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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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20. Heft
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Neisser, Artur: Das Goethe-Denkmal in Rom
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0608

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MODERNE KUNST.

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Gustav Eber lein: Das Goethe-Denkmal in Rom.

Das Goethe-Denkmal in Rom.
Von Arthur Neißer.

Mie große Sehnsucht, die alles künstlerische Schaffen mit den seligen Schauern
unstillbaren Wehs und doch zugleich unstillbarer Lust durchglüht, sie hat
sich in den nordischen Dichtern und Gestaltern von jeher auf das Sonnenland
Italien gerichtet. Fast kann man Italien als das Symbol alles Künstlersehnens über-
haupt bezeichnen, das ja tiefst innen nach Licht, nach Sonne und Wärme ringt. So
haben sich nicht nur die Maler und Bildner der deutschen und niederländischen
Gaue seit Alters her in Italien willkommene Anregungen geholt, sondern auch Musiker
und Dichter sind dort vielfach erst ganz erwacht, ganz sie selbst geworden. Für
Goethe der zweiten Epoche trifft dies zu; sein geistiges und seelisches Leben bis
zu jenen achtziger Jahren, da er zum ersten Male Rom betrat, mutet wie eine einzige
große beseligend immer sich erneuende Vorbereitung auf Rom an. Wenn sich der
goethetreue deutsche Kunstfreund zu einer italienischen Reise anschickt, so rüstet er
sich durch die Lektüre von des Meisters italienischer Reise dazu. Manch einer befleißigt
sich dieses Studiums wohl nur aus Snobismus; doch auch die Empfindungsärmsten
durchrieselt es sicherlich ganz seltsam weihevoll, wenn sie diese Tagebuchaufzeich-
nungen lesen. „Endlich kann ich den Mund auftun — schreibt er am I. November
1786 — und meine Freunde mit Frohsinn begrüßen. Verziehen sei mir das Geheimnis
und die gleichsam unterirdische Reise hierher! Kaum wagte ich mir selbst zu sagen,
wohin ich ging: selbst unterwegs fürchtete ich noch, und nur unter der Porta del
popolo war ich mir gewiß, Rom zu haben!" Immer aufs neue bewundern wir in

[Nachdruck verboten.]
diesen Worten die kindlich besorgte Vorfreude des echten Kunstmenschen auf die
Weihestunden der genußvollen Wanderung durch die unermeßliche Romwelt! Und
unentrinnbar sind wir dem Genius verfallen, wenn wir seine „Italienische Reise" aufs
neue durchlesen und mit Goethe „aus dem Ozean" Rom trinken in großen gierigen
Zügen. Auf unsere eignen Romfahrten fällt noch nachträglich wieder der Strahl
freudiger Erinnerung; blitzartig entsinnen wir uns der Wanderungen, die uns durch
die Straßen in die Kirchen und dann immer wieder durch die Straßen in die Galerien
führten. Wir denken zurück, wie wir klopfenden Herzens durch den Vatikan eilten,
und wir verstehen nur allzu gut des Unsterblichen Ungeduld und seinen echt deutschen
Schmerz, nicht länger in der ewigen Stadt weilen zu dürfen, weil ihn Pflicht und
Herz nach der Heimat rief.
„Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen", diese Mignonworte werden in
uns zu ewigen Sehnsuchtschauern, und wir verstehen nun erst Goethes Mignon-
dichtungen, verstehen das ganze faustische Brüten und Wühlen in seiner nimmer
ruhenden Dichterbrust. Aber zugleich erfaßt uns ein stolzes Bewußtsein, Landsmann
dieses Überragenden zu sein und mit ihm im Geiste durch die schwarzen Zypressen-
und Pinienwälder des statuengeschmückten, idyllischen Borgheseparks geschritten zu
sein, bis wir dann jeweilen einen liebenden Blick auf das Goethe-Denkmal warfen, das
nun bereits seit dem Jahre 1902 an einer Art Lichtung des Parks steht. Hier schweigen
alle politischen Gedanken; hier stürzen alle nationalen Schranken; hier wacht der

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