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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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17. Heft
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Das Flugzeug im Kriege
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0503

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MODERNE KUNST.


90 km Stunden dahin. Bei der Station Kadykeni setzte mein Motor aus,
und nach einem Gleitfluge aus 400 m landete ich meinen Apparat ohne Be-
schädigung. Mein Sturz war in Mustafa-Pascha, wo man annahm, daß ich tot
wäre, bemerkt worden. Es wurden zwei Flugzeuge abgesandt, die mich von
obenher suchen sollten. Das eine flog vorüber, ohne daß ich bemerkt wurde;
aber der bulgarische Leutnant Mikow, der das andere Flugzeug lenkte, fand
mich. Er flog sofort zurück und sandte mir ein Automobil mit Mechanikern,
-die den Motor wieder in Ordnung brachten. Dann gab es noch viele andere
Schwierigkeiten, so daß ich erst nach 6 bis 7 Stunden weiterfliegen konnte. Es
wurde Abend, und die Luft war mit Böen durchsetzt. In 1500 m Höhe verlor
ich die Orientierung und wurde noch dazu vom Winde stark abgetrieben. Ich
hatte noch die Richtung auf Mustafa-Pascha, aber der heftige Wind trieb mich
nach Adrianopel ab. Schließlich setzte der Motor zu meinem furchtbarsten
Schrecken wieder aus, und ich mußte in der Dunkelheit aus 1000 m Höhe im
Gleitflug, ohne zu wissen wo, landen. Als der Apparat die Erde erreichte, sah
ich mich von türkischen Soldaten und
Offizieren umgeben, und ich war im j
ersten Augenblick sehr bestürzt. Aber
dieTürken, die meine Furcht bemerkten,
beruhigten mich in bulgarischer Spra-
che. Sie erwarteten von Konstanti-
nopel die Ankunft eines Flugzeuges
und hatten deshalb auf mich nicht ge-
schossen, weil sie nicht genau wissen
konnten, ob Freund oder Feind über
ihnen war. Nachdem ich noch von
drei Paschas vernommen worden war,
wurde ich in ein sehr kaltes Zimmer
eingeschlossen. Ich verlangte ein wär-
meres, und es wurde mir gewährt. Ich
erwartete als russischer Flieger natür-
lich nichts anderes als meine baldige
Hinrichtung; aber der russische Konsul,
der von einem türkischen Offizier be-
gleitet, zu mir kam, beruhigte mich
in dieser Hinsicht vollkommen. Ich
wurde später, als das Bombardement
von Adrianopel heftiger einsetzte, in
die Nähe des Kommandanten Ismail
Pascha gebracht, der mich mit großem
Wohlwollen behandelte und mir völlige
Bewegungsfreiheit in der belagerten
Stadt ließ. Als mein Gefängnis infolge
des Bombardements allmählich zu-
sammenzustürzen drohte, durfte ich
bei dem russischen Konsul wohnen.
Aber schon 24 Stunden darauf fiel
Adrianopel, und ich war wieder befreit.
Der französische Militärflieger
Solleitant in Marokko machte einmal
einen Flug über den Stellungen der
aufständigen Araber, als plötzlich sein
Motor in einer Höhe von 200 m aus-
setzte und ihn zwang, im Gleitfluge
niederzugehen. Er kam kaum einen
Kilometer von der feindlichen Stellung
entfernt zu Boden, und die Marokkaner

Elfliede Heisler als Anitra in „Peer Gynt". (Text siehe Beilage.)
Phot. Ernst Schneider, Berlin.

stürzten sich mit wütendem Kampfgeschrei gegen ihn. Spahis, die gesehen
hatten, daß der Flieger zur Landung gezwungen war, eilten zu seiner Hilfe her-
bei. Es war ein Wettrennen auf Leben und Tod zwischen den beiden Ab-
teilungen. Mittlerweile konnte der Flieger hinter dem Flugzeug Deckung suchen
und aus seinem Karabiner ein lebhaftes Feuer auf seine Angreifer eröffnen.
Schon hatten sich die braunen Gesellen dem Flugzeug genähert, als die Spahis
herankamen und die Feinde in die Flucht trieben.
Mehr tragikomisch war die in französischen Blättern mitgeteilte angebliche
„standrechtliche Erschießung eines Fliegers“. Die Nachricht lautete: „Einen
bitteren Tod ist ein junger französischer Flieger, den die Abenteurersucht in die
Dienste der mexikanischen Rebellen getrieben hatte, gestorben. Die Taten dieses
jungen Abenteurers namens Didier Masson haben eine Zeitlang großes Auf-
sehen erregt. Didier Masson wurde Anfang 1913 von den aufständischen Truppen
Mexikos als Flieger engagiert. Der Vertrag lautete auf zwei Jahre. Masson er-
hielt monatlich 800 Mark und war zu vier Aufklärungsflügen in der Woche ver-
pflichtet. In zahlreichen Flügen über die
Festungen und Lager der gegnerischen
Truppen stellte Didier Masson fast alle
Bewegungen des Feindes fest und er-
füllte durchaus alle in ihn gesetzten
Hoffnungen. Er verwendete bei seinen
Flügen Bomben und tötete angeblich
einmal durch einen Wurf sechzig Mann.
Ein andermal brachte er ein Torpedo-
boot zum Sinken. Ende August 1913
flog Masson bei Las Guemas über die
Stadt und den Hafen. Hierbei näherte
er sich einigen Kriegsschiffen, die
Truppen aussetzten, zu sehr und wurde
hierbei scharf beschossen. Plötzlich
setzte der Motor des Fliegers aus und
der Apparat ging im Gleitflug herab,
während die Schiffsartillerie ihn von
neuem scharf beschoß. Didier Masson
riß ein Stück seines Hemdes los, um
Signale zu geben, daß er sich ergeben
werde. Das Feuer wurde darauf ein-
gestellt, und der Apparat landete hart,
aber steil. Masson hatte wegen Benzin-
mangels heruntergehen müssen. Er
wurde sofort umringt, gefesselt und
abgeführt, wobei er noch durch einige
Gesten seinen Gegnern zeigte, wie sie
den Apparat heil bergen könnten. Ein
Kriegsgericht verurteilte ihn bereits
einige Stunden später zum Tode, wo-
rauf die Hinrichtung sofort erfolgte.“
Erfreulich an dieser Geschichte ist die
Tatsache, daß sie nicht wahr ist. Der
fliegende Kriegsheld Masson hat nie
einen Menschen durch seine Bomben
getötet, nie ein Schiff belästigt und ist
auch niemals erschossen worden. Er
ist vielmehr ein braver Fellhändler
in den Vereinigten Staaten geworden.
Und mit diesem versöhnlichen Ausgang
schließen wir unser Kriegskapitel.


Jus der Besserungsanstalt für Kunstwerke. Auch den dunkelsten
Vorgängen lassen sich heitere Seiten abgewinnen. Wozu wäre denn sonst
der Humor? Mächtige Erregung durchzieht die Künstlerschaft und einen großen
Teil des Publikums, denn der Herr Schutzmann von Apollos Gnaden geht um,
legt mit feierlicher Amts- und Kennermiene Beschlag auf Postkarten mit angeb-
lich lasziven Bildern, deren Originale anerkannte Meisterwerke alter und neuer
Kunst sind, und die Staatsanwaltschaft erhebt gegen Verleger und Verkäufer
solcher Karten Anklage wegen Verbreitung unzüchtiger Darstellungen und
Erregung öffentlichen Ärgernisses. Und der würdige Vertreter der ästhetischen
Pädagogik beklagt den Verlust eines der wirksamsten Mittel zur Veredlung des
im Volke schlummernden Schönheitssinnes. Natürlich donnern auch gewichtige
Stimmen aus dem Lager der um Entsittlichung der Jugend besorgten Gegen-
partei. Der Kampf der Meinungen wogt gewaltig hin und her — aber in den
tobenden Kriegslärm tönt mit einem Male Gelächter, denn der Humor behauptet
für eine Weile sein Recht, das bekanntlich dem corpus juris noch überlegen
ist. Der Humorist ist der K. und K. Hoflieferant Georg Leykauf in Nürnberg,
gegenüber der Lorenzkirche, ein findiges Mitglied der ehrsamen Gilde der Kunst-
händler. Um die Zeit des Karnevals durchblitzte ihn die prächtige Idee, Plastiken,


in denen wegen Abwesenheit aller Gewandung die Feinde der Postkartenbilder
ein Haar finden könnten, angemessen zu bekleiden — zu maskieren. Gedacht,
getan — mit Witz, Grazie und Geschmack wurde diese schwierige Aufgabe
gelöst. LTnd so erschienen eines Tages im Schaufenster Levkaufs zahlreiche
Bronzeherrschaften in sehr aparten und feschen Kostümen nach den beliebten
karnevalistischen Fassons „Scherz“ und „Heiterkeit“. Es gab ein gewaltiges
Ilalloh und Gaudium, die Nürnberger und Fremden strömten in Scharen herbei,
standen vor dem Schaufenster wie die Mauern, bestaunten und bejubelten die
neue Kunst „Karnevalismus“ noch mehr als die des Luminismus, Pointillismus,
Kubismus und Futurismus und gingen schließlich mit der freudigen Hoffnung
hinweg, daß vielleicht in vierzehn Tagen wieder ein neues erhebendes Kunst-
ideal proklamiert werde . . . Unsere Bilder zeigen, wie beschaffen die Plastiken
aus der Besserungsanstalt des humorvollen Bekleidungskünstlers hervorgegangen
sind, und wie sie ungebessert sich ausnahmen. Johannes Götz’ eleganter Kugel-
läufer (Nr. 1), dessen Metier sichere Selbstbeherrschung verlangt, stellt sich dank
eines niedlichen Ballettröckchens als Kadidja in Wedekinds „Zensur“, und Rudolf
Marcuses verführerisch schöne Schlangenbändigerin (Nr. 2) mit Hilfe einer seit-
lich geschlitzten Chlamys als anmutige Ruth Saint Denis dar. Ähnlich erstaunlich
 
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