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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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26. Heft
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Reincke, S.: Ein Künstler der Landschaftsphotographie
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329

Gin F(ünstlep dep Landsebaftsphotogpapbie.

Von S. Reineke.

[Nachdruck verboten.]


^s ist uns Heutigen schlechterdings unverständlich, daß ein Lessing lehren
konnte, die Landschaft habe keine Seele, folglich könne sie auch nicht
Gegenstand der Kunst sein. Verdanken wir doch gerade der Land-
schaftsmalerei eine unermessene Erweiterung und Vertiefung der künstlerischen
Ausdrucksmittel.
Ganz ebenso wie der Porträtist immer versuchen wird von seinem darzu-
stellenden Modell mehr zu geben als nur die proportionale Richtigkeit der Form,
so wird auch der Landschafter
danach trachten, seinem
Vorwurf die typischste und
stärkste Ausdruckskraft abzu-
gewinnen. Was für die Land-
schaftsmalerei zutrifft, gilt
in gleichem Maße auch von
der Landschaftsphotographie.
Nun hat allerdings die
Photographie, insbesondere die
Landschaftsphotographie im
Laufe des letzten Jahrzehnts
bei der breiten Menge des
Volkes eine etwas gefährliche
Beliebtheit und Verbreitung
gefunden, und zwar letzten
Endes aus dem Grunde, weil
sie jedem Schneider und
Handschuhmacher, die Mittel
in die Hände gibt, sich Erinne-
rungsbildchen festzuhalten,
ohne daß dazu die geringste
Vorbildung, ohne daß auch
nur ein vorhergegangener er-
lebter Natureindruck not-
wendig gewesen wäre. Allein
die Wenigen, die es mit dem
Photographieren ernst neh-
men, erkennen bald, daß ihr
Bestreben gewisse Naturein-
drücke, gewisse landschaftliche
Stimmungen analog dem opti-
schen Augeneindruck wieder-
zugeben, auf eminente Schwie-
rigkeiten stößt.
John Ruskin sagt ein-
mal, als er über Photographie
spricht: „Die Photographie ist
der Natur so ähnlich, daß sie
ihr vor allem in dem Geize
gleicht, der niemanden etwas
gibt, der nicht schwer dafür
gearbeitet hat. Die Definition
dieser Kunst ist: menschliche
Arbeit durch menschliche
Absicht geregelt. Und diese
Absicht oder dies Mitwirken
des Intellekts ist der wesent-
liche Teil der Arbeit."
Wenn in der Landschaftsphotographie bisher noch immer England das
Beste und künstlerisch Reifste leistet, so hat dies seine Ursache in der kulturellen
und künstlerischen Sonderstellung dieses Landes.
Eine der besten Eigenschaften des englischen Temperaments ist, wie sich
Ruskin ausdrückt, „ein gewisser erdhafter Instinkt, der den Engländer zu Freunden
der Tiere, zu Freunden des Landlebens, zu scharfen Beobachtern der Natur macht.“
Darwin, der am tiefsten den Entwicklungsgesetzen in der Natur nachgespürt
hat, war ein Engländer. Turner, der für die Landschaftsmalerei als erster die
beglückende Entdeckung des Lichtes machte, war ein Engländer.
Dazu kommen die Wirkungen des englischen Utilitarismus. Ein gewisses
handfestes Zugreifen; Dinge, die gefallen, nicht nur anzuschwärmen, sondern
sofort irgendwie Besitz davon zu ergreifen und seiner Freude an ihnen dadurch
Dauer und die Behaglichkeit ungestörten Genusses zu verleihen. Die Mehrheit
der schönsten und fruchtbarsten außereuropäischen Länder, sind englische Kolo-
nien. Die schönsten Flecken Erde des Kontinents, in Spanien oder Italien, sind
englischer Privatbesitz.
Der Deutsche hat vielleicht eine innigere Liebe zur Landschaft, er gibt sich
ihr restloser hin, ohne dabei an irgendeinen Vorteil zu denken. Der Engländer


Frank II. Read: Feuerwerk.

dagegen wird von seinen Streifzügen im Freien gern etwas Greifbares mit nach
Hause bringen: einen Strauß Blumen, die er gepflückt, ein Pfund Fische, die er
geangelt hat, eine Beule vom Criquetspiel und die gesunde, körperstärkende
Müdigkeit der Sportbetätigung im Freien, ein Aquarellchen oder eine Photo-
graphie von einem Landschaftsmotiv, das ihm besonders gefallen hat. Die
bleierne Langeweile der englischen Städte an Sonntagen ist sicherlich ein
weiteres Moment, das die Freude an der Landschaft begünstigt, und die völlige
Bewegungsfreiheit auf den
weiten Wiesenflächen der
wundervollen Parks nicht min-
der. Es gibt keine Straf-
mandate und Stacheldrähte,
die den ahnungslosen Aus-
flügler schnöde anfallen. Und
darum ist England das Eldo-
rado der Aquarellisten und
Amateurphotographen. Nir-
gends sonst auf der Welt findet
man so allgemein die behag-
liche Freude am landschaft-
lichen Idyll, nirgends sonst
stößt man so häufig auf drei-
beinige Feldstühlchen, auf
denen ein shagpfeifenqualm-
umhüllter Aquarellist sitzt
oder ein zielender Kodak-
künstler.
Und so ist es kein Wun-
der, daß gerade England eine
so hochkultivierte künstleri-
sche Landschaftsphotographie
besitzt. Die Ausstellungen
des „London Salon of Photo-
graphy" stehen immer auf
einer solchen Höhe, daß sie
von der Kritik ebenso als
Ausdruck nationalen Kunst-
empfindens geschätzt und
besprochen werden, wie die-
jenigen der „Royal Water
Colour Society" oder die
großen Kunstausstellungen.
Hoppe, Coburn, Evans, Baron
Meyer, Bonding, Blake, Frank
H. Read sind Namen, die
auch in Deutschland einen
guten Klang haben.
Im letzten Jahre waren
es insbesondere die Arbeiten
von Frank H. Read, die Auf-
sehen und Bewunderung er-
regten. Die Qualität seiner
Arbeiten erkannte man auch
in Deutschland willig an und
verlieh ihm den ersten Preis
für Landschaftsphotographie
des letzten Gaevert-Wettbewerbes. Seine Blätter zeigen dem Lichtbildner unserer
Tage neue Wege. Eine der Hauptschwierigkeiten der künstlerischen Photographie,
das Mosaik des Farbenbildes, den ein Natureindruck auf unser Auge macht, in
ein Mosaik fein differenzierter Tonwerte zu transformieren, bewältigt er mit
verblüffendem Geschmack und nie fehlgehender Sicherheit. Er wagt sich an Auf-
gaben heran, welche die schwierigsten Probleme in der Photographie enthalten.
Auf dem Bilde „Feuerwerk" unternimmt er es beispielsweise, die Wirkungen
eines nächtlichen Feuerwerks auf die Spiegelfläche des Flusses, den Himmel und
die dunklen Silhouetten der Menschen zu schildern, und es gelingt ihm tatsächlich
nicht nur das zischende Sausen blendender Raketen und Feuerfontänen zu sugge-
rieren, es entsteht auch ein Blatt, das in seinem kompositionellen Aufbau, in der
Rhythmik und Feinheit seiner Flell-Dunkel Kontraste von bestrickendem Reiz
ist. Wer nur ein wenig mit photographischer Technik Bescheid weiß, wird erfahren
haben, daß tiefe Dunkelheiten der Natur, im Bilde nur allzuleicht als Löcher,
als glasig tote, indifferente Flecken erscheinen. Dies zu vermeiden erforderte
gerade bei diesem Blatte hohes Geschick und Können. Wie geschlossen und zu-
gleich erregt lebendig wirkt hier die dunkle Masse der Zuschauer, wie fein beob-
achtet ist es, daß die beiden näher und höher ins Licht ragenden Gestalten in der

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