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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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26. Heft
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Lautensack, Heinrich: Die Kunst des Kinoschauspielers
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0788

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33i

Die Kunst des Kinoschauspielers.
Von Heinrich Lautensack.

fei einigen deutschen Filmfabriken — so wird von Leuten erzählt, die es wohl wissen
müssen — ruhen seit vorigem Jahr in absolut feuersicheren Kassenschränken ein
paar Films, deren Herstellung äußerst kostspielig gewesen ist und die doch niemals das
Licht des Vorführungsapparats erblicken werden. Es sind das etliche völlige „Versager“,
bei denen sämtlich erstmalig die eine oder andere bekannte Berliner Bühnengröße
mitwirkte — aber selbstverständlich sogleich in der Hauptrolle! Und diese blinde
Zuversicht, daß ein erstklassiger Bühnenkünstler ohne weiteres ein kongenialer Licht-
bildakteur sein müsse, hat sich eben bitter gerächt. Zehn-, zwanzig und sogar dreißig-
tausende von Mark sollen — für einen einzigen Film! — dabei rein zum Fenster hinaus-
geschmissen worden sein; jedoch hatten daran die Herren von der Filmbranche selber
die größte Schuld, wo nicht die alleinige. Die Bühnenstars — zu ihrer Entschuldigung
sei’s gesagt — verlockten die tollen Honorarangebote für nur einmal ein bißchen Mimen
vor dem kinematographischen Aufnahmeapparat; aber die Filmfabrikdirektoren, die
die besonderen Gesetze nachgerade ein wenig erkannt haben müßten, unter denen sich
ein „richtiges“ Bild auf der weißen Projektionsfläche ergibt — die Filmfabrikdirektoren
(und deren Berater) hätten die Grenzen schärfer in Acht nehmen sollen, die die Bühnen-
kunst von der Kinokunst scheiden!
Es ist eigentlich schade, daß diese kilometerlangen Photographiestreifen mit den
Genieproben beliebtester Berliner Bühnenkünstler nun ewig in dunklen Safes lagern
sollen — während die Riesenunkosten irgendwie verschämt unter Lehrgeld verbucht
worden sind. Denn man könnte just aus diesen verunglückten und verdorbenen Films
umso weiser erkennen, welche Unterschiede zwischen der Kunst des Schauspielers auf
der Sprechbühne und derjenigen des Akteurs im Lichtbild bestehen und welche Fähr-
nisse umso schlimmer drohen, je unbekümmerter und leichtsinniger ein (wenn auch
mit Recht von sich eingenommener) großer Mime sich von den wcltbedeutenden Brettern
herabläßt, um mal zu „kintoppen“.

[Nachdruck verboten.]
Der auffälligste Unterschied besteht ja wohl darin, daß der Kinoschauspieler des
Mittels der Sprache beraubt ist. Das Lichtbild präsentiert sich als stumm, mag der Dar-
steller auf der Leinewand noch so sehr schreiend oder akzentuierend den Mund bewegen.
Es hilft ihm alles nichts — und darum läßt er die verzweifelten Anstrengungen, die
übrigens gar leicht komisch wirken können, lieber fast ganz und rührt seine Lippen
nur so wie Menschen, die in unsern Träumen mit uns sprechen: denn die hören wir ja
in Wirklichkeit auch nicht, sondern wir meinen sie nur zu verstehen ....
Es gibt — nebenbei erwähnt — immer wieder Kinoregisseure, die die Forderung
aufstellen, ihre Kinoschauspieler sollten bei Aufnahmen den Mund so wenig oder über-
haupt gar nicht bewegen — wie in einer Pantomime. Aber das hat sich noch stets bald
als undurchführbar erwiesen. Wie — um nur ein Beispiel zu nennen — soll einer mit
aufeinandergepreßten Lippen wohl telephonieren können? — Und außerdem ist im
Augenblick der Aufnahme das Improvisieren eines kleinen Dialogs von seiten des
Spielers und seines Gegenspielers das beste Hilfsmittel zu recht „sprechender“ sowohl
als auch genaustens aufeinander abgestimmter Mimik und Gestik.
Also darf der Kinoschauspieler wohl reden (und soll es sogar) — allein er wird
niemals gehört! Und so verbleibt ihm im Gegensatz zum Darsteller auf der Sprech-
bühne als einziges Ausdrucksmittel sein Körper. Er ist im wortwörtlichsten Sinn
ein „Schauspieler“: er muß die innersten und tiefsten Gefühlszustände äußerlich-
körperlich sehen lassen können, wofern der ein wenig verschroben klingende Aus-
druck erlaubt ist.
Der Kinoschauspieler ist auf die Äußerungen in seinem Antlitz und durch seine
Bewegungen beschränkt: mimische und gestische Kundgebungen, die auf der Sprech-
biihne bisher nur in „Kammerspielen“, „kleinen“ und „intimen“ Theatern einiger-
maßen zur Geltung kamen — aber selbst da nur zur Unterstreichung des gesprochenen
Wortes und eigentlich höchstens für die allerersten Parkettreihen. — Das Kinodrama


Frank II. Read: Sommer.
 
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