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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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Die Sieger im Grossen Armee-Jagdrennen.
Während bei den olympischen Spielen im Deutschen
Stadion, die fast zu gleicher Zeit wie das Armee-Jagd-
rennen auf der Grunewaldbahn stattfanden, Roß und
Reitersmann gänzlich ausgeschaltet waren, kamen diese
am ,,Armee“-Tage voll zu ihrem Rechte. Den Preis
der „Armee" — so nennt man in Sportskreisen kurz
das Armee-Jagdrennen •— zu erringen, ist die Sehnsucht,
die das Herz ungezählter Offiziere höher schlagen läßt.
Ehe die Grunewaldbahn errichtet war, wurde das Armee-
Jagdrennen in Hoppegarten abgehalten, wo selbst der
alte Kaiser, der dem Rennsport nicht allzugroßes Inter-
esse entgegenbrachte, regelmäßig zu erscheinen pflegte.
Es ist ein farbenprächtiges Bild, das sich hier entrollt.
Selbstverständlich dominierte am Tage der „Armee"
die Uniform. Vor dem Hofpavillon, in dem das Kaiser-
paar mit großem Gefolge Platz genommen hatte,
war auch diesmal eine erlesene Gesellschaft, dar-
unter eine große Anzahl von Mitgliedern des
Berliner Rennvereins versammelt. Auf der
Rampe des Hofpavillons stand der Ehren
preis des Kaisers für den Sieger in dev
„Armee“, ein hoher goldener Humpen. Ehe,
die Reiter zum Start ritten, salutierten sie
vor der Hofloge. Es wurden im ganzen
sieben Rennen gelaufen. Das große Armee-
Jagdrennen, das mit besonderer Span-
nung erwartet wurde, war an dritter Stelle
plaziert. Nicht weniger als 18 Pferde ver-
sammelten sich unter unseren besten
Offiziersreitern am Start. Leutnant von
Herder, der bereits vorher im „Prinz von
Preußen-Erinnerungs-Rennen" erfolgreich ge-
wesen war, ging auf Hauptmann Schönbergs
„Tory Hill II" gegen Leutnant Prieger und den
bekannten Herrenreiter Leutnant v. Egan-Krieger
nach hartem Kampfe unter lautem Jubel als Sieger
hervor. Die Kaiserin ließ es sich nicht nehmen,
diesen drei Reitern ihre Ehrenpreise persönlich zu über-
reichen.
Leutnant von Herder, der Gewinner des Kaiserpreises,
gehört dem 17. Ularenregiment in Leipzig an, während
Leutnant Prieger Bamberger Kaiserulan ist. Leutnant
von Egan-Krieger vom 1. Leibhusarenregiment in Lang-
fuhr, der schon so manchen Erfolg auf dem grünen Rasen
zu verzeichnen hatte, ist augenblicklich zur Dienst-
leistung beim Großen Generalstabe kommandiert. Ein
launiger Zufall fügte es, daß in den drei Siegern im
Armee-Jagdrennen die Offizierkorps der drei Bundes-
staaten Preußen, Bayern und Sachsen vertreten sind.
Nachdem die Kaiserin die Preise verteilt hatte, beglück-
wünschte auch der Kaiser die erfolgreichen Rennreiter
und schüttelte jedem kräftig die Hand. Zu Egan-
Krieger aber wandte er sich mit den humorrollen
Worten: „Na, wenn Sie erst Generalstabsuniform an-
haben werden, dann werden Sie wohl noch mehr ge-
winnen.“ __ M.
Stapellauf des „Bismarck“.
Am 20. Juni hat auf den Werften von Blohm & Voß
in Hamburg der Stapellauf des dritten Schiffes der Im-
peratorklasse, welche die Hamburg-Amerika-Linie er-
baut, in Gegenwart des Kaisers und einer zahlreichen fest-
lichen Versammlung statt-
gefunden. Der Dampfer,
der den Namen „Bismarck"
empfing, wird als das größte
Schiff der Welt seinem
Schwesterschiff,, Vaterland",
das diesen Ruhmestitel eben
erst an sich gerissen hatte,
in einem Jahre auf dem
Ozean folgen. Lange Zeit
hatte man geschwankt, wel-
cher Name diesem Koloß ver-
liehen werden sollte. „Ham-
burg", „Hansa“, „Monarch",
„Hapag" wurden in Vor-
schlag gebracht, aber sie alle
hätten neben den stolzen
Namen „Imperator" und
„Vaterland" zu schwach ge-
klungen. Da gab der Kaiser
selbst die Weisung, daß das
Schiff auf den Namen Bis-
marcks getauft werden sollte,
des eisernen ersten Kanzlers
des Deutschen Reiches, der
die Größe Deutschlands und
somit auch Hamburgs, in
dessen Nähe er seinen Ruhe-
sitz aufgeschlagen hatte, ge-
festigt hat. „Imperator",
„Vaterland“, „Bismarck“
werden also gleich einer
Dreieinheit das Meer durch-

furchen, die von der Größe des geeinten Deutschlands
kündet. Als Taufpatin wurde die Enkelin Bismarcks,
Gräfin Hanna von Bismarck, geladen. Als diese die
Sektflasche an dem ins Wasser gleitenden Riesenrumpf
zerschmettern wollte, mißlang der Wurf, so daß der
Kaiser selbst an ihrer Statt den Taufakt vollzog. Unter
brausenden Hochrufen glitt dann der stählerne Leib
in die Fluten, denen er nun immer vermählt bleibt.
Zur Charakteristik des Schiffes sei bemerkt, daß es
dem Dampfer „Vaterland“, den es mit seinen 291 Meter
Länge nur um 2 Meter übertrifft, fast völlig gleicht.
Ein Jahr lang der angestrengtesten Arbeit wird seine
Ausrüstung fordern. Dann sollen den Reisenden derselbe

Die Sieger im Grollen Ai mee-Jagdrennen.
Phot. Photothek Berlin.
Luxus, dieselbe Bequemlichkeit und dieselben Sicher-
heitsvorrichtungen wie auf der „Vaterland" erwarten,
und die Hamburg-Amerika-Linie wird mit den drei
Schiffen ihrer Imperatorklasse einen nordatlantischen
Wochendienst durchführen, wie ihn der Ozean in dieser
Weise bisher nicht gekannt hat. d.
—aAA/w-
öiooanm bella tranquillitä.
Von Adolf Heilborn.
Es gibt sicherlich nur wenige Dichter, die zu allen
Zeiten so in den Himmel erhoben und so in die Hölle
gewünscht worden sind, wie der, dem die Freunde den
über diesen Zeilen stehenden Scherznamen des ge-
ruhigen, des stillvergnügten Hansen gaben, wie Gio-
vanni Boccaccio, der Vater der italienischen Prosa,
der Schöpfer der Novelle und noch bis zum heutigen
Tag ihr kunstvollster Meister, Giovanni Boccaccio, dessen
600. Geburtstag die Welt im letzten Jahre feierte. Man

braucht ja nur das eine Wort „Decamerone" hinzu-
werfen, und alsbald rollt der goldene Apfel der Eris in
den Kreis, Hader säend unter friedlich Gesellte. Aber
daß dieser Apfel von lauterem Golde ist, werden auch
die Feinde gestehen, sofern sie ehrlich sind, und — um
so schlimmer, werden sie vielleicht hinzusetzen. Die
Wahrheit zu sagen: Boccaccio selbst hat in den letzten
Jahren seines Lebens wohl manchmal Ähnliches emp-
funden. „Daß Du die edlen Frauen Deines Kreises meine
Possen lesen läßt", schrieb er einmal in solcher üblen
Altersstunde einem Freunde, „ist mir nicht recht; ich
bitte Dich vielmehr, daß Du das nicht mehr tust, falls
Du mich liebst." Gewiß aber konnte ihm in diesem
mürrischen Zweifeln und grämlichen Verzweifeln keine
glänzendere Apologie dieser „Possen", eben des De-
camerone, zuteil werden, als jener etwa gleichzeitige
Brief Petrarcas, darin es etwa heißt: „Ich sah Dein Buch
bislang nur flüchtig durch, hab’s nur gleichsam an-
geblättert. Aber selbst beim schnellen Durchsehen
ergötzte ich mich daran — die schlüpfrigen Stellen
werden durch den Stoff und das Publikum ent-
schuldigt, für das Du schreibst. Überdies fand
ich auch Ernstes und Frommes darin, das
jene vergessen macht. Vor allem bewundere
ich Deine getreue und doch so künstlerische
Schilderung der Pest in Florenz am Anfang
des Buches und am Schlüsse jene letzte,
von den übrigen so ganz abweichende Er-
zählung, die mir so gefiel, daß ich sie
auswendig lernte und häufig unter großem
Beifall andern mitteilte, ja, sie ins Latei-
nische übersetzte, um sie auch den der ita-
lienischen Sprache Unkundigen zu ver-
mitteln."
Des Boccaccio Leben ist ganz wie eine seiner
köstlichen Erzählungen, voller Abenteuer und
süßer Heimlichkeiten. Als unwillkommene
Frucht verbotener Liebschaft nahm es seinen
Anfang: Giovanni war der uneheliche Sohn eines
florentinischen Kaufmanns und einer Pariserin; in
Paris vermutlich, vielleicht auch in Florenz oder Cer-
taldo, der Heimat seiner väterlichen Familie, kam
er im Jahre 1313 an einem dunklen, frühen Winter-
tage zur Welt. Der Dichter hat uns nachmals im De-
camerone die Art dieser abenteuernden und ebenso
geldgierigen wie amoureusen Kaufleute in mancher Ge-
schichte gezeigt; sie sind gewißlich nach dem Leben
gezeichnet, und vielleicht ist gar auch das Porträt des
Vaters unter ihnen. In früher Jugend ward der Knabe,
vermutlich nach der Mutter Tode, nach Florenz gebracht
und vom Magister Zanobi mit den Anfangsgründen der
lateinischen Grammatik vertraut gemacht. Boccaccio
hat uns selbst erzählt, daß er schon, ein siebenjähriger
Knabe, ehe er noch irgendwelche Dichtungen zu Gesicht
bekommen, ein paar Erzählungen niedergeschrieben habe.
Am liebsten wäre er wohl zeitlebens bei den Büchern
sitzen geblieben; doch war das nicht nach dem Sinne
des Vaters, der seinem Berufe im Sohn einen Nachfolger
wünschte. So ward denn Giovanni zu einem Geld-
wechsler in die Lehre getan, und damit trat zum zweiten
Male der Leichtsinn und die Pracht Lutetias in sein
junges Leben. Hier, bei dem Pariser Kaufmann, hat
Boccaccio auch wohl jene französischen Ritterromane
und Fabliaux ä la mode kennen gelernt, denen er später
Begebenheiten und Personen zu mancher Geschichte
seines Decamerone entnahm, sie aus Eignem dann mit
wirklichem, heißem Leben
erfüllend. Seines wahren
Berufes bewußt ward sich
Giovanni aber erst, als eine
seiner geschäftlichen Missio-
nen ihn nach Neapel an
den Hof des Königs Robert
führte. Am Grabe Vergils,
auf dem Posilippo bei Nea-
pel, wohin der junge Kauf-
mann ganz zufällig, wie vom
Schicksal geleitet, geraten
war, kam der Romantiker
in ihm zu dem feierlichen
Entschlüsse, sein Leben hin-
fort wissenschaftlichen und
dichterischen Studien zu
widmen; und auch der Vater
war nunmehr mit dem Be-
rufswechsel einverstanden,
sofern Giovanni kanonisches
Recht studieren wollte. Ob
es Boccaccio jemals zu be-
deutenden Kenntnissen auf
diesem damals wohl recht
einträglichen Studiengebiet
gebracht hat, wissen wir
nicht; daß er aber, das höfi-
sche Treiben Neapels eifrigst
studierend, den Grund zu
seiner tiefen Kenntnis aller
menschlichen Leidenschaften
hier legte, ist gewiß. In


Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich und seine Gemahlin, die am 28. Juni 1914 in Sarajewo von
Phot. C. Pietzner, Wien. einem Seihen ermordet wurden. Phot Charles Trampus, Paris.


XXVI11. 23. B.
 
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