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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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12. Heft
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Abt, ...: Aus der Geschichte des Schattenspiels
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0363

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MODERNE KUNST.





Aus der Geschichte
hat bei uns in den letzten Jahrzehnten nicht an mancherlei
q7 Versuchen gefehlt, gleich dem Marionettentheater auch das
alte Schattenspiel, das eine so ruhmreiche Vergangenheit hat,
wieder neu zu beleben. Und wer beispielshalber bei den Münchner
„Elf Scharfrichtern“ die wundervolle Welthistorie in Schatten-
bildern gesehen hat, der hat sicher auch empfunden, welch starke
künstlerische Wirkung noch immer von diesen zierlich geschnit-
tenen und klüglich auf geschickte Verteilung von Licht und Schat-
ten berechneten Figuren auszuströmen vermag. Das Münchner
Schattenspiel war wohl in bewußter Anlehnung
an das lyrische Schattentheater entstanden, das
Rodolphe Salis in seinem berühmten Künstler-
Cabaret „Chat noir“ geschaffen hatte, und mit
welchem er seine schönsten Erfolge erzielte.
Georges Fragerolles dichtete und komponierte
ihm diese Schattenspiele, und Riviere schnitt
die Figuren und Landschaften dazu aus Zink.
Man muß einmal in den Kritiken jener achtziger
Jahre blättern, um zu erfahren, welchen Ein-
druck diese Schattenspiele auf ein großes
Publikum machten. Die Schattenbühne, wie
sie u. a. Mörike vorschwebte — und er hat
ja in
seinem
„Maler

des Schattenspiels.

[Nachdruck verboten.]

Nohen“
selbst ein reizendes Schattenspiel „Der letzte
König von Orplid“ hineingewoben — und
wie sie „Chat noir“ und die „Elf Scharf-
richter“ zeigten, ist eine natürliche Ver-
bindung von Malerei, Dichtkunst und Musik,
und man begreift auch die
Vorliebe Justinus Kerners für
das Schattenspiel, dem er
manche Dichtung gab, ver-
steht angesichts dieser Münch-
ner und Pariser Schattenspiele
seine Worte: „Es ist wunder-
bar, aber mir wenigstens
kommen die Marionetten viel
ungezwungener, viel natür-
licher vor als lebende Schau-
spieler. Sie vermögen mich viel mehr zu
täuschen. Sie haben kein außertheatrali-
sches Leben, man kann sie nicht sprechen
hören und kennen lernen, als in ihren Rol-
len, auch tragen sie keinen Namen und
heißen weder Monsieur noch Madame. Bei
den Marionetten und Schattenspielen ist eher
die Täuschung, als gehe die Begebenheit
wirklich im Ernste an einem Orte der Welt
vor und könne wie durch einen Zauber-
spiegel hier im kleinen mit angesehen werden“. Zu Kerners Jugendtagen gab
es übrigens noch vielfach öffentliche Schattentheater, und A. Zoller schildert
uns solche Vorführungen, die freilich in der Art ihrer „Poesie“ stark an die
naive Kasperlkomödie erinnern, einmal recht anschaulich. Das Theater, „in der
Form der Puppenkasten“, war auf öffentlichen Plätzen aufgeschlagen. Der Spieler
gab in wenigen Worten jedesmal die Exposition der Szene. „Am häufigsten
sah ich da ,Tyrabus und Krisbe1 (Pyramus und Thisbe), die in einem Gefängnisse
eingeschlossen werden, und „vor Liebeserfindung ein Loch durch die Mauer
geschnitten haben1. Die Exposition ward in einer gar traurigen Monotonie
gegeben, die den baren Unsinn — der übrigens mehr in der Erklärung als in
der Produktion der Figuren lag um so anschaulicher machte und viel Unter-
haltung gewährte.“ Gerade wohl mit Hinblick auf diese naiven Schattentheater
des Volks meinte Kerner: „Das Fach der Marionetten- und Schattenspiele stände
einem wahrhaftig noch recht zur Bearbeitung offen“. „Ombres chinoises“, chine-
sische Schatten, nannte man damals solche Schattenspiele: die wahre Heimat
dieser Kunst ist aber das Wunderland Indien. Wie der Erlanger Orientalist
Georg Jakob mitteilt, dem wir eine geistvolle „Geschichte des Schattentheaters“
danken, erwähnt ein indischer Astronom des 6.,Jahrhunderts unter denjenigen
Menschenklassen, die sich vor einer Sonnenfinsternis besonders hüten müssen,
auch die Schattenspieler. Von Indien aus hat dann das Schattenspiel seinen
Eroberungszug angetreten und namentlich auf Java eine Stätte gefunden, wo es
noch heute zu den beliebtesten Volksunterhaltungen gehört. „Wajang“ heißt es
hier, und die Wajang-Vorstellungen dauern die ganze Nacht hindurch unter

Türkische Schattenspiele: Segelschiff,

Türkische Schattenspiele: Mann mit Pfau.

lebhaftester Anteilnahme der Zuschauer. Die Leinwand, die die Bühne
bildet, ist von riesigen Dimensionen. In der Mitte prangt ein Aufbau mit
Rankenwerk, darin Vögel und Affen herumklettern, und den unten zwei
grimmig dreinschauende Wächter bewachen. Vor dem Vorhang sitzen
die Frauen, hinter ihm die Männer, die also die Spieler und die Figuren
sehen. Ein Orchester eröffnet die Vorstellung, begleitet die Handlung und
lärmt namentlich, wenn neue Gestalten auftreten. Die Figuren sind aus
Leder oder Pappe geschnitten, farbig und transparent; höchst befremd-
lich wirken auf uns ihre vögelkopfartigen Gesichter mit den langen
Hälsen und Nasen. Diese Karikatur des
Menschenantlitzes hat einen besonderen
Grund. Der Islam, und die Javaner
sind ja längst Mohammedaner, verbietet
nämlich, Abbilder von Menschen „le-
bensfähig“ darzustellen. Und solch
Vogelkopfmensch erscheint den Java-
nern nicht lebensfähig. Die arabischen
und türkischen Schattenfiguren haben
ein anderes Manko an Lebensfähigkeit:
sie sind durchbohrt •— um das Stäb-
chen, mittels dessen man sie bewegt,
einzuführen — und wegen dieses Loches
im Bauche — nicht Abbilder wirk-
licher Menschen. Ebenso beliebt wie
auf Java ist das Schattenspiel auch
heute noch in China, vor allen aber
unter den mohammedanischen bzw. türkischen Völkern. Schon Sultan Saladin
war ein großer Freund des Schattenspiels, und Kreuzfahrergeschichten bildeten
den Inhalt der Stücke, die er liebte; aber auch eine Art Kasperlehumor macht
sich in ihnen breit. Da tritt z. B. ein Buckliger auf, den der Dichter mit den
Worten begrüßt: „O Traumgesicht der Phantasie, o symmetrisch Vollkommener“,
und dann folgt ein Loblied auf den Höcker: „Herrlich ist der
Höcker der Kamele, die zwischen ihren Schultern schöne Frauen
tragen; höckrig ist die lieblich tönende Laute (weil ihr Hals stark
gekrümmt ist), nur infolge seines Höckers trotzt das Schiff den
Wogen, auch der Sucher des Steins der Weisen ist bucklig, weil
er sich über seine Arbeit beugt und genau abwägt“. Mit einer Art
von verfeinertem Kasperltheater läßt sich das heutige islamitische
Schattentheater am ehesten vergleichen, einem Kasperltheater, das
namentlich auch die politische und soziale Satire pflegt, und dessen
Hauptperson der Karagöz ist. Noch heute hält sich der türkische
Sultan seinen „Hofschättenspieler“. Von den mohammedanischen
Ländern aus hat sich
das Schattenspiel dann
nach West-Europa
verbreitet: Italien,
Deutschland und
Frankreich sind die
einzelnen historischen
Etappen dieser Wan-
derung. Ein Italiener
war es vermutlich
auch, den Goethe 1773
zu Frankfurt sah, und
dem er seinen Schat-
tenspieler im „Jahr-
marktsfest zu Plun-
dersweilen“ nachbil-
dete. Goethes „Orge-
lum orgeley Dudel,
Dumdey“ läßt übri-
gens darauf schließen,
daß auch die Schatten-
spieler in Deutschland
ihre Stücke unter Mu-
sikbegleitung aufführ-
ten wie die Orien-
talen. Wenn nicht
alle Zeichen trügen,
wird auch das Schat-
tentheater eine bal-
dige Renaissance er-
leben, die sich bereits
in manchem ankün-
digt. Br. Abt.

Türkische
Schattenspiele:
Drachenkopf.

Türkische Schattenspiele: Reiter mit Falken.

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