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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0175
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BEILAGE ZUR „MODERNEN KUNST'

eine dumpfige Stickatmosphäre in dem ganzen Hause. Nur die
kleine Schwester Eleonore, die aus dem Irrenhause entlaufen
ist, schreitet wie ein Sonnenschein hindurch und verkündet die
Weisheit der Liebe und die Schönheit des Lebens mit kind-
lichen Sinnen. Da wird der furchtbare Druck gerade durch den
Hauptschuldner, der wie ein drohender Schatten vor der Tür ge-
standen hat, von allen genommen. Eine kleine gute Tat des
Vaters aus früheren Jahren veranlaßt ihn, die Schuldbriefe zu
zerreißen, und mit einem Male scheint die Ostersonne und be-
ginnt der Frühling zu blühen. „Der Sommer ist hart vor der
Tür, der Winter ist vergangen“. Es ist aber charakteristisch,
daß der innerlich zerrissene Strindberg diese Entsühnung nicht
mit gleicher Kraft darzustellen vermag wie die Qual der Menschen,
sondern daß ihm hier nur einzelne Blüten, freilich von zartester
Schönheit, an winterlichen Abhängen wachsen. Im Schauspielhause
hat weniger die Regie, die auch diesmal zu wünschen übrig ließ,
als vielmehr die Hauptdarsteller, zum Siege geführt. An der
Seite Friedrich Kayßlers, der die Hauptfiguren in allen drei Stücken
mit starker Charakterisierungskunst und tiefer_Verinnerlichung
spielte, stand jedesmal Helene Fehdmer als eine würdige Partnerin.
Unsere Abbildung zeigt die beiden Künstler in Strindbergs
„Ostern“ als Schullehrer Elis Heyst und dessen Braut. Auch
Adalbert Ulrici wäre sowohl als Gymnasiast in „Ostern“ wie
als Gatte im „Gläubiger“ zu nennen. Dr. Oskar Anwand.

Clcmens Freiherr von und zu Frankenstein,
Intendant des Kgl. Hoftheaters, München.
Phot. Gebr. Hirsch, München.

Pariser Ehen.

iii.

Auch in den einfachen Schichten der Gesellschaft, unter den
Arbeitern, Handwerkern und kleinen Leuten, gibt es ebenfalls
manche romantische Heirat, spielen Neigung und Liebe dabei fast
immer ihre Rolle. Warum abwägen, zählen, wenn auf beiden
Seiten die Rechnung schnell gemacht ist? Als wir uns heirateten,
hatten wir gar nichts, kaum ein Bett. Aber es war eine glückliche
Zeit. Wir arbeiteten, sparten um die Wette, konnten fast jede
Woche etwas zukaufen. Dann legten wir Geld beiseite, hatten
deshalb das Nötige, als das erste Kind ankam. Jetzt verdienen
die zwei ältesten schon, die andern werden bald ebenfalls mit-
helfen. Sie müssen tun wie ihre Eltern. Es geht nichts über
die Arbeit, durch sie ist man glücklich und zufrieden. So erzählte
mir einmal freudig ein angehender Vierziger, der sich durch
Fleiß und Zuverlässigkeit eine gute Stellung in einer Fabrik er-
rungen hatte. Solchen kleinen Leuten liefern die Händler billige,
einfache Möbel und Haussachen in großer Auswahl. Auch eben-
solche Hochzeitskleider, das weiße Brautkleid, nebst Schleier,
Kranz und Orangeblüten, weißen Schuhen und sonstigem Zubehör
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sich ausschließlich auf diesen Zweig. Arbeiterinnen, die ich in
solch billigem Hochzeitsstaate gewahrte, sahen recht hübsch aus

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