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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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12. Heft
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Neisser, Artur: Vom Karneval an der Riviera
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0361

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MODERNE KUNST.


L. Louyot: Die Versuchung des frommen Büßers.
Copyright 1899 by Franz lianfstaengl, München.


Vom Xarneml an der Xirnem.
Von Arthur Neißer.


inem stillschweigenden Übereinkommen gemäß meint man in Deutschland,
wenn man von der Riviera schlechthin spricht, in erster Linie die
französische Küste des Adriatischen Meeres. Karneval und Nizza sind
untrennbare Begriffe geworden. Wohl nirgendwo macht sich der scharfe
Unterschied zwischen französischem und italienischem Wesen so seltsam deut-
lich geltend, als östlich und westlich des Grenzortes Ventimiglia. Es ist, als
stehe man in diesem gefürchtetesten aller europäischen Zollbahnhöfe an der
Grenzscheide zweier Welten, nicht bloß zweier Nationen, die doch beide der
romanischen Wurzel entsprossen sind . . . Bordighera, San Rerno, Ospedaletti
und wie alle diese italienischen Eldorados der armen Brustkranken heißen, sie
tragen dieses Gepräge eines mehr oder weniger sanatoriumsmäßigen Erholungs-
ortes in dem Baucharakter ihrer landhausartigen Villen, in der größeren Schlicht-
heit ihrer Hotels schon äußerlich aufgeprägt; und wenn der Schnellzug von
Genua aus, dicht an der Küste entlang fahrend, all diese Orte berührt, so sieht
man vom Coupefenster aus nie Kurgäste sich am Strande sonnen. Starr und
erholungsgierig schauen die blassen und vielfach ältlichen Menschen voller un-
stillbarer Sehnsucht hinaus, weit hinaus in die blaue Unendlichkeit der Meeres-
flut. Wunschlos und ohne ein leisestes Lächeln innerer Triebe stellen diese
Gäste der italienischen Riviera fast alle den Typus von Leuten dar, die ent-
weder gesund werden wollen oder die doch dieses ihr höchstes Gut, die Gesund-
heit, wie ihren Augapfel zu hüten beflissen sind. Gewaltsam will man zwar
ganz neuerdings auch hier, namentlich in San Remo oder in Bordighera, die
Bräuche der französischen Nachbarn nachahmen; man yvili das Kasinoleben der


[Nachdruck verboten.]
Franzosen mit seiner Lust an Flirt und Sport, mit seiner Üppigkeit und Mondäne
hinüberschleifen in die Riviera der Ländlichkeit und der Natur; aber es wird
wohl doch noch eine recht geraume Zeit verstreichen, bis ein auch nur teil-
weiser stilistischer Ausgleich zwischen den verschiedenen Meeresküsten erfolgt
ist. Relativ mehr Verwandtschaft mit der französischen zeigt die österreichische
Riviera schon dadurch, daß dort, etwa in Abbazia, ebenso wie in Nizza oder
Menton der Kernpunkt des Ganzen weniger die See und die Sonne als das in
Österreich vorläufig nur „Cafehaus“ genannte Kasino (das Cafe Ouarnero) ist;
und doch besteht auch in Abbazia die Absicht, in nächster Zeit auf einer zu
diesem Zwecke bereits angekauften Landzunge ein Kasino zu erbauen. Dieser
Zug nach Kasino und Spielhölle charakterisiert ja unsere Zeit gesellschaftlich
überhaupt, und der „Karneval“, dieser einst so volkstümliche Begriff, ist heute
von Eleganz nicht mehr zu trennen. Sicherlich haben dazu die immer stärker
werdende Sehnsucht der Deutschen nach dem Süden (auch hierbei meint man
bei uns zunächst immer die Riviera bei Nizza) und die immer häufiger werdenden
Reisen der Deutschen nach der französischen Riviera mehr als gut ist beigetragen.
Als ich vor Jahren den Karneval von Nizza zum erstenmal als Zuschauer
beobachtete, erlebte ich — warum es leugnen? — jene große Enttäuschung, wie
sie ja auch manchen befällt, der zuerst in der französischen Hauptstadt weilt
und nun glaubt, Paris und Frankreich lassen sich so einfach in das deutsche Ver-
gnügungsreisen-Register mitaufnehmen. Erst wenn man das zweite und dritte
Mal nach Nizza kommt, dann erst beginnt man zu verstehen, daß es hier mehr
als irgend anderswo gilt, sich ganz und gar in französische Heiterkeit und

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