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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Neues von der Bergstrasse
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0021
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Neues von der Bergstrasse

bauen muss, wo er baut. Auf der Grundlage
eines gediegenen Wissens und Könnens, das der
Tradition folgt, das Material beherrscht und mil
dem Scharfsinn einer geläuterten Geschmackskultur
jeweils gerade dort anknüpft, wo die Vorbedingungen
zu einer künstlerischen Ausgestaltung in natürlicher
Art hinweisen, auf diesem gesunden, starken, trag-
fähigen Fundament richtet er sein Werk auf, fröh-
lich und heiter, ernst und würdig, wie es der Zweck,
wie es die Umgebung verlangt. — V

V Die raumschaffende Baukunst ist in ihrer höchsten
Vollendung stets eine vollendete Raumkunst, einer-
lei ob sie als Grosswürdenträger im Monumental-
bau oder bescheiden im Landhaus ihren Ausdruck
findet. Wie das Bauwerk in den Raum hinein-
gestellt ist, sich seinem Milieu anpasst, wie es an
der Strasse, im Garten, an der Wiese, am Berghang
steht und seinen Platz ganz ausfüllt, das lässt er-
kennen, ob sein Schöpfer ein Künstler war. Die
künstlerisch gestaltende Kraft reisst niemals ihr
Werk als Einzelglied heraus, sondern gliedert es
an, ordnet es über oder unter, je nach den An-
sprüchen die ihm gestellt werden. Die Reissbrett-
fassaden, auch wenn sie vollendet nachgeahmte
Abbilder herrlicher alter Kunst sind, sind tot-
geborene Papiergebilde, deren nachgebildeter Ko-
stümaufputz beziehungslos und nur wie zur Schau
gestellt an der Strasse steht. — Die räumlich ge-
staltende Phantasie Metzendorfs ist eine reiche. Wie
sie das Werk in den Raum stellt, ihm anpasst, so
schafft sie auch aus dem Bedürfnis heraus Räume,
die ihren Zwecken entsprechen. Seine Grundrisse
zeigen den Meister, der das Notwendige in die
künstlerische Form kleidet. Es sind schlichte, ge-
schlossene Kompositionen. Ihr Schöpfer kennt alle
Finessen einer verfeinerten Lebensauffassung, aber
er scheitert nichtan ihren Verführungskünsten; seine
Kunst stellt alles und jedes auf den richtigen Platz
und verbietet jedes vordringliche Wesen. V

V Es sind ausgereifte Pläne, die in die wirkliche
Erscheinung übertragen mit ihren Mauern Räume
umschliessen, die unserm angeborenen Empfinden
für die feine Wirkung eines richtig abgewogenen
Raumes gerecht werden. V

V Aus dieser künstlerisch reifen inneren Anord-
nung entwickelt sich naturgemäss, einfach und klar
der äussere Aufbau, die Verteilung und Bewältigung
der Massen zu einer Einheit. — Versteht man unter
Architektur die Kunst, die Verhältnisse der ein-
zelnen Bauteile untereinander abzuwägen und in
harmonische Beziehung zu bringen, die Einheit
zu gliedern und die Einzelglieder zur Einheit zu-
sammenzuschmelzen, die Fläche rhythmisch zu
teilen und der plastisch hervortretenden Gliederung

diejenige Form zu geben, welche der Struktur Aus-
druck verleiht und schliesslich die ganze körper-
liche ErscheinungdesKonstruktionsgedankens künst-
lerisch zu behandeln: in der Flächenbehandlung,
in der Form der plastischen Gliederung, in der
Massenbewegung des gesamten Aufbaues und in der
richtigen Abwägung der koloristischen Werte des
Baumaterials, so wird man im Werke Metzendorfs
dafür die Bestätigung finden. Mit jener akademi-
schen Bauweise aber hat es nichts zu tun, welche
die Architektur zur Trägerin von Systemen macht,
deren verirrende Wiederholung die Fassaden nach
bestimmten Regeln mit horizontalen und vertikalen
Teilungen überzieht und die Flächen mit schablonen-
haftem Ornament beleben will. Ist der Flächen-
schmuck angezeigt, oder soll eine gliedernde archi-
tektonische Anordnung erreicht werden, so kommt
der Plastiker oder auch der dekorativ schaffende
Künstler zu seinem Rechte. Diese Auffassung über
Architektur scheint mir aus der Bauweise Metzen-
dorfs zu sprechen und darum hat sie nichts gemein
mit jener imitierenden Scheinkunst, sondern ist der
klare, geläuterte Ausdruck einer persönlichen Kunst.
Aus dem hessischen Bauernhaus, aus der klein-
städtischen Bauweise lang vergangener Zeiten, ja
aus der speziell den praktischen Bedürfnissen Rech-
nung tragenden englischen Landhausarchitektur hat
Metzendorf sich seinen eigenen Typ geschaffen.
Innerhalb der Grenzen, die er sich als Künstler
selbst gesteckt hat, schaltet und waltet er frei
schaffend in reicher Abwechslung, sich nicht selbst
kopierend, immer neue Wege findend, neue An-
regungen bietend. Er tritt jeder neuen Aufgabe
mit besonderem Interesse gegenüber und weiss für
ihre Eigenart eine künstlerische Art der Lösung
zu finden. Er gibt jedem das Seine; das Haus des
Malers, des begüterten Landbewohners oder Klein-
städters, das schlichte Heim, das sich der durch
Beruf oder Neigung aufs Landleben Hingewiesene
errichtet, ja die würdig-ernste Synagoge, alle haben
ihr bestimmtes nur ihnen passendes Gepräge.
So steht das Werk Metzendorfs, seine Kunst vor
mir. Der Fachmann versteht in den Abbildungen
zu lesen, deshalb kann es nicht die Aufgabe dieser
Zeilen sein, das Einzelwerk erläuternd zu zergliedern.
Die künstlerische Kultur aber, die uns hier entgegen-
tritt, ist von hoher allgemeiner Bedeutung, hier ent-
springt eine jener segensreichen Quellen, deren
Kraft uns verhelfen möge zu einer geläuterten Auf-
fassung des Wesens der Baukunst, als einer Kunst
unserer eigenen Zeit, der sie Ausdruck verleiht,
wie es die Kunst der Alten für die ihrige getan
hat. Ein neues Kleinod im Schmuck, in dem die
Kunst die Jahrhunderte vereint. V
 
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