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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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11. Heft
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Zum Leben und Schaffen Karl Spitzwegs
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Boerschel, Ernst: Malermütter
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0331

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142

MODERNE KUNST.

indem er mit echtem Verstehen den Quellen nachging, das Zusammenfließen und den
Reflex zeigt — die beste Charakteristik Spitzwegscher Art. Weshalb denn auch in
den Berichten über die Deutsche Jahrhundertausstellung beinahe ein jeder sich seinen
besonderen Spitzweg ausschnitt, sich seine eigne Spitzwegwelt zurechtzimmerte. Es
geht uns mit Spitzweg wie mit den großen Dichterhumoristen, wie mit Jean Paul und
Wilhelm Raabe, nur ist seinem Humor zugleich eine gute Dosis der liebenswürdigen
Feinheit Mörikes und des phantastischen Sarkasmus eines E. T. A. Hoffmann gelegent-
lich beigemischt. Doch betrachten wir vorerst das Äußerliche des Lebensweges unseres
Meisters! Karl Spitzweg ist am 5. Februar 1808 zu München als Sohn eines wohl-
habenden Kaufherrn geboren worden. Irgendwelche künstlerischen Neigungen lassen
sich den Eltern Spitzwegs nicht nachrühmen; im Gegenteil pflegte der Vater, der eine
große Materialwaren- und Spezereienhandlung besaß, nachdrücklich zu sagen, von
seinen drei Söhnen sollte einer das Geschäft fortsetzen, der zweite Arzt und der dritte
Apotheker werden, damit sie einander in die Hände arbeiten könnten, und so für alle
gut gesorgt wäre. Karl ward zum Apotheker in dieser Trias bestimmt, und er hat es
auch tatsächlich zum Provisor gebracht, neben-
her aber, wie Hyazinth Holland erzählt, zu
seinem Privatvergnügen die ihn interessierenden
Kunden utriusque generis in lustigen und ernsten
Kroquis abkonterfeit. Eine heftige Erkrankung
oder, wenn man es so ausdrücken will, ein
glücklicher Zufall ließ ihn erst Maler werden.
In dem Besitzer des Sanatoriums im Bade Sulz
fand er seinen Entdecker. Das ist eigentlich auch
so eine Spitzwegsche Gestalt, dieser Dr. Zeuß,
der die originelle Idee hatte, die Gäste seiner
Kuranstalt sollten sich ihr Nachtmahl immer
erst durch eine Zeichnung nach der Natur ver-
dienen. Der fünfundzwanzigjährige Provisor
erschien so eines Abends mit dem Konterfei
des — Ofens, das solch Entzücken bei dem
Arzt auslöste, daß er dem Künstler-Patienten
sogar — alkoholische Exzesse erlaubte. Auf den
Rat des gleichfalls in Sulz weilenden Land-
schafters Hansonn ließ sich Spitzweg bestimmen,
den Beruf des Apothekers an den Nagel zu
hängen, und wurde Maler. Wir wollen hier
dieses Werden nicht näher schildern: Spitzweg
ist immer Autodidakt geblieben und hat sich
glücklicherweise bald genug gefunden, d. h. von
den Einflüssen befreundeter Künstler im großen
und ganzen frei zu machen gewußt. Ganz leicht
scheint ihm das freilich nicht geworden zu sein,
noch bis Ende der vierziger Jahre lassen sich
gelegentlich solche Anlehnungen an andere auf-
zeigen. Aber Uhde-Bernays ist in seinem Urteil
entschieden zu rigoros, wenn er bis zu Spitz-
wegs fröhlich-ernster Studienfahrt nach Venedig
und Paris, nach London und Belgien (1850/51),
sein Werk als ein „treues, manchmal sogar allzu
konventionelles Mitgehen mit den andern Münch-
ner Künstlern" bezeichnet. Bilder wie „Wo ist
der Paß?", „Lueg ins Land“, der über alles köst-
liche „Witwer" und noch manches andere aus
den Jahren vor der Reise sind in allem Wesent-
lichen schon ganz echte Spitzwegs. Es scheint
uns heute ganz unverständlich, daß solche Mei-
sterwerke Spitzwegschen Humors in München
nicht die verdiente Anerkennung fanden: nach
Ablehnung seines „armen Poeten", der freilich mehr ein behäbiges Lachen denn ein
geruhiges Lächeln ist, hat Spitzweg fast zwei Jahrzehnte lang sich seinen Mitbürgern
unter wechselndem Pseudonym (Spitz, Katz, Zucchi) vorgestellt und seine Bilder hinfort
nur noch mit seiner Chiffre (einem S im Rhombus) signiert. Nur selten hat er solche
Abweisung mit so guter Laune ertragen wie jene der zur Verlosung in Nürnberg (1840)
angekauften „Hosenflickenden Schildwache". Das Bild fiel zufällig an die Vorsteherin
eines Mädchenpensionats in Dessau, und kategorisch forderte diese Dame „aus Sittlich-
keitsgründen" ein anderes Bild. Spitzweg aber und seine Freunde feierten das Ereignis
mit einem solennen Feste. Die erwähnte Studienfahrt hat freilich auf Spitzweg außer-

ordentlichen Einfluß gehabt. Zumal in die Art des Diaz und Delacroix lebte er sich
nun mit feinstem Empfinden für das rein Malerische dieser Franzosen völlig ein. „Der
Umschwung von der klassizistischen Kunst zur malerischen Freiheit, das Aufsuchen und
Studium der Natur, die rein sachliche Freude am Objekt, das in seinen wechselseitigen
Beziehungen zu der umgebenden Luft, dem Licht, den benachbarten Farben ergriffen
wurde, — das traf mit den künstlerischen Gedanken Spitzwegs, des Malers, wundervoll
zusammen." So charakterisiert Uhde-Bernays die Gründe der tiefen Wirkung der genannten
Franzosen auf unsern Meister, und er sagt ebenso treffend wie schön: „Was Spitzweg
für die Beseligung seiner Kunst aus Paris mitbrachte, ist ein Hauch Chopinschen Geistes,
der sich über der gemütvollen Sinnlichkeit Schubertscher Melodik gefangen hat." Rund
vierhundert Bilder hat der Meister nach dieser für ihn — malerisch-technisch besonders —
entscheidenden Reise noch geschaffen, und beinahe alle zeigen sie diesen Hauch. Es
sei hier nebenbei bemerkt, daß Spitzweg zu Lebzeiten für seine Gemälde, die freilich
meist recht kleinen Formats sind — fast durchweg auf Holzbretter gemalt, die er ge-
wöhnlich wie Bücher in Reihen nebeneinander auf dem Boden des Ateliers aufstellte —
weshalb sie dem Gros der Bilderkäufer kaum
sonderlich imponierten, zwischen 200 und
800 Mark erhielt.
Wenn es ihm nicht mehr langen würde, hat
der Ftinfundsechzigjährige einmal einem Freund
allen Ernstes geschrieben — man hatte ihm seine
Bilder damals erst abgelehnt und hernach „tot-
gehängt" —, werde er wohl noch durch eine
Eingabe eine Schreiberstelle an der Brandver-
sicherung oder etwas Ähnliches erhalten. Von
seinem Atelier in jenen Jahren hat uns Holland
eine anschauliche Schilderung hinterlassen. Es
lag am damaligen „Heumarkt", drei steile Treppen
hoch „mit erträglichem Nordlicht und der Atelier-
aussicht auf endlose Dächer, Giebel, Türme und
den herrlichsten Horizont mit den reichsten Luft-
und Wolkenspielen, während sein von Urväter-
hausrat strotzendes und deshalb ob drohender
Feuersgefahr unheizbares Schlafgemach gegen
Süden den weitesten Ausguck bis an die ferne
Alpenkette gewährte. Hier nun in stiller Un-
gestörtheit, allein mit seinen Erinnerungen, zu
malen, zu rauchen und einer erquicklichen Lek-
türe obzuliegen, war seine einzige Wonne. Auf-
fällig war die Anzahl schwerer, stark angerauchter,
hölzerner Zigarrenspitzen, die getrocknet zum
Wiedergebrauch unter dem Atelierfenster lagerten.
Ein gichtbrüchiges Sofa bot kaum behaglichen
Sitz. An einem nicht meterlangen Tischchen ge-
noß der Insasse sein Mittagessen und Abendbrot,
wozu eine kleine grüne Blechlampe mit dito
Schirm die Beleuchtung konzentrierte". Hier
also hat Spitzweg, niemals anders als im Schlaf-
rock, in den letzten Jahren kaum je das Haus
verlassend, seine letzten Getreuen empfangen,
hier ist er am 23. September 1885 ohne Kampf
einem Schlaganfall erlegen. Die Freunde fanden
unter andern Blättern auf dem Tische des Dahin-
geschiedenen auch ein paar Strophen Verse, die
da schlossen:
„Doch will getrost ich wandern,
Lind wird der Vorhang fallen,
So gönn’ ich gerne andern,
Den Frühling neu zu malen.“
Wie ein gerechtes Urteil den Maler Spitzweg heute wertet, das möge man in dem
Uhde-Bernaysschen Buche nachlesen. Für den nicht maltechnisch wägenden Kunst-
freund, der von dem Bilde fordert, daß es ihm etwas sage, noch mehr: ihm Bleibendes
gebe, wird Spitzweg der größte deutsche Malerhumorist sein, den wir bislang besitzen,
ein „Großhumorist", mit Fontane zu reden, „weil er groß und frei ist", ein Wissender,
der lächelnd über den Dingen steht und in seinen Gestalten über die Komik des In-
dividuums hinaus den Humor des Typus gibt. Ein Maler romantischer Märchen, der
Maler romantischer Städtchen, der Maler einer Welt, die uns verloren ging, und nach
der wir uns doch mit allen Fibern unseres Herzens sehnen. Dr. A. Hn.


TDalermütter.

Von Ernst
nzählig sind die Bekenntnisse der Dichter über den eigentümlichen Zu-
sammenhang ihres Genius mit dem inneren Wesen der Mutter, das in
ihnen selbst fortlebt. Es gibt auch kaum einen Maler, der nicht seine Mutter
gemalt hat. Diese Bilder sieht man sich dann mit anderen Augen an. Wir
empfinden sie selber, die Besonderheit des Motivs und erwarten im Porträt der
Mutter das volle Aufklingen der Kunst des Sohnes. Denn hier ergießen sich

Boerschel. [Nachdruck verboten.]
Ströme des Herzens in das Werk, und die Wirklichkeit erhält die edelste Form
der künstlerischen Wahrheit. Denn jeder liebt seine Mutter, so wie sie ist. Pose
wäre Lüge, jede Geste eine Kränkung des Gegenstandes der selbstlosesten Liebe.
Albrecht Dürer ist am Sterbelager der Mutter zusammengesunken wie einer,
der mit dem Leben keinen Zusammenhang mehr fand. Rubens hat sich nach
dem Tode der Mutter monatelang in die Einsamkeit vergraben. Raffael hat seinem
 
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