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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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4. Heft
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Harder, Agnes: Das Mädchen in dem akeleifarbenen Kleide: phantastische Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0117
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42

MODERNE KUNST.

Amulett getragen hatte, einen Amethyst gegen die Trunkenheit, oder einen Saphir oder
ein fremdes Geleucht, das hieb- und stichfest machen sollte, vielleicht gar gegen den
leidenschaftlichen Anprall der Liebe. Man sagt, daß diese Leidenschaft von einem
Ahn herröhre, der auf dem Zuge nach Jerusalem in eines jener kuppelbedeckten
arabischen Schlösser geraten sei, wie sie die Phantasie den ausziehenden Rittern gleich
einer Fata Morgana vorspiegelte. Damals war Wirklichkeit geworden, was in einem
späteren realeren Leben bestenfalls noch einen Operntext abgab. Eine junge Sulamith
hatte ihn gerettet und war ihm gefolgt. Das wunderbare Opalgehänge aber, das sie
um ihren Hals getragen, als er zum ersten mal ihren Schleier gehoben, hatte wie Mond-
schein in ihr Liebesieben geleuchtet, und die Hände ihres Kindes hatten zuerst in
jenem zuckenden Begehren nach den Steinen gegriffen, die von jetzt an einen ver-
hängnisvollen Einfluß auf das Geschlecht der Grafen haben sollten.
An den Kästchen mit seltsamen Steinen, die ganze Zimmer in einem abgelegenen
Flügel des Schlosses einnahmen, hatte der kleine Knabe lesen gelernt. Fremde Namen:
Almandin, Turmalin, Chalcedon und Prasen hatte er sich, noch stammelnd fast, zu-
sammengeholt, wie sie unter den sechskantigen Säulchen, den Oktaedern und Tafeln
standen, die leuchtend an dem grauen Gestein saßen, in dem sie so verschwiegen
wohnten, wie die Begierden und Leidenschaften in unsern Adern. Zuweilen, wenn er
einen ungeschliffenen Rubin gegen das Licht hielt und sah, wie es rot aufleuchtete
unter der grauen, unebenen Haut, fühlte er das sonderbare Leben all dieser Steine.
Er wunderte sich nicht, daß sie Geschichten hatten. Und es gab keine schöneren
Märchen für ihn als jene, die von der Herkunft und dem Lebensgang berühmter
Steine erzählen, wie von dem Auf- und Abstieg alter Geschlechter. Aus alten Büchern
und Handschriften, die er in jenem Zimmer fand, las er seiner Mutter vor, las mit
seinen jungen, reinen Lippen von den Verbrechen, die an den Besitz dieser Steine
gekettet waren, wie der Fluch an das Gold des Nibelung.
Er erzählte von dem Diamanten „der Regent", der. zuletzt an Napoleons Degen-
knauf geleuchtet hatte, und den ein Sklave in den Diamantengruben des Märchen-
landes Golkonda gefunden und an seiner Hüfte verborgen, nachdem er sich einen
Stich mit einem Messer beigebracht. Dann aber hatte ihn der Matrose ertränkt, dem
er ihn anvertraute. Der aber war hingegangen und erhängte sich, als das Geld ver-
braucht, das er für ihn eingenommen. Und dann war der Stein gewandert und höher
und höher bewertet worden, und die Sonne von Austerlitz halte sich in ihm gespiegelt,
aber auch die Sonne des Tages von Belle-Alliance.
Die Mutter war siech und müde, und ein seltsames Lächeln stand um ihre Lippen,
wenn der Knabe erzählte, wenn er von jenem Stein sprach, der der Talisman indischer
Radjahs gewesen, oder von dem andern, der als Auge in einer Götterstatue gesessen
hatte. Immer aber waren es große, weltentscheidende Tage gewesen, wenn die Edel-
steine im Staub der Straße gelegen hatten. Und es durchschauerte ihn, wenn er daran
dachte, daß Karl der Kühne von Burgund einen von seinem Hut verloren hatte in
der Schlacht bei Granson. Und einen andern hatte man nach seinem Tode in der
Schlacht bei Nancy im Staube gefunden. In die Hände armer schweizerischer Soldaten
waren diese gefallenen Sterne gekommen, und sie hatten sie weiter gegeben für einen
Gulden oder zwei. Dann aber, nach den Zeiten der Erniedrigung, kamen sie in die
Krone der russischen Kaiser oder in den dämmernden Schatten des grünen Gewölbes
in Dresden.
Der junge Magnus sah das alles. Er fühlte, daß es so feine Farben nimmer in
der Welt gäbe als sie eingeschlossen waren in den blitzenden Steinen, in denen sie
wohnen mußten wie gefangene Seelen. Und wie einst als Kind die schweren Namen,
so sprach er als träumender Jüngling jene eigentümlichen Farbenbezeichnungen vor
sich hin. Und vor seinen Augen, ehe der Schlummer sie schloß, wogte es in lauch-
grünen und honigfarbenen Tönen. Der Schleier des Rauchtopas senkte sich müde auf
ihn nieder, wenn in seinem Geist von ferne die Karfunkel der Kirche von St. Niklas
aufblitzten, jene mächtigen Steine, die wie Augen in der Stirnseite der Kirche saßen
in der alten Hansastadt Wisby auf Gotland in der Ostsee, bis der Dänenkönig
Waldemar Attertag sie ausriß und zu dem übrigen Raub in die Tonnen auf dem Markt-
platz legen ließ.
Seine Mutter trug einen Opal an ihrem Finger, dessen Leuchten wurde matt und
matter. Und als der Stein stumpf geworden, entschlief sie und wurde in der alten
Kapelle beigesetzt. Graf Magnus aber machte sich bereit zu seinem Zuge in die Welt.
Er ließ seinen alten Hauslehrer, der immer sonderbarer geworden war, allein in dem
Schloß zurück. Am letzten Abend gab er ihm die Schlüssel jener Zimmer, in denen
er einen großen Teil seiner Jugend verbracht hatte, und nahm Abschied von ihm.
. Da blickte der Greis von den Büchern auf, über denen er saß, und sprach:
„Vergiß nicht, daß das Leben wechselt in Tag und Nacht, in Leid und Schmerz,
wie der Alexandrin wechselt, der grün schimmert, solange die Sonne scheint, und sich
in Rot verwandelt, wenn sie untergeht."
„Der Alexandrin," fragte der Jüngling, „hast du den einmal gesehen?"
Der Alte schüttelte den Kopf. Er hatte sich schon wieder seinen Büchern zu-
gewendet und winkte mit der Hand.
„Es ist, wie ich dir sage. Denke an mein Wort.“
Der junge Graf Magnus machte jene weiten Reisen, die in seiner Familie üblich
waren und den langen Einsamkeiten vorangingen, die die Männer dann auf dem Schloß
zu verleben pflegten. Er stand vor den Pyramiden Ägyptens und kroch durch dunkle
Gänge nach leeren Königsgräbern und suchte nach jenen seltsamen Ringen, die an die
Hand der Mumien gesteckt wurden. Er stand in den Basaren von Damaskus, wo die
Händler mit dem grünen Turban des Propheten aus Schubladen die blauen Türkise
holten und sie in kleinen Haufen aufschichteten und feierlich und ernst ein Gebot
abschlugen, das ihnen ihrer eigenen Würde und der Würde ihrer Steine nicht zu

entsprechen schien. Überall aber forschte er nach jenem Stein, der seine Farben
wechselt, wenn die Sonne sinkt. Und keiner kannte ihn.
Er schiffte endlich der Heimat zu, an den griechischen Inseln vorbei, die wie
Blumenkörbe in der Flut schwammen und seltsame Visionen in seine Seele sandten.
Er landete in Italien in dem alten Hafen von Anzio und fuhr an dem Turm von
Astura vorbei, der aus den Trümmern der Villa des Cicero aufgebaut war, um das
Gefängnis des letzten Hohenstaufen zu werden, der hier in die Hände der Grafen von
Frangipani fiel.
Durch die Campagna zog er nach Rom. Drohend türmten sich die Volsker
Berge in seinem Rücken und die Ebene breitete sich vor ihm aus, schimmernd in
jenen Farben, die er an seinen Steinen geliebt hatte, wenn die untergehende Sonne sie
mit ihrem Gewoge erfüllte. Auf der alten Via Appia näherte er sich dem Herzen der
Welt. An Gräbern und ragenden Zypressen vorbei ritt er ein in ein Rom, das ihm
nichts mehr zu geben hatte, denn mit kalten Händen hatte es die Schönheit seiner
Vergangenheit abgestreift und den Adel seiner Glieder verhüllt unter den anspruchs-
vollen leeren Formen des jesuitischen Barockstils.
Die Stadt, deren seltsam hohles Treiben in so argem Widerspruch zu ihrer Ver-
gangenheit stand, widerte ihn an. Er nahm seinen Weg nach Norden und kam in
jenes wunderbare Land der Etrusker, da sich Vulkankegel steil und trotzig aus blühen-
den Ebenen erheben, in denen geheimnisvolle klare Seen träumen. Er ritt am Trasi-
menischen See entlang, der lag da wie ein einziger Chrysopras in einem undurch-
sichtigen hellen Grün, an dem sich sein Auge nicht satt sehen konnte.
Er kam nach Siena und zog durch mächtige Tore mit alten Fresken in enge,
schmutzige Straßen, und trank aus Brunnen, aus denen schon Dante getrunken hatte,
und ging durch Paläste, die waren wie große Leichenhallen, aber von ihren Wänden
lachte die Lieblichkeit Pinturicchios auf ihn nieder, und die Heiligen standen wie
Kinder und hielten sich an den Händen in einer blumengeschmückten Landschaft, und
alle Farben der Schönheit brachen aus ihrem Schmuck und ihren Gewändern. Er
verbrachte ganze Nächte auf dem arenaartigen Marktplatz, wo das Wasser rauschte
und der Rathausturm mit dem alten Wappen steil und aufrecht gen Himmel stand.
Da fand er in einer abgelegenen Straße in einem Laden, wo sich der Abhub der
Vergangenheit sammelte, ein seltsames Frauenbild. Lieblich und geheimnisvoll sahen
ihn die dunklen Augen an. Die feinen Zöpfe, die am Scheitel angeflochten waren
und deren Ansatz die Stirnlöckchen deckten, zogen sich, zierlich verschlungen und
gesteckt, um das Köpfchen. Ein Gewand von eigentümlich rötlichblauer Farbe gab
die linke Schulter frei und ließ die Brust offen. Eine blitzende Agraffe hielt es zu-
sammen. Auf dem Schoß des Mädchens lagen die Jasminen des Südens mit den
harten Blättern und den orangenartigen Blüten. Es schien, als ginge ein strenger Duft
von ihnen aus. In den spitzen Fingern aber hielt das Mädchen eine Akeleiblüte, die
war so eigentümlich getönt wie ihr Untergewand. Sie schien in einer Grotte zu sitzen,
denn feine Farren wuchsen aus der Wand hinter ihr, und ein üppiges Schlingkraut mit
kleinen, kreisrunden Blättern und haarfeinen Stengeln drang aus den Ritzen.
Graf Magnus blieb lange vor diesem Bilde sitzen. Das Weib war ihm noch
fremd, und geheimnisvoll drang sein Reiz auf ihn ein und nahm ihn gefangen.
Der Händler, den er nach alten Steinen gefragt hatte, wußte nichts von dem Bilde,
das nach dem Brande eines alten Schlosses in der Campagna von Siena in seine
Hände gekommen war. Er breitete vor dem Grafen aus, was sich in diesen wirren
Zeiten leicht zusammengefunden hatte, da Blutrache und Pest abwechselnd an die
Mauern der Häuser klopften, von denen ein jedes eine Festung war mit einem eigenen
Turm, daß der Marktplatz der Stadt Siena wie von ungeheuren eingerammten Pfählen
umgeben war und die Türme über den ausgebrannten Häusern stehen geblieben
waren wie dichtgedrängte Grabdenkmäler von Ruhm und Herrlichkeit. Zerkratzt
und zerstoßen lagen die Halsketten, die Ohrringe, die Gürtelschlösser und Anhänger.
Aber zum erstenmal in seinem Leben kümmerte sich der junge Graf nicht um die
Steine. Er sah nur immer in die Augen des Bildes. Und zögernd entfernte er sich,
und mit raschen, sehnsüchtigen Schritten kam er über das hallende Pflaster, über das
einst der heiligen Katharina schmale Füße gegangen waren, zu früher Morgenstunde
zu dem Händler zurück. Der Händler aber steigerte dessen Reiz und Geheimnis und
schürte die Liebe, die der sonderbare Inglese so offen zur Schau trug, bis eines Tages
eine lange Reihe von Goldstücken auf dem staubigen geschnitzten Tisch in dem Laden
lag, und Graf Magnus mit zitternden Händen bei beginnender Dunkelheit das Bild
in sein Quartier trug.
Er war kein/Reisender, der in großen Gasthöfen wohnte und das Treiben der
Welt um sich duldete. Er hatte sich eine kleine Wohnung nahe an der Porta Romana
gemietet, in einer abgelegenen Gasse. In dem Hof, der nicht viel größer war als sein
Zimmer, wuchs ein Granatstrauch. Der hing seine feuerroten Blüten in das Fenster
hinein, daß sie auf dem dunklen Hintergrund des Bildes lagen, als die Morgensonne
es zum Leben erweckte. Denn die ganze Nacht hatte Graf Magnus davor gesessen,
in einer kleinen Gräberlampe hatte der Docht hin- und hergeschwankt, und Schatten
waren über das Bild gelaufen und durch seine Seele.
Er hatte das Weib noch nicht gekannt bisher. Nun war es zu ihm gekommen,
dunkel und träumerisch, und hatte sein Herz erbeben gemacht. Seit er es besaß
und in seinem Zimmer verschließen konnte, seit er ein altes seidenes Tuch mit ver-
blichenen Goldspitzen, das einmal über einem Altar gelegen haben mochte, darüber
breiten konnte, um es jedem Blick zu verdecken, trieb ihn oft eine seltsame Unruhe
in die Campagna hinaus.
Reich und üppig war das Land um Siena. Der Wein bedeckte seine Berge, Mais
und Hirse gediehen. Und überall winkten von den Hügeln feste Schlösser, wohl-
verwahrt hinter zinnengekrönten Mauern und Rundtürmen. Die Berge von Toskana
 
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