem revolutionären
hexensabbat der ttommune, der paris mit Nugblättern, revolutionären Schlagwörtern
und kurzlebigen politischen iZeitungen und iZeitschriften überschüttete? Vieles davon er-
innert überraschend an gestern und heute und läßt an 6en Vkiba denken: „E§ gibt
nichts Neues unter der Sonne".
1914 war eine ganz andere Generation da. Neben sämtlichen bedeutenderen deutschen
Viblictheken sammelten einigs hundert privatsammler im Zammlerrausch der ersten
liriegsmonate und Kriegsjahre. Wan merkte aber bald, datz man vokumente einer Welt-
katastrophe sammelte. Endlich stehen wir vor dem Fazit: Es gilt die Lrinnerungen einss
katastrophalsn Gusammenbruchs durch die schwersten Stürme ciner Weltwende hindurch-
zubringen und für die kommende Generation zu erhaltcn. vie Sammlungen und Sammler
haben wirklich brave Uärrnerarbeit getan. Wan wird uns vielleicht später noch vank
wisfen, wenn nicht vorher die gesammelten venkwürdigkeiten in Woder zerfallen, ver-
gänglichs Gebilde einer brutalen Seit. die Willionen von Geitgenossen als Kulturdünger
einstampfte.
Es gilt, im folgenden den vegriff der Kriegssammlung an sich zu untersuchen und
den veweis zu erbringen, datz im Grunde genommen kcin scharfer Lrennungsstrich zwischen
Kriegs- und Kevolutionsfammlung gemacht werden kann, ja datz das Sammeln
von Revolutionsdenkwürdigkeiten nur eine organische Fortsetzung der Tätigkeit
des Rriegssammlers ist. Vuch soll noch skizziert werden, welchen Umfang eine Uriegs-
sammlung haben mutz, wenn sie auf den vegriff „vollständigkeit" Vnspruch erheben will,
und auf welche Grundlagen das Sammeln von Revolutionsmaterial im Vnschlutz hieran
fortgesetzt werden muß.
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sammlnngen
von Friedrich I^elger, öerlin.
Es scheint ein Tharakteristikurn der 2eiten des Niedergangs zu sein, datz das
Lchöpferische, die Tat und das aufbauende Moment zurücktreten und das Interesse sür
Lrleinarbeit, für Rückblicke, für vaterländifch-historische Forschungen, Sammlungen usw.
auf breiter Trundlage erwacht. vas trifft im gewissen Sinne auch für die 2eit, die wir
erleben, zu. vie großen führenden Teister fehlen, die lZeit der vielen, allzuvielsn und
kleinen persönlichkeiten ist angebrochen, der iZeitgeist hat die iZeitgenossen nivelliert;
es baut kein Erotzsr mehr, aber die Uärrner habsn doch zu tun. vie iZeit, die den Unter-
gang und den Zusammenbruch von verschiedensn Staaten brachte, ist aber doch im
Grunde eine gewaltige vaumeisterin, die zunächst auf — Vbbruch baut. Ts gibt viel
Lchutt aufzuräumen, viele vokumente einer Zeitwende für die kommenden Tene-
rationen zu retten. Insofern ist die Tätigkeit der vielsn amtlichen Uriegssammlungen und
der noch zahlreicheren privatsammlungen kulturgeschichtlich hoch einzuschätzen. Vlle diese
Lammlungen bergen für die Uommenden, die wieder für den vufbau berufen sind und
sich auf aufsteigender Rulturwelle befinden, eine Fülle von Vnregungen.
Ein volk, das in jugendlichem, überschüssigem Lebensdrang vorwärtskommen will,
kennt übrigens keine pietät gegen Deschichtsdenkwürdigkeiten. In den Iahren 1870/7!
wurde in Oeutschland wenig oder fast gar nichts gesammelt; nur an einzelnen amtlichen
Siellen dachte man daran, Sammelstoff, soweit er in dieser grotzen lZeit er-
häitlich war, aufzubewahren. Wer weitz heute davon, datz die veröfsent-
lichungen der Weltkriegsjahre alle schon ihre vorläufer haben? Wer kennt die zahl-
reichen nationalistischen Neugründungen von 1870 in paris, die eine starke Khnlich-
keit mit alldeutschen Gründungsn hatten? Wer weitz noch von der einzigartigen Propa-
gandatätigkeit Gambettas, von seiner vallonzeitung in Winiaturausgaben usw., von
den damaligen ungeheuerlichen französischen Rarikaturen, von dem revolutionären
hexensabbat der ttommune, der paris mit Nugblättern, revolutionären Schlagwörtern
und kurzlebigen politischen iZeitungen und iZeitschriften überschüttete? Vieles davon er-
innert überraschend an gestern und heute und läßt an 6en Vkiba denken: „E§ gibt
nichts Neues unter der Sonne".
1914 war eine ganz andere Generation da. Neben sämtlichen bedeutenderen deutschen
Viblictheken sammelten einigs hundert privatsammler im Zammlerrausch der ersten
liriegsmonate und Kriegsjahre. Wan merkte aber bald, datz man vokumente einer Welt-
katastrophe sammelte. Endlich stehen wir vor dem Fazit: Es gilt die Lrinnerungen einss
katastrophalsn Gusammenbruchs durch die schwersten Stürme ciner Weltwende hindurch-
zubringen und für die kommende Generation zu erhaltcn. vie Sammlungen und Sammler
haben wirklich brave Uärrnerarbeit getan. Wan wird uns vielleicht später noch vank
wisfen, wenn nicht vorher die gesammelten venkwürdigkeiten in Woder zerfallen, ver-
gänglichs Gebilde einer brutalen Seit. die Willionen von Geitgenossen als Kulturdünger
einstampfte.
Es gilt, im folgenden den vegriff der Kriegssammlung an sich zu untersuchen und
den veweis zu erbringen, datz im Grunde genommen kcin scharfer Lrennungsstrich zwischen
Kriegs- und Kevolutionsfammlung gemacht werden kann, ja datz das Sammeln
von Revolutionsdenkwürdigkeiten nur eine organische Fortsetzung der Tätigkeit
des Rriegssammlers ist. Vuch soll noch skizziert werden, welchen Umfang eine Uriegs-
sammlung haben mutz, wenn sie auf den vegriff „vollständigkeit" Vnspruch erheben will,
und auf welche Grundlagen das Sammeln von Revolutionsmaterial im Vnschlutz hieran
fortgesetzt werden muß.
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