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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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5. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [3]
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//piSptvyas beklommen war Brenkhusen doch zumute — wieder, wie
mMpjsSm), damals, auf dem Heimwege im Mondschein, kam es ihm vor,
IL*-~ als ob er in die Haut eines andern Menschen geschlüpft und
in ein sonderbares fremdes Erlebnis verwickelt wäre, da er zum zweiten
Male die dunkle Treppe im alten Würzburger Haus emporstieg.
Er brauchte nicht erst zu klingeln.
Fanny eilte ihm strahlend entgegen.
Und dann stand er in der „guten Stube“ des Hauses Wurzler, und
die künftige Schwiegermama, im prallsitzenden schwarzen Seidenkleide,
hochrot von Angesicht, sehr echauffiert und äußerst gerührt, schloß ihn
in ihre fülligen Arme.
Sie sprach von der großen Ehre und daß das Fanncrl gewiß alles
tun würde, ihn glücklich zu machen, aber wenn sie nur auch hineinpaßte
in die vornehme Gesellschaft, sie wäre doch so einfach erzogen-
Brenkhusen versicherte, daß Fanneri in jeder Gesellschaft ihren Platz
ausfüllen würde.
Und dann wurde die Frau Wurzler immer gerührter: „Wenn das
der Vatter noch erlebt hätt’; er hat immer so viel auf sei’ Fanneri ge-
halten! Keinem wollt’ er's gönnen, so sehr war’s ihm ans Herz ge-
wachsen!“ Ach, und ihr selber würde es ja auch schwer genug werden,
die Fanny herzugeben. „So das einzige Mädel, Herr Baron!“
Brenkhusen stutzte. Wie kam sie darauf, ihn heute „Herr Baron“
zu nennen? Ach so, die Visitenkarte.
Das mußte er ihr abgewöhnen; es klang so domestikenmäßig.
Ihr gewaltiger Körper bebte jetzt vom Schluchzkrampfe, so hatte sie
sich in die Rührung hineingearbeitet.
Und Brenkhusen kam sich selber ganz grausam vor — ein Mädchen-
räuber!
Jetzt erschienen auch die Brüder: Franz, der Postassistent, und
Joseph, der Kommis, und drückten dem künftigen Schwager verlegen
die Hand.
Und auch die kleine Doktorin stürzte herein, übersprudelnd von Mit-
freude. Es fehlte nicht viel, so wäre sie dem Bräutigam um den Hals
gefallen. Sie war ja „der Fanny ihre Allerallerintimste“!
Brenkhusen begriff nicht recht, wo alle diese Menschen jetzt auf ein-
mal herkamen. Die jungen Leute konnten doch noch keinen Feierabend
haben? — — Und woher wußte denn die kleine Doktorin das Ereignis?
Fanny mußte es nach ihrer Heimkehr schon überall verkündet haben.
Brenkhusen fühlte sich peinlich berührt.
Es war ihm, als ob er sich innerlich zusammenrollen müßte — als
ob grobe Finger an ihm herumrissen.
Beklommen sah er sich in der großen, niedrigen „guten Stube“ um.
In diese alte Bürgerstube hätten feste, dunkelbraune Holzbänke, ge-
schnitzte Truhen und ein Spinnrad gepaßt. Es standen aber charakter-
lose Nußbaummöbel darin, ein Vertikow mit Muschelkrönung, — — Ent-
setzen! — braune Plüschsessel, über deren Rücklehnen gehäkelte Deckchen
lagen, auf dem Sofatisch ein dickes Photographiealbum in gepreßtem
Ledereinband, an den Wänden hingen Öldruckbilder übelster Sorte und
eine große Photographie des Ehepaars Wurzler, satt lächelnd, im Sonn-
tagsstaate, Hand in Hand, als ob man eben zur Polonaise antreten wollte;
vor dem einen Fenster stand eine künstliche Palme und vor dem andern
ein mit Nippsachen überladenes Schreibtischchen. Alles sah so neu, so
ungebraucht aus, und in dem niederen Raume war die Luft von unan-
genehm muffiger Schärfe, als ob hier selten gelüftet würde.
Der neue Bräutigam fühlte sich unbehaglich.
„Wollen wir nun nicht Kaffee trinken?“ schlug der jüngste Sohn vor.
„Ja, wenn ich schön bitten dürfte“, sagte Frau Wurzler, mit ein-
ladender Llandbewegung nach dem Nebenzimmer deutend.
„Aber hierherein kannst du doch den Herrn Baron unmöglich führen,
Mutter,“ tadelte Joseph, „warum ist denn der Tisch nicht in der guten
Stube gedeckt?“

Copyright 1913 by Rieh. Bong.
Frau Wurzler ließ sich indessen nicht beirren. „Ich mein’ halt, der
Herr Baron soll sehen, wie’s bei uns zugeht, und mit an unserm Tische
sitzen, da, wo wir immer sitzen.“
Brenkhusen stimmte ihr lebhaft bei.
Und das Hinterstübchen mit den schweren, altmodisch soliden Möbel-
stücken gefiel ihm weit besser als die kalte Vorzimmerpracht.
Er und Fanny mußten sich auf das mächtige, mit grellbuntem Zitz
überzogene Sofa setzen; tief sanken sie ein.
Der Kaffee schmeckte vorzüglich, und dem Riesennapfkuchen wurde
viel Ehre angetan.
Alle Gesichter strahlten von feierlicher Freude. Und Brenkhusen
dachte: es sind doch gute, natürliche Menschen. Was ist denn schließ-
lich der große Unterschied zwischen ihnen und den Leuten von der Re-
gierung und vom Oberpräsidium in Hannover? Etwas Großes, Unüber-
windliches war es wirklich nicht, das sie von jenen trennte.
Die Mama Wurzler hatte eine treuherzige Art und schien nicht ohne
gesunden Menschenverstand. Der Postassistent war etwas mundfaul und
patzig. Er fühlte sich offenbar geniert und wollte es nicht zeigen, versteckte
seine Verlegenheit hinter borstig selbstbewußter Art. Aber er hatte
Fannys wunderschöne Augen und schien ein ernster, zuverlässiger Mensch
zu sein. Joseph war noch etwas unreif, sehr beflissen, sehr devot gegen
den Zukunftsschwager und dabei doch von einer gewissen kecken Ver-
traulichkeit. Er spielte den jungen Weltmann, tat, als ob er etwas von
Sportangelegenheiten verstünde und gebrauchte gern Fremdwörter-
nicht immer ganz an der richtigen Stelle. Aber er war so stolz auf
seine schöne Schwester nnd erzählte so lustige Kinderstreiche, die er
und Fanny miteinander verübt hatten. Die kleine Doktorin wetteiferte
mit ihm. Und alles, was sie erzählten, war irgendwie eine Verherr-
lichung des Fanneri. Manchmal sprang die kleine Doktorin auf, die
Freundin zu umarmen. „Fanneri, du wirst eine Baronin! — Du, der
Marie Schrepf ihr Gesicht möcht’ ich sehn, wenn die’s hört. Wie die
sich giften wird! — — Du, und die Gerberlings Mädchen?!“ Der Ge-
danke an die neidischen Freundinnen begeisterte sie.
„Sehr alte Sachen stehen hier, gelt?“ meinte Frau Wurzler, da sie
bemerkte, wie der Gast seine Blicke im Stübchen umherschweifen ließ;
„wir haben auch noch ’ne größere Wohnstube, aber die ist an einen
Doktor vermietet.“ Brenkhusen erklärte ihr, wie ihm die alten Sachen
gerade besonders gefielen. Es war da ein Schreibsekretär und eine
Kommode aus der Biedermeierzeit, die ihn entzückten. Und Frau
Wurzler erzählte, daß dieses Stübchen der Lieblingsaufenthalt ihres
Seligen gewesen wäre. „In die gute Stube ist er beinah’ nie hinein-
gekommen. Da auf dem Sofa ist er auch gestorben.“ Sie schilderte die
schweren letzten Stunden, die schrecklichen Erstickungsanfälle so ein-
gehend, daß es dem Bräutigam ganz unbehaglich wurde auf seinem Platze,
der Appetit verging ihm — -— wahrhaftig, keine angenehme Vorstellung,
auf einem Sofa zu sitzen, das den Todesschweiß des seligen Schwieger-
papas getrunken hat —- —
Der Postassistent erriet seine Empfindungen. „Aber Mutter, laß doch
jetzt die traurigen Geschichten!“
Da ging Mama Wurzler mit einer frischen Wendung auf die Ver-
lobungsanzeigen über.
Zu früher Abendstunde verabschiedete sich der neue Bräutigam —
ein wenig abgespannt. Der Verkehr in dem ungewohnten Menschen-
kreise ermüdete auf die Länge, wie ein Zurechttasten bei Nacht und
Nebel in unbekanntem Terrain. Und dann — — seine Liebe wurde so
in die Alltäglichkeit herabgezogen — — alle diese kleinen vertraulichen
Neckereien und Anspielungen •— — Curt Brenkhusen fand bei klarer
Überlegung, daß er in eine solche Bräutigamsstellung eigentlich doch
nicht mehr recht hineinpaßte.
Fanny begleitete ihn auf den düsteren, nur durch ein Petroleum-
lämpchen erhellten Korridor hinaus.

2|ie Ji^en des JÜerrn non J>renl|ljusen
Von Klaus Rittland (Elisabeth Heinroth).

[Fortsetzung.]
 
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