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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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9. Heft
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Baumann, Felix: Frau Holle in Japan
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0281

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MODERNE KUNST.




ppou J-Iolle

in Japan.

^as Land der aufgehenden Sonne im Schnee!
Viele stellen sich Japan nur als ein Land
des ewigen Sonnenscheins und immerwährender
Blüte vor. Als einen Erdenwinkel, wo Eis und
Schnee unbekannte Begriffe sind und Frau Molle
ihr Recht verloren hat.
Weit gefehlt; ja, im Norden Japans ist der
Winter so rauh, die Kälte so groß, daß Fälle des
Erfrierens keine Seltenheit sind. Schnee gibt es
im Winter in ganz Japan, wenn auch der Unter-
schied zwischen der Ost- und Westküste sein-
bedeutend ist. Denn an den Küstenstrichen des
Stillen Ozeans fällt nur wenig Schnee, während
an der Japanischen See bis weit herunter nach
dem Süden enorme Schneemassen niedergehen
und das Land monatelang brach legen. Das ist
das Unangenehme an dem nordjapanischen Winter.
Tagelang schneit es ununterbrochen, die
Sonne kommt nur kurze Zeit zum Vorschein und
die eisigen Nordwestwinde, die die Schneestürme
begleiten, erinnern an die amerikanischen Blizzards.
Da die japanischen Häuser infolge ihrer Bauart nur schlecht gegen Wind
und Kälte schützen, macht sich der lange, trübe Winter mit seinen anhaltenden
Winden sehr fühlbar. Der
Wind dringt durch die Glas-
und Papierschiebetüren, die
die Wohnung gegen die
Außenwelt abschließen; er
dringt von unten durch den
Fußboden, weil das japa-
nische Haus auf einem Pfahl-
roste steht, so daß die Luft
unter dem ganzen Hause
wegstreichen kann.
Aber interessant ist es,
die Japaner während des
Winters zu beobachten. Im
Hause sitzen sie, dicht an-
einander gedrängt, um ein
Kohlenfeuer oder — nicht
selten — um ein Holzgestell
herum, das einer Hühner-
steige ähnelt. Unter diesem
Gestell steht ein Becken mit
glühenden Holzkohlen. Da-
mit die Hitze nicht ent-
weichen kann, ist über das
Becken eine dick wattierte
Decke gebreitet, mit der
sich die auf dem Gestelle
hockende Familie Beine und Unterleib zudeckt. Es dürfte kaum ein Volk geben,
das sich so wenig gegen die Kälte schützt, wie die Leute im Norden Japans.
Die Kleidung kann nur als luftig bezeichnet
werden. Eigentliche Beinkleider kennt der echte
Japaner nicht. Eine Ausnahme machen die
Kulis und die Bauern im Norden; in ihren
Kreisen tragen selbst die Frauen Hosen, so daß
es anfänglich einige Schwierigkeit macht, Mann
und Frau voneinander zu unterscheiden. Da-
gegen scheint der Japaner am Kopfe und Ober-
leib empfindlich gegen Kälte zu sein. Die
Männer hüllen sich in große weite Mäntel und
ziehen die Mantelkapuze tief über Kopf und
Gesicht. Der Hals wird noch mit einem dicken
Tuche umwickelt. Ähnlich hüllen Frauen und
Mädchen Kopf und Gesicht mit einem großen
blauen, grünen oder schwarzen Tuche ein. Die
japanische Gesundheitsregel lautet also: Füße
und Beine kalt, Kopf warm. Die japanischen
Kinder, Knaben wie Mädchen, scheinen der Kälte
gegenüber sehr unempfindlich zu sein. Wohl
sind die Händchen und Fingerchen rot, das
Gesichtchen blau, das aus — der Nase fließende
Wasser gefroren, aber ruhig und ungestört
spielen die Kleinen im Schnee weiter. Die

Winter, in Tokio

Schloßpark in Kioto.

[Nachdruck verboten.]
Knaben haben Aug und Sinn nur auf ihren Papier-
drachen in der Luft gerichtet. Die Mädchen be-
arbeiten den Schnee mit kleinen Holzschaufeln,
Schneemänner sieht man nur selten.
Der Verkehr vollzieht sich ausschließlich
auf Schlitten. Diese ersetzen die Rickschahs, die
Handkarren und die Fuhrwerke, ja, auch den
Kinderwagen.
Große Arbeit verursacht das Fortschaffen der
immer wieder niedergehenden Schneemassen,
aber jeder Flausbesitzer muß den Teil der Straße
rein und in Ordnung halten, der vor seinem
Hause vorüberführt. Da der Schnee nur auf die
beiden Seiten der Straße geworfen wird, türmen
sich vor den Häusern allmählich ganze Hügel
auf, zumal auch ab und zu der Schnee von den
Dächern geschaufelt werden muß.
Infolge des vielen Schlittenverkehrs werden
die Straßen gefährlich glatt; trotzdem fährt der
Japaner sicher auf seinem Fahrrad über die
glatten Wege. Manchmal hat er sogar sein kleines
Brüderchen bei der Fahrt auf den. Rücken gebunden. Die Mütter behalten ihre
Kleinen selbst beim Schneeschaufeln auf dem Rücken. Der Wintersport hat
erst vor zwei Jahren seinen
Einzug in Japan gehalten.
Vorher kannte man z. B. das
Skilaufen gar nicht. Der
jetzige japanische Botschafter
in Berlin, Sugimura, sandte
während seiner Amtstätig-
keit in Schweden ein Paar
Skis nebst einigen Schriften
über das Skilaufen nach
Tokiq. Aber im dortigen
Kriegsministerium wußte
man absolut nicht, was man
mit den Dingern anfangen
sollte. Die Skis wurden
schließlich dem General-
leutnant Nagaoka in Takata
übersandt, das heute schon
für das japanische Oberhof
oder St. Moritz gilt. Nagaoka
riet zur Berufung eines
europäischen Experten und
so blieb es dem österreichi-
schen Major von Lerch Vor-
behalten, die Japaner in die
Geheimnisse des Skilaufes
einzuweihen. Heute existiert
in Japan bereits der Yetsu-Shin-Ski-Klub, dem über 500 Mitglieder angehören.
In Takata wurden schon mehrere Skirennen abgehalten, die Tausende von neu-
gebackenen japanischen Sportsfreunden dorthin
zogen. Auch Skitouren auf den Fuji- oder den Iit-
suna-Berg bei Nagano sind nichts Seltenes mehr.
Um das Skilaufen in Japan populär zu
machen, galt es in erster Linie, ein Paar Skis zu
erfinden, das auch von den keine Stiefel tragen-
den Bauern und Kulis benutzt werden kann.
Schließlich gelang es dem Major Vicomte Yama-
guchi, Skis herzustellen, die sich auch für San-
dalen oder bloße Füße eignen. Die Erfindung
erwies sich als so erfolgreich, daß in Naoyetsu
eine Fabrik für die Herstellung dieser Skis er-
baut wurde.
Les extremes se touchent kann man auch
von dem japanischen Winter behaupten. Denn
während im März oft noch tiefer Schnee liegt,
fangen bereits die Pflaumenbäume an zu blühen;
dann ziehen die Japaner in hellen Scharen hinaus.
Am Boden hockend und die Hände über das im
Schnee stehende Kohlenbecken haltend, schauen
sie vergnügten Sinnes auf die herrlichen weißen
Blüten, deren fallende Blätter sich mit den
Schneeflocken vermischen. Felix Baumann.

Park in Tokio im Winter.

XXVIII. 9. Z.-Z.
 
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