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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Nr. 4
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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Will Bradley: ein amerikanischer Wohnungskünstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0147
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WILL BRADLEY, EIN AMERIKANISCHER WOHNUNGSKÜNSTLER

VON H. E. BERLEPSCH-VALENDAS, MÜNCHEN

Im Jahre 1862 erschien bei Charpentier in Paris
1 ein Buch, das durch die geistreiche Art, euro-
päische Unfehlbarkeits-Illusionen aller Schattie-
rungen zu geissein, sie in schlagenden Gegensatz zu
einer anders gearteten, kraftvoll aufstrebenden Welt
zu stellen, in kurzer Zeit eine grosse Zahl von
Auflagen erlebte. Es liest sich noch heute gut,
dieses Buch, und sei all jenen zum Studium empfohlen,
die so vieles, was sich auf fest eingebürgerte Miss-
bräuche und Verkehrtheiten stützt, dennoch aber
wohl gefestigt weiter besteht, als vollauf berech-
tigte Erscheinung der oft bis zum Ueberdruss be-
tonten älteren Kultur Europas betrachten. Den
Bewohnern des grossen republikanischen Staaten-
bundes erging es in mancher Hinsicht nicht viel
besser, als bis vor wenigen Jahren dem japanischen
Volke, von dem das Handbuch für Geographie von
Seydlitz, ein an vielen Gymnasien gebrauchtes
Lehrbuch, 22. Bearbeitung (1899), im Kapitel „Men-
schenwelt" sagt (pag. 127), es zähle zu den Halb-
kulturvölkern, sei trotz Betrieb von Acker- und
Gartenbau, trotz wissenschaftlicher und künstle-
rischer Leistungen „doch in irgend einer Weise in
der Barbarei und in der Unfreiheit gegenüber der
Natur stehen geblieben" und stehe auf einer Stufe
mit Türken, Persern u. s. w. Lafcadio Hearns
Bücher, deren Inhalt wesentlich andere Gesichts-
punkte über dieses Volk erschliesst, existierten im
Jahre der Ausgabe des genannten geographischen
Werkes dem grösseren Teile nach schon. Dies
nebenbei. Andere Beispiele für den nicht ganz
berechtigten Glauben zu finden, als seien die Euro-
päer allein von der Vorsehung zu Kulturträgern
ausersehen, ist nicht schwer. Die Zeit ist vielleicht
nicht gar so ferne, wo die weitere Ausfuhr euro-
päischer Kultur, in ihren problematischen Erschein-
ungen wenigstens, energischer Abwehr begegnen
wird. - - Das Buch, von dem hier die Rede war,
trägt den Titel: Paris en Amerique.*) Giesst schon
der Titel die Schale des Spottes über europäische,

*) Paris en Amerique par le Docteur Rene Lefebvre, Parisien, de la
Societe des Contnbuables de France et des Administres de Paris; des societes
Philadelphique et Philharmonique d'Alise et d'Alaise etc.; de la Real Aca-
demia de los Tontos de Guisando, Pastore nell' Arcadia in Brenta (detto
Melibeo l'Intronato), Mitglied des gross- und kleindeutschen Narren-Land-
tages, Mitglied der k. k. Hanswurst-Akademie zu Gänsersdorf; membre du
Club Tarleton, A Coventry F. R. F. S. M. A. D. D. etc., commandeur
de l'ordre grand-ducal della civetta; Chevalier du Meree-Blanc (LXXX1X.
Classe) avec Plaque etc. etc. Das Buch erschien in allen möglichen Sprachen.
Eine deutsche Ausgabe existiert nicht.

speziell über Pariser Verhältnisse aus, so geschieht
dies in noch viel ausgiebigerem Masse in den nach-
folgenden Kapiteln, die durchzogen vom unverfälsch-
testen Humor den Mann der alten Welt im Konflikt
mit fortgeschritteneren Anschauungen zeigen, denen
er jedoch, überzeugt von ihrer Richtigkeit, folgt.
Zum Schlüsse gerät er, aufgewacht aus der Hypnose,
während der er alles das erlebt, in Konflikt mit
seinen alten Landsleuten, die von alledem, was
ihnen an Neuem, Unverständlichem zugemutet wird,
nichts wissen wollen, den Fortschrittler für verrückt
erklären und ihn einem Irrenhaus zur weiteren
Versorgung übergeben. Recht viel hat sich in den
vierzig Jahren, welche seitdem verflossen sind, in
bezug auf das Verständnis der Europäer für nicht
europäische Kulturerscheinungen nicht geändert.
Die Union machte seitdem jene ihre Grundfesten
erschütternde Krisis durch, die den Schwarzen aus
einem Sklaven zum politisch Gleichberechtigten
umwandelte, damit ein humanitäres Prinzip ein-
schneidendster Art zum Austrag gebracht und
wesentlich andere, freilich auch nicht durchweg
wünschbare Verhältnisse geschaffen hat. Indes
hat dieses gewaltige Ringen auch anderes zur Folge
gehabt: einen nicht nur auf das Gebiet des materiellen
Umsatzes sich erstreckenden Aufschwung ohne-
gleichen, vielmehr ein Konzentrieren der besten
Bestrebungen auf die Gebiete der geistigen Kultur.
Gründungen, wie die für Volkserziehung weitsichtig
angelegte und von klarster Ueberlegung getragene
Smithsonian Institution stehen nicht vereinzelt da;
sie bildet nur ein Glied in einer langen Kette von
Schöpfungen, die für das europäische Publikum,
Fachleute etwa ausgenommen, etwas völlig Unbe-
kanntes sind. Und ebenso unbekannt ist vieles
andere, was dort drüben unter Verhältnissen, die
eben spezifisch amerikanisch sind, sich eigenartig
entwickelt hat. Dazu zählt das Wohnen und die
Anschauung über unerlässliche Bedingungen, die
damit im Zusammenhange stehen. Gerade diese
Seite des Kulturlebens hat seit dem Sezessions-
kriege eine Ausbildung erfahren, zu der Europa
nichts Neues mehr beizutragen hat, von der es aber,
mehren sich die Einflüsse verbesserter Einsicht
in den sogenannten gebildeten Kreisen, sehr vieles
lernen kann. Noch kurz vor der Ausstellung von
Chicago konnte man, im Kunstgewerbeverein zu
München beispielsweise, Reden und Redner hören,
 
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