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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 6.1907

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Nr. 8
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Schmidkunz, Hans: Biedermeier als Erzieher
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https://doi.org/10.11588/diglit.23633#0423
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MODERNE BAUFORMEN
MONATSHEFTE FÜR ARCHITEKTUR
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BIEDERMEIER ALS ERZIEHER
VON DR. HANS SCHMIDKUNZ, BERLIN-HALENSEE

Herr Quadratus Biedermeier tritt vor uns
hin und grüsst etwas spöttisch, als wollte er
sagen: „Ihr lacht mich aus, aber Ihr seid doch von
mir abhängig!“ Er biedert sich uns recht gemüt-
lich an, und wir kommen von dem wunderlichen
Gesellen nicht los. Er ist auch Schulmeister und
will uns nach seiner Weise erziehen. Vielleicht
hat er recht, wenn er meint, er sei zwar unschein-
bar, besitze aber genug Reichtum, um uns gar
vieles mitteilen zu können. V
V Von sonsther kennen wir Herrn Biedermeier als
den Mann, der nicht gerne Böses tut, aber auch
nicht gerade wegen gewaltiger Produktionen des
Gegenteiles berühmt ist. Wir kennen ihn als den
Philister, der seine Welt für genügend hält und von
ihr aus die übrigen Welten würdigt. Als solcher
kommt er uns besonders gern in der Rolle des
Ingenieurs oder sonstigen Technikers, liefert uns
Leistungen, die nicht übel sind, und sagt dazu:
„Seht Ihr, Schönheit ist Zweckmässigkeit! Was
braucht es noch anderer ästhetischer oder artisti-
scher Momente, als nur eben der meinigen, die ich
als Techniker zu bestimmen habe!“ V
V Dann ist er wieder der Besitzer einer kleinen
Villa draussen, wo der Wald anfängt. Er lädt uns
ein, und wir freuen uns, aus dem Stadtgetriebe
hinaus zu flüchten aufs Land. Da treten wir denn
in ein Häuschen ein, mit Rechtecken rechts und
Rechtecken links, mit Blümchen an Wand und Sofa
und Stuhl, mit Birkenbänkchen und Birkenbrück-
chen im Garten usw. usw. Ob der Villenbesitzer
selber einsieht, dass das nicht ländlich, sondern ein
Abfall des Städtischen ist, eine Stadt auf dem Lande,
mit der deutlichen Marke „made in the town“?
V Herr Biedermeier ist aber auch Taschenspieler
u. dergl. Er tritt als Konzertmaler oder als Konzert-
architekt oder als Konzertkunstgewerbler auf und
beginnt mit jener Suada, die der Eingeweihte aller-
dings schon aus Zeitungen und Kunstzeitschriften
kennt: „Meine Herrschaften! Sie glauben, die Kunst

sei so schwierig, wie unsere renaissancenen Künst-
ler uns bisher weiss gemacht haben. Nein, das ist
sie nicht im geringsten. Sie ist ganz einfach. Schauen
Sie her: hier zeichne ich ein grosses, grosses Qua-
drat und in die Mitte hinein ein ganz kleines Qua-
dratchen, oder ein Dreieckchen, oder eine Raute.
Das ist das ganze Geheimnis!“ V
V Kinder und Narren reden oft genug die Wahr-
heit. Und die Wahrheit ist manchmal bitter, und
auch Herr Biedermeier kann ein Bittermeier wer-
den, wie er sonst aus lauter Biederkeit zum Bieder-
knüppel wird. Lehren kann er uns aber jedenfalls
nicht wenig. All das, was wir da scheinbar nur im
Spass angedeutet haben, geht auf ganz ernste und
gewichtige Momente zurück, die auch schon häufig
ihre historischen Ausprägungen gefunden haben.
Quadratus Biedermeier kann uns sehr viel lehren;
nur müssen wir die Wege dazu treffen, müssen
selbsttätig und kritisch auch gegen ihn sein, um zu
einer uns erwünschten Selbständigkeit zu gelangen.
Schwer macht er es uns allerdings; und am aller-
meisten dadurch, dass er, wie wir zum Teil schon
gesehen, gar so gern unter einer Maske oder in
einer Verwandlung erscheint. V
V Besonders gern wirft er einen grossen histo-
rischen Mantel um sich, mit der dazu gehörigen
Pose. Heute macht er seine Gestalt rund, morgen
eckig; heute kommt er uns spanisch, morgen japa-
nisch; sein ist heute der Orient und morgen der
Occident. Und wir lassen uns von ihm so düpieren,
dass wir glauben, etwa zwischen einem maurischen
Rauchzimmer und einem Barocksalon und schliess-
lich einem allermodernsten Gartenhaus die wesent-
lichsten Verschiedenheiten künstlerischer Gestaltung
sehen zu müssen. V
V Inzwischen tänzelt ein kleiner Junge vor, nicht
ohne Maske, aber mit einer, die man jetzt zum
ersten Male sieht, närrisch genug. Er nennt sich
Jugendstil und freut sich ganz besonders darüber,
dass er dem alten Herrn Biedermeier auf den Rücken

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