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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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11. Heft
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Seiffert, Ernst: Automobilromantik
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Tovote, Heinz: Das boykottierte Baby: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0324

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*34

MODERNE KUNST.

MODERNE KUNST.

J35


Das boykottierte Baby.
Novelle von Heinz Tovote.

[Nachdruck verboten.]
jTI Iso Bertha, nun hören Sie mal. Entsinnen Sie sich, wie
U ^ der Herr im vorigen Jahr im März plötzlich nach Hause
kam, als wir garnicht daran dachten.“
„Unser Herr? Der Herr Leutnant? . . .“
„Aber Bertha! seien Sie doch nicht so begriffsstutzig. Am
Abend um acht Uhr wars, da kamen Sie zu mir hereingestürzt,
und schrien: Der Herr Leutnant! . . . Der Herr Leutnant! . . .“
Das Mädchen grinste, aber sagte kein Wort; und die junge
Frau fuhr ruhig fort:
„Aber Sie müssen das doch wissen! Die „Vineta“ hatte
Maschinendefekt und mußte zehn Tage in Lissabon liegen —
da kam der Herr ganz heimlich, ohne daß sonst ein Mensch es
wußte. Wissen Sie nicht mehr? . . .“
Bertha grinste vergnügt vor sich hin, und schüttelte sich
wie vor innerer Freude.
„Aber Bertha! so reden Sie doch! —• Am Sonntag vorher
hatten Sie Geburtstag, und ich habe Ihnen die feine blaue Bluse
geschenkt.“
„Jewiß doch! Piekfein war sie. Ich weiß.“
„Na also! — Und da der Herr ganz heimlich kam, so durfte
es kein Mensch wissen. Haben Sie nun mit irgend einem
Menschen je davon gesprochen?“
„Mit keine Seele, gnädige Frau! Wo werde ich denn! Ich
weiß von nichts! rein gar nichts!“
„Nein, Bertha! darum handelt es sich jetzt garnicht mehr.“
„Wenn mir einer sagt, ich soll über was nich reden, kriegen
weder Gott noch Teufel ein Wort aus mir heraus.“
„Das ist ja ganz schön. Aber jetzt liegt die Sache anders.
Jetzt müssen Sie reden.“
„Ich muß? Wieso?“
, „Ja, jetzt kommt die Sache vors Gericht, und da müssen
Sie die Wahrheit sagen.“
„Ich weiß von nischt, Frau Leutnant.“
„Die lautere und reine Wahrheit sollen Sie sagen, die müssen
Sie beschwören.“
„Is jut! Da schwör ick: Ich habe nischt gesehen. Unser
Herr war nich hier. Der war auf sein Schiff, das kann ich
beschwören!“
„Aber nein, Bertha! Sie sollen ja gerade beschwören, daß
er in diesen Tagen hier in Kiel gewesen ist, in der ersten
Woche im März.“
„Das wäre ja noch schöner. Nee, gnädige Frau kann sich
ganz auf mir verlassen: Und wenn se mir auf die Folter spannen,
ich weiß von nischt. Ich halte mein Wort.“
„Aber, Bertha! . . . Da! ... Es klingelt. Machen Sie erst
mal auf. Dann erkläre ich Ihnen die Geschichte weiter. Sie
verstehen mich nicht.“
Das Mädchen kam freudestrahlend wieder: „Der Herr Kor-
vettenkapitän Schaffer, ich habe ihn gleich zum Herrn Leutnant
hereingelassen.“
„Ist gut, Bertha! —*
Damit ging die junge Frau auch hinüber in den Salon, wo
sie gerade hörte, wie ihr Mann zu dem Freunde sagte:
„Also dich schickt der Himmel. Hilf uns! rate uns!“
„Aber lieber Kerl, was ist denn? Ach guten Tag, gnädige Frau? Nun wie
gehts? Was macht der neue Weltbürger? —“
„Dem gehts gut, aber uns! . . . Du lieber Gott!“
„Wieso? Was ist? . . .“
„Was ist mit der Bertha?“ fragte der Hausherr und Leutnant zur See Werner.
. „Die schwört, daß sie von nichts wisse. Will den schönsten Meineid leisten.
Du seist nicht hier gewesen, genau wie sie uns das versprochen habe.“
„Verrückt! . . verrückt! . . verrückt! —■ Alle Welt ist verrückt.“
„Ja, aber möchtet ihr mir nicht erklären?“ sagte Schaffer, und sah ratlos von
einem zum andern.
„Gretel, geh mal hinaus.“
„Ach wozu? — Es muß ja doch bald alle Welt erfahren, da kann ein
guter Freund ..."
„Also ich bin gespannt! Was ist denn geschehen?“
„Na also, höre! Du weißt, ich war eben vier Monate verheiratet, da wurde
plötzlich im Januar die Vineta nach Afrika geschickt. Natürlich gab es da
nichts — ich mußte mit.“
„Weiß ich! war ehrenvoll und ..."


E. Boislecom te: de Rarabuteau überschreitet am
Unser geschickter Freund und Wagenlenker entfaltete das Licht der Laternen. Mit
staunendem Vergnügen sah ich, wie der Lichtkegel größer und länger wurde und
schließlich ein wundervolles Bild zeigte, denn er fiel mit weißem Scheine auf das
bröckelnde, getünchte Dorfkirchlein hin, über viel alte darumgruppierte Gräber. Von
den Dörflern, die stumm und rauchend vor den Türen standen, klang uns noch ein
kurzer Abendgruß zu Ohren, dann waren wir davongerollt.
Die liebliche Romantik der Tageserlebnisse steigerte sich zu phantastischem Reigen.
Wir rollten fort — ins Nichts! Doch mit uns fuhr das Licht, und wo wir hinkamen,
da belebte sich die Welt. Wie königlich!
Und doch bangte uns ein wenig. So abgerissen und ungewiß war alles. Das
Scheinwerferlicht malte die endlosen Reihen der grünen Baumkronen gespensterweiß,
im fahlen Licht auch lag immer dieses Stück Straße, über das wir eben dahinflogen(
ehe wir es kaum gesehen hatten. — Allerhand Nachtgetier taumelte erschreckt im
Licht umher, silbern in den scharfen Strahlen glänzend. Was wir sehen konnten,
schien uns das Leben, was undurchdringlich um uns lag, die Ewigkeit. Wie strebender
Menschengeist stürmte der Wagen in dieses Dunkel und die Scheinwerfer leuchteten
ihm voraus wie Entdeckergedanken. Ab und zu blitzt in der Ferne eine Handvoll
Lichtpünktchen auf, wohl ein Ort,, der abseits vom Wege lag. Ständig lebten wir in
einem besonderen Gesichtskreis, einem kleinen Ausschnitt, der mit höhnischen
Grimassen, Phantasie und Wirklichkeit, tausend vermutete Gefahren ahnen ließ und sein

24. Dezember 1813 die Alpen.
Spiel mit unserer menschlichen Unsicherheit trieb. Nur unser Mann am Steuer war
von alledem frei: mit Selbstbewußtsein, das jeden Kraftwagenlenker magisch über-
kommt, bestieg er den Führersitz, triumphierte restlos.
Als die fragwürdige Stelle glücklich passiert war, fühlten wir alle etwas Fröhlich-
keit; es wurde gescherzt und gelacht, was vorher unmöglich gewesen war. So hatte
die größere Spannung die kleinere getötet; was uns vor diesem gesteigerten Erlebnis
ungeheuerlich und lauernd erschienen war, wirkte nun friedlich und sicher. Ein
Beweis dessen, daß Gefahr nur ein Begriff ist.
Dann war auch diese Gefühlskrisis überwunden, wir steuerten dem nahen Berlin
zu. Die tausend Vorposten dieser Riesenstadt waren schnell passiert, heller und dichter
wurde das Lichtermeer und plötzlich waren wir mitten drin in den gastfreundlichen
Asphaltstraßen. Die Blicke konnten wieder weit schweifen. Das Ohr, das stunden-
lang nur das seltsame eintönige Lied des Motors gehört hatte, vernahm wieder das
weite gigantische Stadtgeräusch — bald darauf zerflatterten auch wir in den alltäg-
lichen Gewohnheiten modernen Kulturlebens.
So hätte ich denn mit dieser Schilderung erster naiver Eindrücke den Beweis für
das Vorhandensein einer reichen und neuen Gefühlswelt, errungen durch die Technik,
gegeben. Was dem Automobilismus zu eigen ist, findet sich in anderer Form bei
allen maschinellen Dingen, die auch ihr eisernes Lied singen. Poesie ist eben nicht
nur unterm Apfelbaum anzutreffen.

das Brausen des Zugwindes, dieses prächtigen Zugwindes, der so
gewaltig die Stirn umstrich und tolles Spiel mit den flatternden
Haaren trieb. Wir waren alle eingenommen von dem brausenden
Zauber und wurden fröhlich.
Hurtig, hurtig lief der Motor. Er sang so seelenvergnügt....
Hätten uns Pferde gezogen, sie hätten jetzt getrieft vor Schweiß und
wären erlahmt, und wir hätten sie schonen müssen: unser Wagen
aber lief, daß es ein einziges Hurra war.
Von ferne sah ich ein anderes Automobil herankommen. Erst
war es nur ein winziger schwarzer Punkt, dann wuchs es plötzlich
zu einem Phänomen. Wie ein Dämon kam es herangefegt, gerade
auf uns zu. „Tut! Tut! Tut!" brüllte es uns an, zerwarf die Land-
straße zu Staubatomchen und wuchs dem benommenen Auge zu
fabelhafter schreckbarer Gestalt — und war wie ein schwarzer Blitz
vorüber. Unwillkürlich hatte ich aufgeschrieen: das, das war der
Übermensch, der Große, der Herr! Triumphator Mensch!!
Und zum ersten Male fühlte ich, daß wir noch vor kaum ge-
ahnten Dimensionen stehen.
In der Ferne stand eine Stadt, vor ihr die Ordnung in bunter
Gendarmenuniform. Das merkte ich, als der Wagen gebremst hatte
und wir langsam in die Straßen rollten. Schnell war alles einge-
sunken zu den, ach so üblichen Formen. Die ganze Umgebung,
die eben noch so großen Zug gehabt hatte, zerkrümelte sich zu
tausend Einzelheiten.
Wir hielten Mittagsrast. Schnell war der befreundete Wagen-
lenker vom Sitz gesprungen, hatte den Schlag geöffnet und ritterlich
den Damen beim Aussteigen die Hand gereicht. Dieselbe Hand,
die stundenlang das Steuerrad gelenkt, die gebietenden Hebel bewegt
hatte. Ein eigener Reiz mußte doch in dieser imperatorischen Tätig-
keit liegen, ging es mir durch den Sinn, und im Nu war der ver-
lassene Führersitz eingenommen, mit fast inbrünstiger Hast die Hand
auf das gerundete Metall gelegt. Fest, ganz fest, als wollte ich durch
die Kraft meiner Hände den Strom gebietend entfesseln, der uns so
groß und stolz durch das Land getragen hatte, umspannten die
Finger den glatten Ring. — Ein Mann kam am Fenster vorbei, vor
sich eine Schubkarre. Da stand im selben Augenblick das Wort
„Kraftwagen" in seinem ganzen geistigen Umfang vor mir. Wie
dieser harte Mann sich mühte und doch nicht ein Hundertstel von
der jederzeit bereiten Leistungsfähigkeit unseres Kraftwagens auf-
bringen konnte! Und wie abhängig er sich quälte, fast ein Sklave
seines Hilfsmittels, während wir ein paar Handgriffe brauchten, um
unsere Wünsche und unsere Lasten zu transportieren, um in die
Welt zu jagen, unbeschränkt, unabhängig, stolz, so stolz!
Und wieder jagten wir dahin. Diesmal gab es andere Erleb-
nisse. Wir wurden eingeholt von einem anderen Wagen, der nun
vorbei wollte und unablässig rief. Wir fuhren schneller; aber dem
dahinten genügte es nicht, wieder und wieder rief die Hupe und
klang durch das wild gesteigerte Tempo wie Hohn. Nun lenkten
wir zur Seite, immer und immer schärfer in der Fahrt. Doch der
Konkurrent kam heran. Ich sah den Lenker und sein Gesicht. Eisen
und Siegesgewißheit war es. Nebeneinander brüllten nun die
Maschinen dahin.ah, es war ein Taumel! Dann zog der an-
dere davon. Es war natürlich. Denn sein Wagen hatte den stärkeren
Motor, aber es tat mir weh, trotz aller Vernunftsgründe. Die vor
uns langsam sich entfernende Rückwand mocht’ ich kaum ansehen,
sie schien mir wie der breite, rücksichtslose Buckel eines Gewalt-
menschen ....
Dann war es, daß wir auf Waldwegen fuhren, in ewig wechseln-
dem Gelände, gedrängt durch das dichte Baummeer. Wie die
Maschine stöhnte, durch dichten Sand peitschte! Aber wir überwanden. Nur einmal
mußten wir halten; das war, als uns mitten in dem fernen Walde ein schwerfälliger
Holzkarren in den Weg kam. Bange Blicke und ängstlich schüttelnde Hände ver-
rieten uns nur zu deutlich die völlige Ratlosigkeit dieser weltabgeschlossenen Wald-
menschen, die in uns nur Ungeheuerliches zu sehen vermochten.
Späterhin wurde vom Schicksal das Gegenstück zu diesem Erlebnis geliefert: wir
begegneten, wieder auf der Chaussee, einem eben in den Graben gefahrenen Wagen.
Die Insassen waren glücklich auf weichen Kartoffelacker gelandet. Eben mußten sie
sich erhoben haben stand doch auf den Gesichtern noch jene maßlose Überraschung,
die nur bei blitzschnell sich abwickelnden Vorgängen sich einstellt und die Denkkraft
im gleichen Moment wohltätig ausschaltet. Da lag nun der Maschinenriese verwundet
und ungeschlacht im Graben, festgehalten durch seine eigene Last. Hier hatte mensch-
licher Fürwitz, nicht die berühmte Schicksalstücke, den Unfall verschuldet: auf gerader
Strecke hatte man das Steuerrad nicht beherrschen können. — Was für ein seltsames
Gefühl, so einen pfeilschnellen Renner plötzlich als Koloß mit tönernen Füßen
empfinden zu müssen! Späterhin habe ich einmal ein umgestürztes Automobil ge-
sehen, das sah aus wie ein riesiger Käfer, der tot auf dem Rücken liegt.
In Schönheit und Freude verrann der Tag. Als es zur Rückfahrt ging, dunkelte
es. Wir saßen eng aneinandergedrängt, denn aus einem Landstädtchen waren Bekannte
mitgenommen worden.

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