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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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18. Heft
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Neisser, Artur: Frühling in der Musik
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Bab, Julius: Schauspieler-Garderobe: Plauderei
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0536

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MODERNE KUNST.

235


des Tanzes ein echtes Charakteristikum unserer Zeit? Vor zwanzig, dreißig Jahren
machten die Tänze eines Johann Strauß und seiner Nachahmer die Runde durch die
Welt, nur um ihrer Musik willen: die „Rosen aus dem Süden" oder der „Frühlings-
stimmenwalzer" von Johann Strauß wirkten durch die Melodiösität allein, ebenso wie
die, von Vogelstimmen durchzwitscherten „Geschichten aus dem Wiener Wald", und
andere der entzückenden Tanzdichtungen des Walzerkönigs und seiner Epigonen.
Seitdem aber Isidora Duncan grade auf den politischen Kern dieser Tänze den Haupt-
wert zu legen begonnen hat, seitdem sie grade mit jenem „Frühlingswalzer“ Straußens
ihre Darbietungen so oft beschlossen hat, seitdem erst haben auch Wiener Tänzerinnen,
etwa die Geschwister Wiesenthal, den Frühlingscharakter des Tanzes lebendig in uns
wachgerufen. Die arme Musik als solche, die ja überhaupt in unserer Zeit zu allen
möglichen Magddiensten herabgewürdigt wird, tritt freilich dadurch im Empfindungs-
leben des Zuschauers, nicht mehr Zu-
hörers dieser Tanzdichtungen mehr und
mehr zurück. Auch das weltberühmt ge-
wordene „Russische Ballett" mit seinen
ekstatischen Sprüngen, mit seinen hyper-
sinnlichen Kreiselreigen und mit dem
strudelartig durchtobten Schwung seiner
Charakteristik, auch dieses Ballett hat uns,
im gebändigteren Deutschland, die wilde
Freude an allem Tanzen, die stets Früh-
lingsüberschwang in sich trägt, erst recht
erkennen lassen.

Wir brauchen nicht bitter werden, wenn wir sehen, wie sich in der Welt-
anschauung manches modernen Komponisten das Bild des Frühlings verschoben hat
und wenn wir gewahren, daß in neuester Zeit die elegische Resignation immer mehr
an die Stelle ehemaliger Frühlingsfreude tritt, gemäß der pessimistischeren, mehr philo-
sophisch zwiespältigen Naturanschauungen, die ein Teil unserer Musikergeneration
hegten. Daneben lebten stets und leben etwa in H. Mahler oder, vor ihm, schon in
Anton Bruckner, und neuerdings besonders in Felix Weingartner, eine große Zahl von
Lebensjahren in unsern Reihen, die den Mendelssohnschen, wenn auch noch so sehr
verlachten Hang zur „natürlichen" Naturliebe sich noch immer bewahrt haben. Der-
artige Melodiker können auch durch die Ablehnung ihrer Werke von Seiten des sich
erhaben modern dünkenden Publikums nicht entmutigt werden, sondern diese Sieg-
friedsnaturen werden immer wieder ihre frühlingsfrisch erbrausende Jugendkraft in die
verbitterte Rotte der naturfremden Grübler
schleudern! Auch ein S. v. Hausegger oder,
wenn auch auf seine Weise, ein Ferruccio
Bussoni ist so eine kampfesfrohe Lenznatur!
So lange wir solche unentwegten Ritter
und Minnesänger des Frühlings, solche lenz-
frohen Melodiker besitzen, so lange soll uns
auch noch nicht bange sein, daß der Früh-
ling in der Musik etwa in absehbarer Zeit
nur noch eine Sage bilden wird; so lange
„muß es immer noch, muß es immer wie-
der und wieder — — Frühling werden!"

Garderobe.

Schauspieler-

Plauderei von

«oethes Urmeister, der uns vor
ein paar Jahren als ein köst-
liches neues Werk unseres
größten Dichters bekannt wurde, ist ganz
und gar und vielmehr als die früher
bekannte spätere Fassung „Wilhelm
Meisters Lehrjahre“ ein Theaterroman.
Die „theatralische Sendung“ des Helden
ist das Thema und eine der köstlichsten
Szenen, die des jungen Meister Theater-
beruf entscheidet, spielt in der —-
Theatergarderobe! Wie Wilhelm
von zwei ihm leidenschaftlich zugetanen
Frauen im letzten Moment überredet und
eingekleidet wird, um für den fehlen-
den Heldenspieler einzuspringen, das
ist eine Szene, deren Lebhaftigkeit und
Energie uns das Wesen des Theaters
mehr einprägt, als die Schilderung einer
Aufführung es je vermöchte. Der Regen-
bogen ist bunter als Sonnenlicht oder
Regen, die Dämmerung reizt mehr als
Tag oder Dunkelheit, solch Übergang,
solch Zwielicht aber, das hinübergleiten
läßt vom Reich der Realität ins Reich des
gespielten Lebens: das ist die Theater-
garderobe — und alle spezifischen Schauer des Wortes „Schauspieler“ umwittern
deshalb den rampenlichtempfindlichen Menschen hier stärker als irgendwo.
Die Schauspielergarderobe ist nicht mehr wie zu Meisters Zeiten irgendein
Ankleidezimmer neben dem Saal, in dem gespielt wird; auch von jener kräftig lieder-
lichen Schmierenromantik, wie wir sie aus Hogarths und Spitzwegs Bildern etwa
kennen, lebt heute, wenigstens in großstädtischen Schauspielergarderoben, nicht
mehr viel. Erst hat sich die moderne Technik der Sache angenommen, hat das dem
ganzen modernen Bühnenbetrieb so unentbehrliche elektrische Licht, hat dreh-
bare Spiegel, raffiniert zusammengesetzte Schränke und Toilettentische gebracht
— mit letzterem dem dringenden Großstadtbedürfnis nach Raumsparen folgend!
Dann ist auch der moderne Kunstgewerbler gekommen, hat hübsche quadratische
Möbelformen, freundlichen weißen Anstrich, blanke Beschläge geliefert. Als
dritter und mächtigster aber kam der Polizist, der im Namen der Gesundheits-
und Sicherheitsbehörde auf Mindestmaße im Raum und Höchstzahl bezüglich der
Benutzer einer Garderobe drang, der sich für Lüftungsverhältnisse und manches
mehr interessierte. — Aber wenn trotz Technik, Kunstgewerbe und Gewerbe-
inspektion ganz berechtigte Klagen namentlich der kleineren Mimen über den
unerfreulichen Charakter gewisser Garderobenverhältnisse keineswegs aufhören,
so hat doch auch anderseits aus den Garderoben der „Stars“ alle Zivilisation
und Eleganz nicht den Schimmer phantastischen Glanzes verwehen können, der
von Wanderkomödiantenzeit her an ihnen haftet. Hier schlagen zwei Ströme
zusammen: Sein und Schein, und deshalb geht hier die Brandung hoch und

Julius Bab.
[Nachdruck verboten,].
wirft wilde Schaumkämme auf. Das
Reich der Freiheit ist so nah, daß es
alle Kräfte weckt, lockert, befeuert -—
so kommt der Mensch, der in der
Garderobe doch immer noch-nicht Glied
eines Kunstwerks, sondern Erdenbürger
ist, auf einen gefährlichen Punkt. — Daß
das Publikumsinteresse an der Garde-
robe des Schauspielers ein bedenkliches,
künstlerisch abgleitendes ist, steht außer
Frage. Nicht nur in Romanen und Sitten-
stücken spielt die Garderobe der Bal-
letteuse oder der Diva eine verfäng-
liche Rolle. Man muß nur etwas ältere
Berichte lesen, um zu sehen, wie kunst-
mörderisch noch vor zwei Generationen
das ständige Llerumtreiben des ele-
ganten Publikums in den Spielergarde-
roben auf damals ersten Bühnen wirkte.
Aber wenn es gut ist, daß hier Wandel
geschaffen wurde und Unbefugte heute
kaum noch diese Räume betreten
dürfen — man soll doch nicht ganz
verkennen, daß sich in diesem Zug zur
Spielergarderobe neben gemeinerem In-
stinkt doch auch schon etwas von der
faszinierenden Wirkung der Kunst und gerade der Kunst-im-Werden zeigt!
Aber die Schauspieler selber — sie kommen ja auch noch als Privat-
menschen in die Garderobe. Und gerade hier in Siedenähe der Kunst lockert
sich oft genug ihr Allzumenschliches — für Ausbrüche der Eifersucht und Riva-
lität, des Mißtrauens und der Angst — „Lampenfieber“ ist die Garderoben-
krankheit! — für hundert Nervositäten, in denen ihr noch nicht überwundenes
Privatmenschentum sich aufbäumt, ist hier der schicksalsvolle Ort. Der letzte
Schritt vom Sein zum Schein — der gefährlichste!
Aber von innen dringt nun die Flut der verwandelnden Freiheit heran! Schon
warten im Schrank die Gewänder — die Zeichen, in denen man eintritt ins
andere Reich! Der geputzte Kram der Schaubudenbesitzerin dort wird bald
einem noch gut bürgerlich gekleideten Frauenleibe Signal werden, sich gutartig
ordinär, lärmend gemütvoll und fröhlich geschmacklos zu betragen. Auf dem
Sessel neben der noch lesenden, noch unverwandelten Künstlerin wartet die
Brautkrone, die ihr heut Abend Schicksal sein wird. Und seltsam: hinter dem
Schauspieler, der heut im Rock des weisen und gerechten Amtmanns sitzt, harrt
Panzer, Schwert und Krone des dritten Richard und zeigt, welch teuflisch andere
Kraft gestern oder morgen der gleiche Künstler in sich wecken kann. Das
Kostüm ruft! — Aber weiter noch schwillt der Strom des Spiels in diesem
Raum: nun entsteht jener letzte, grotesk scharfe Zusammenstoß von Wirklich-
keit und Schein: das Maskemachen. Auch für den größten Künstler ist dies
der „Erdenrest zu tragen peinlich“. Mag seine Seele sich noch so völlig und

Albert Bassermann als Snob. Phot. Willinger, Berlin.
 
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