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hauses Dr. Erbt, und doch sind keine besonderen
Mittel angewendet (vgl. S. 19). Man möchte in dem Bau
den Charakter der Holsteinersehen. Die Straßenfront
zeigt das strenge gleichmäßige Gesicht dieser Nord-
deutschen, der dem Fremden mit keiner Miene Zu-
oder Abneigung verrät. Alles ist gemessen und wür-
dig,inHaltung und Bewegung ein fast feierlicher Ernst.
Aber nach Süden zu öffnet sich alles der Sonne ent-
gegen, um alles Licht einzufangen, das nur irgendwo
herein will. Die West- und Ostecke werden zu einem
benutzbaren Platz gemacht, weil das veränderliche
Wetter bald diese bald jene Seite zu nutzen zwingt.
So zeigt auch der Holsteiner dem Fremden erst dann
seine wahre Natur, sein warmes Herz, wenn er nach
Erledigung der Geschäfte den Fremden in seiner
Wohnung empfängt. Die unmittelbare Anpassungder
von Ross gebauten Häuser an das wetterwendische
Klima geht aus den wenigen zur Darstellunggelangten
Wohnbauten trefflich hervor. Der im Bauernhause
immer geübte Grundsatz, „solret", „sonnenrecht“ zu
bauen, wird ganz bewußt zur Anwendung gebracht.
Daß bei aller Schlichtheit dem Künstler auch die
Gestaltungskraft nicht fehlt, geht aus der Anschar-
kirche in Neumünster hervor. Es ist die trotz aller
Einfachheit groß wirkende Halle, bei der der prote-
stantische Gedanke der Predigtkirche zum sinn-
fälligen Ausdruck kommt. Alles richtet sich auf den
ernsten Kanzelaltar, zu dem die Orgel dasrhytmisch
wirkende Gegenstück bildet. Die Bemalung mit

freundlichen Farben, die Durchbildung der Beleuch-
tungskörper und des Holzwerks zeigen die gute Ab-
sicht des Künstlers, die Kirche zu einem auch auf das
Gemüt wohltuend wirkenden Raum zu machen, der
menschlich zu den Sinnen spricht. Und alles ist mit
Liebe durchgebildet, sei es der Turm, der sich auf
seinem wuchtigen Unterbau in gutem Massenver-
hältnis aufbaut, sei es das materialrecht geformte
Dach der Sakristei oder das schmiedeeiserne Gitter
am Haupteingange.
Wer aus dem häßlichen Bahnhofsgebäude in Neu-
münster heraustritt, hat gleich die Stadt mit ihrer
ganzen Eigenart Vorsicht das betriebsame Gewühl
der Fabrikstadt, die noch nicht ganz die Eierschalen
der ehemaligen kleinen Landstadt abgestreift hat. Das
kurz vor dem Kriege von dem Künstler umgebaute
Bahnhofshotel weist auf die zukünftige Grösse dieses
arbeitsamen, sich zur Großstadt entwickelnden Ge-
meinwesens hin. Vor dem Kriege versprach diese
Stadt unter ihrer klugen Leitung, mit einer unwider-
stehlichen Arbeitskraft und günstigen Lage als Eisen-
bahnknotenpunkt eine reiche Entwicklung. Sie wird
ihr hoffentlich in der Zukunft nicht fehlen, denn sie
ist innerlich bedingt. Wenn jetzt die Entwicklung auch
nicht so rasch und glänzend sein wird als bisher,so wird
sie darum doch eine gesunde sein. An der baulichen
Entwicklung der Stadt mitzuarbeiten, sollte dem ruhig
und sicher in ihr schaffenden Künstler beschieden
sein, der so gute Proben seines Könnens abgelegt hat.


Hans Roß, Neumünster
Bank aus Eschenholz in der Ortskrankenkasse zu Neumünster (vgl. S. 15)
 
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