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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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3. Heft
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Wach, Robert: Ophelia: einer alten Theaterchronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0094

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MODERNE KUNST.

39



Ophelia* .%h-_
Einer alten Theaterchronik nacherzählt von Robert Wach.

f [Nachdruck verboten.]
s war in England, im Sommer des Jahres 1728. Ein schöner
Tag ging zur Rüste. Hell leuchteten die Fenster Cowleys im
Widerschein der scheidenden Sonne.
Ein liebliches, weltentrücktes Idyll lag dies Schlößchen im
Abendfrieden. — Es hatte früher dem Lord Berkely gehört. Nach
seinem Tode war es in den Besitz der Schauspielerin Madame
Vanbruggen übergegangen, die damals in England wegen ihrer
Schönheit und ihrer Kunst sehr gefeiert wurde. Seitdem war der
Landsitz der ständige Sommeraufenthalt der Schauspielerin.
In diesem Jahre weilten zwei Gäste bei ihr: der Schauspieler
Booth, der allgemein als ihr Geliebter galt, und den die Viel-
gefeierte allen anderen Männern sichtlich vorzog, und ihre beste
Freundin, Miß Santlow. Auch diese war Schauspielerin. Freilich
nicht von der Bedeutung der Madame Vanbruggen. Sie wirkte
mehr durch ihre pikante Schönheit als durch ihr Talent. So
erzählt die Chronik. Und fügt noch hinzu, daß sie im glücklichen
Besitze eines ansehnlichen Privatvermögens gewesen.
Hinter dem Schlößchen dehnte sich ein Park mit hohen, alten
Bäumen. Hier hatte sich Madame Vanbruggen ein kleines Natur-
theater herrichten lassen, auf dem sie ihre Rollen zu studieren pflegte.
Auch heute Abend probierte sie. Und zwar die Ophelia. — Sie wollte
diese Rolle im nächsten Winter mit Booth als Hamlet in London spielen. Miß
Santlow, mit dem Buch in der Hand, markierte die Königin und gab auch für
die andern Rollen die Stichworte, während Booth der improvisierten Szene
gegenüberstand und Kritik übte.
Sie waren bei der großen Wahnsinnsszene. Und hier unterbrach der Schau-
spieler bei einer Stelle immer und immer wieder. Die wollte Madame Vanbruggen
ihm durchaus nicht zu Dank sprechen.
„Du sprichst das alles zu ernst, zu traurig. Das, was Ophelia da zum
besten gibt, sind Schelmenliedchen, richtige Schelmenliedchen, die freilich gar
nicht zu der tugendsamen Ophelia passen wollen. Doch darin zeigt sich gerade
die große Menschenkenntnis des Dichters. Der Wahnsinn zieht die Hülle von
Ophelias Seele. Und wir sehen, daß der Tugendsamen die Tugend durchaus
nicht so leicht geworden. Daß ihre Gedanken durchaus nicht so keusch gewesen
wie ihr Tun. Lind das muß die Darstellung deutlich machen. Weit mehr Sinn-
lichkeit mußt du da hineinlegen. Also mach’s noch einmal!“
Die Schauspielerin begann die Szene von neuem. Doch wieder unterbrach
sie Booth bei der betreffenden Stelle.
Er wurde ungeduldig. „Ich begreife nicht, daß du das nicht triffst!“
„Und es ist doch gar nicht so schwer“, fiel hier Miß Santlow ein, „das kann
ich ja schon sagen, wie Booth es will. Paßt mal auf!“
Und sie verzog ihr hübsches, pikantes Gesichtchen zu einem derb-sinnlichen
Ausdruck und begann:
„Heute ist Sankt Vallentins Tag — und ich, ’ne Maid am Fensterschlag,
will sein euer Vallentin!“'— — — — — — — —-
„Bravo“, rief Booth, als sie geendet. „Siehst du, die Santlow trifft’s. Und
du sollst das nicht können? — Versuch's noch einmal.“

Ferdinand Steiniger: Waldtillchen. (Zeichnung.)
Um den feinen Mund der Madame Vanbruggen lief ein leises Zucken. Wie
sich auf einem stillen Wasserspiegel ein kleiner Wirbel zeigt, wenn sich in der
Tiefe etwas Bedrohliches vorbereitet. Doch sie begann von neuem. Nach ein
paar Worten jedoch schon verlor sie die Fassung über sich selbst. Aus ihren
großen dunkeln Augen schossen urplötzlich Tränen. „Wenn ich dir nichts recht
machen kann,“ rief sie, „so will ich dich nicht weiter mit meiner Talentlosigkeit
quälen. Trifft es die Santlow dir mehr zu dank, so laß sie doch die Ophelia
spielen. Ich verzichte! O, ich verzichte mit Freuden!“ —■ Nach diesen zornig
herausgestoßenen Worten drehte sie sich kurz um und eilte davon.
Verdutzt sah ihr Booth nach. Dann wandte er sich zu Miß Santlow, um
deren Mund ein leises Lächeln spielte: „Was sagst du dazu? So ist sie immer.
Gleich gekränkt. Gleich in ihrer Künstlerehre verletzt. •— Ich will ihr nach. Ich
muß sie beruhigen. Sonst verdirbt sie uns den ganzen schönen Abend!“
Miß Santlow blieb allein zurück. Aus ihren Augen leuchtete jetzt etwas
Spöttisch-Schadenfrohes, leuchtete ein Triumph.-
Booth hatte die gekränkte Madame Vanbruggen bald eingeholt. Wie immer,
wenn ihre Seele etwas bedrängte, hatte sie sich zu ihrem Lieblingsplätzchen
geflüchtet: einem kleinen Hügel, von dem man durch eine Lichtung auf den See
blicken konnte. Still träumend lag der in der Abendsonne. Ein Bild des stillen
Friedens. Und Frieden strömte von diesem Anblick aus. So kostete es Booth
keine allzu große Mühe, die Gekränkte zu versöhnen. Doch probieren mochte
sie heute nicht mehr. Hand in Hand wollte sie mit dem Geliebten hier oben
sitzen und schauen, wie die Sonne rotglühend hinter den blauen Hügeln unter-
tauchte.
Ganz still war es um sie her. In den Weiden am See sang eine Nachtigall.
Schweigend schaute die Schauspielerin in die Abendglut. Sie hörte nur halb,
was Booth neben ihr sprach. Er sprach von seinen Plänen für den Winter, von
seinen Gastspielen. Im Hamlet wollte er mit ihr zusammen zuerst auftreten.
Doch vorher — und hier beugte er sich ganz dicht zu ihr
und flüsterte ihr die Worte ins Ohr: „nicht als Madame
Vanbruggen sollst du wieder mit mir die Bühne betreten,
sondern als Madame Booth.“
Die Schauspielerin fuhr bei diesen Worten zusammen.
Da war es wieder, das Begehren, das sie nicht erfüllen
konnte. Nicht erfüllen durfte.
„Ich bitte dich, bedränge mich nicht wieder damit!
Ich habe dich lieb. Und werde nie einen andern nach dir
lieben, das schwöre ich dir. Doch deine Frau kann ich
nicht werden!“
Ärgerlich fuhr er auf: „Das ist doch Wahnsinn —“
„Nenn’s, wie du willst. Doch ich kann nicht anders.
Du kennst mein ganzes Vorleben. Nicht das kleinste habe
ich dir verschwiegen. Du kennst auch meine Beziehungen
zu Lord Berkely. Du weißt, wie er mich geliebt hat.
Weißt, was er für mich getan. Nur eins konnte er nicht
tun, so gern er es auch gewollt, — mich zu seiner echt-
mäßigen Frau zu machen. Nicht seiner Stellung und
seines Adels wegen, sondern weil seine Hand nicht frei
war. Weil seine Gattin, obwohl sie schon lange von ihm
getrennt lebte, in keine Scheidung willigte. Glaube mir, er
trug schwer darunter! Und als er seinen Tod vor Augen
sah, da hat er mir das Gelübde abgefordert, nie eines
andern Frau zu werden. Er konnte es nicht ertragen, daß

Ferdinand Steiniger: Stilles Dörfchen. (Radierung.)
 
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