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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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4. Heft
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Harder, Agnes: Das Mädchen in dem akeleifarbenen Kleide: phantastische Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0118

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MODERNE KUNST.

43


Strauchwerk, Maiskolben hingen in Schnüren von der Decke herab und Weinfässer
waren hervorgerollt, weil die Zeit nahte, in der man sie wieder brauchte. Es war
wenig zu sehen von der verschwundenen Herrlichkeit, die abbröckelte und in Stücken
auf dem Boden lag. Und Graf Magnus ging hinaus.
Ein Weinstock rankte um ein Häuschen, armdick, und die Trauben hingen von
seinen Zweigen. Eine große Katze mit grünlich schimmernden Augen lag vor der
Tür, und drin saß ein Mädchen und flocht mit feinen Fingern einen Strohhut.
Als der Graf sie sah, schlug sein Herz. Ihre Augen hatten ihn angesehen aus
dem Halbdunkel geradeso wie die Augen, über die der Schein des Lämpchens in der
Nacht flackernd dahinzog. Sie war dürftig angezogen und trug nur einen Rock und
ein Mieder. Aber ihr Haar lag in feinen Zöpfen um ihren Kopf, und schwarze
Locken bauschten sich und verbargen den Ansatz ihrer Zöpfe.
Er bat um einen Trunk, und sie goß ihm dunklen Wein in einen zinnernen
Becher, und er sprach mit ihr. Dann zeigte sie ihm, was im Schloß noch erhalten
war, ein paar leere Zimmer, staubig und verkommen, und einen kleinen Garten, der
kaum mehr war als ein Altan, hoch und von Mauern umgeben in den Mauern der
Umfassung. Unten lag der Gemüsegarten ihrer Vaters. Hier aber wucherten Rosen
und Klematis, und die Wände waren mit bunten Winden bezogen, die spielten in
allen Farben des Regenbogens. Man trat auf den Altan von einem kleinen Gemach
aus, das ein Frauengemach gewesen sein mochte in der Burg. Ein paar Decken und
zerschlissene Kissen und eine alte Truhe standen darin.
Das Mädchen aber hatte Vertrauen zu ihm gefaßt und sagte ihm, hier verberge
sie sich vor aller Welt, und niemand fände sie, denn der rostige Schlüssel zu der
Treppe unten im Turm gehöre ihr, und für sie blühten diese wilden Rosen.
Man konnte hinübersehen in das Land von dem Altan aus. Der Graf blieb bei
ihr sitzen bis die Sonne unterging. Als sie Abschied nahmen, küßten sie sich, und
er versprach ihr, er würde wiederkommen. Und sie wollte auf ihn warten.
Täglich kam er zu dem fernen Schloß. Es war die Zeit der Weinlese und ein
süßer Geruch von jungem Most lag über den Bergen. Süß und schwer ging der
Duft auch über das alte Schloß. Auf dem Hof stampften sie den Wein in den
Fässern. Nach alter Art traten sie ihn mit den Füßen, wie in der Weinlese, die
Benozzo Gozzoli an die Wände des Campo-santo in Pisa gemalt hat. Sie stemmten
die Hände in die Hüften und traten und lachten und sangen wilde Lieder. Das
Mädchen aber schlüpfte die Treppe empor in das kleine Zimmer. Und sie saßen auf
dem Altan, bis die Sonne unterging und die Berge sich in violettes Rot tauchten.
Graf Magnus ging wieder zu dem Händler. Er wählte in den alten Stoffen
und wog die schwere Seide und bauschte sie. Er suchte Ringe und Ketten unter dem
zerschürften Schmuck, dessen
seltsam leuchtende Steine so
viele Geschichten wußten.
Und er trug das alles nach
dem Zimmer in dem alten
Schloß. Der Händler ver-
stand ihn zu nehmen. Er
besorgte ihm, was er haben
wollte, den akeleifarbenen
Stoff, wie die Frau auf dem
Bilde ihn trug, und den
blauvioletlen Mantel. Er
legte ihm Ringe vor und
Ketten. Aber Graf Magnus
schüttelte den Kopf. Etwas
anderes wollte er an dem
Halse seiner Liebsten sehen.
Und er fand die Steine nicht,
die er suchte.
Das Mädchen zog sich
das altmodische schwere
Unterkleid an, das die Brust
freigab, und nahm die schal-
artige Tunika um die Hüften,
und sah ihn an und lächelte.
Eswar schwül in dem kleinen
Zimmer und schwül auf dem
Altan, wo die Blumen duf-
teten. Und schwül waren
auch ihre Küsse.
Einmal aber sprach er
ihr von der Kette, die er
suchte, von den grünen
Steinen, die rot werden, wenn
die Sonne untergeht. Es
war an dem Abend, an dem
er zum erstenmal nachtüber
in dem Schlosse blieb. Sie
hatten die Tür offen, und
als der kalte Wind über die
Berge strich und sie traf,
da erschauerte sie in seinen

aber stiegen wie ein blauer Wall am Himmel auf, als wollten sie seine Sehnsucht
begrenzen.
Zuweilen gegen Abend stieg er die breiten Stufen empor, die zu dem Berge
führten, auf dem der Dom stand, dieses Wunder aus weißem und schwarzem Marmor,
in dem er ganze Tage verträumt hatte, ehe er sein Bild gefunden. Da ragte die
mächtige Pestmauer, die stehengeblieben war als ewiges Zeichen von der Ruhmsucht
der Sieneseu in ihren stolzesten Tagen, da ihnen ihr Dom, der eines der Wunder-
werke des reichen Landes ist, nur gut genug schien als Flügel für ein neues un-
erhörtes Bauwerk. Aber der schwarze Tod kam und fegte die Bürger hinweg, und
nur die gewaltige Mauer blieb stehen. Eine Treppe führte in ihr empor, über die
gewölbten Fenster hinweg, durch das der Mond so gespenstisch scheinen kann, zu
einer schmalen Brustwehr. Von da beherrscht man Stadt und Land, die Hügelstadt
Dantes und der heiligen Katharina und das schöne, reiche, gefährliche Land mit seinen
Burgen und Schlössern.
Von der Pestmauer gingen die heißen Augen des jungen Grafen suchend von
Burg zu Burg, als dachte er, der unruhige Schlag seines Herzens müsse ein Uhrwerk
sein, über dem zittere die Nadel eines Magneten, und der Zeiger müsse ihm den
Weg weisen. Es stand aber in ihm fest, daß seiner Liebe Ebenbild lebte und wandelte.
Nur wußte er nicht wo. Und wenn die weißen Ochsen mit den breiten Hörnern
den goldenen Mais und die Fässer mit Weintrauben langsam auf den gewundenen
bergigen Straßen der Stadt zuzogen, hastete er an ihnen vorüber ins Land und suchte.
O du seltsames Land mit deinen geheimnisvollen Erinnerungen, mit den Hügeln,
über die der düstere Zug ging, der das Haupt der heiligen Katharina, die in Rom
gestorben war, der Vaterstadt wieder zurückbrachte, sehnsüchtig erwartet von den
Gläubigen der Heimat, die aus den Toren schwärmten, dem Haupte entgegen, und
niederknieten und es anbeteten. O du heitere Stadt, von der die ewigen Fresken in
der Bibliothek der Kirche predigen, die der Stolz der Piccolomini von Pinturicchios
Hand auf die Wände zaubern ließ, den Siegeszug eines Papstes darstellend, und auf
einem jeden Bild einen engelschönen Jüngling, der den Namen Rafael trug, und
strahlend über allem das Wappen der Piccolomini, das Kreuz und der Halbmond.
Du leere, tote Stadt, die da zehrt von Erinnerungen des ehrgeizigen Ringens mit
Florenz, des Künstlerstolzes und der Machtfülle. Du Stadt, die gleich Rom eine
säugende Wölfin im Wappen führt, die ein Dom krönt, dessen Schönheit St. Peter
verdunkelt, und heimische Maler, wie sie sich die Herrscherin der Welt für rotes
Gold heranlocken mußte, wenn sie die Wände ihrer Kirchen schmücken wollte. Wie
hieltest du mit deinem Zauber das junge verträumte Herz, wenn Graf Magnus müde
von seinen Streifereien am Abend zurückkehrte und die tönerne Gräberlampe vor
seinem Bilde ansteckte und

dem Spiel der Schatten zu-
sah. Wie triebst du ihn durch
deine Tore, von deinen stei-
len Höhen herab durch die
Täler, da hohe Zypressen
neben den Grabsteinen der
Friedhöfe stehen, über neue
Berge zu neuen Tälern, durch
Olivenhaine und Weingärten,
bis er das ferne Schloß fand,
wo sich sein Schicksal er-
füllen sollte.
Gelbgraue Mauern und
Zinnen, feste Türme und ein
offenes Tor, denn es gab
nichts mehr zu hüten und
nichts zu bewahren. In dem
alten Speisesaal blätterte der
Bewurf von den Wänden und
mit ihm die köstlichen Far-
ben aus SodomasSchule, den
man den größten Narren ge-
nannt und dessen Pinsel die
feinste Wollust wiedergege-
ben hat, jene mystische Wol-
lust der Verzückung und der
Ekstase, jenes Schwärmen
unter Geißelhieben, wie es
die Kirchenwände von Siena
zeigen. Aber hier der üppige
Schloßsaal zeigte ein fröh-
liches Bankett und Lauben-
gänge und Brüstungen, über
die sich die Schönheit bog
und neugierig lauschte, wäh-
rend der Knabe unten die
Mandoline schlug.
Es war leer gewesen auf
dem Hof, und es war leer in
dem Saal, als er ihn betrat.
Ackergerät lag darin und

F. Cliever: Schwalben.
 
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